Arktisches Meereis schmilzt schneller als angenommen

Jan Oliver Löfken

Eine große Eisfläche und dunkles Wasser, in dem sich weiße Wirbel bilden

NASA Earth Observatory

Nirgends erwärmt sich die Erde so schnell wie in der Arktis. Während die Durchschnittstemperatur infolge des Klimawandels weltweit bereits um etwa 1,2 Grad Celsius angestiegen ist, sind es in der Arktis schon vier bis fünf Grad. Diese Erwärmung könnte dazu führen, dass der gesamte schwimmende Eisschild am Nordpol bis zum Zeitraum zwischen den Jahren 2030 und 2050 jeden September zum Sommerende verschwindet. Das ist etwa ein Jahrzehnt früher als bisher angenommen – und lässt sich selbst bei drastischer Minderung der CO2‑Emissionen nicht mehr verhindern, wie eine Gruppe aus Klimaforschenden nun in der Fachzeitschrift „Nature Communications“ berichtet.

Zukunftsprognosen für die Arktis aus bisherigen Modellen beinhalteten noch deutliche Unsicherheiten. Deshalb entwickelten Yeon-Hee Kim von der Technisch-Naturwissenschaftlichen Universität Pohang und ihr Team eine neue, verbesserte Projektion der Meereisabdeckung in der Arktis. Dazu griffen sie auf insgesamt drei Satellitendatensätze der Jahre 1979 bis 2019 zurück – denn gerade seit Beginn dieses Jahrtausends wurde ein beschleunigtes Abschmelzen der Eismassen beobachtet. Für einen Ausblick in die nahe Zukunft speisten sie den relativ jungen Datensatz in das Modell CMIP6 ein. Statt wie früher eine gröbere, in Rastern eingeteilte Meereisabdeckung zu verwenden, bezogen sie die tatsächlich gemessene Eisabdeckung in die Berechnungen ein. Zusätzlich betrachteten Kim und ihr Team nicht mehr nur den September mit dem jeweils größten Eisschwund, sondern die Eisentwicklung über das gesamte Jahr.

Das Modell stimmte sehr gut mit den jüngeren Beobachtungsdaten überein und reduzierte auch dank diesem optimierten Vorgehen die Unsicherheiten für eine Projektion der künftigen Meereisabdeckung. Das Ergebnis ist allerdings ernüchternd: Selbst wenn es gelingt, weltweit die Emissionen von Kohlendioxid, also CO2, ab sofort deutlich zu reduzieren, drohen eisfreie Spätsommer in der Arktis bis spätestens zur Mitte dieses Jahrhunderts. Der jüngste, sechste Sachstandsbericht des Weltklimarats IPCC prognostizierte für ein solches Low-Emission-Szenario noch keine eisfreie Arktis. Bleiben die CO2‑Emissionen hingegen auf einem konstanten Niveau oder steigen sie in den kommenden Jahren sogar noch etwas an, sei sogar deutlich früher mit einem völligen Abschmelzen des arktisches Meereises zu rechnen: ab dem kommenden Jahrzehnt. Und das nicht nur jeden September, sondern sogar schon im August oder gar Juli.

Könnten natürliche Schwankungen und kühlende Faktoren – wie etwa Aerosole in der Atmosphäre, die nach Vulkanausbrüchen das Sonnenlicht abschirmen – die beschleunigte Meereisschmelze noch aufhalten? Auch das betrachteten die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler – und überbringen erneut schlechte Nachrichten: Der Einfluss dieser Effekte ist deutlich geringer als bislang angenommen und kann der Erwärmung durch menschlich verursachte CO2‑Emissionen wenig entgegensetzen.

Die Folgen eisfreier Sommer in der Arktis sind gewaltig: Wenn keine Eisflächen mehr das Sonnenlicht reflektieren, beschleunigt sich etwa die Erwärmung der Meere weiter. Zudem erhöht sich der Druck auf Ökosysteme innerhalb und auch außerhalb der Arktis. Sollte es dennoch klappen, die CO2‑Emissionen schnell und drastisch zu reduzieren, bliebe mehr Zeit für Anpassungs- und Schutzmaßnahmen in der Arktis. Gleichzeitig öffnen sich über immer längere Zeiträume Schifffahrtsrouten durch das arktische Meer, die zuvor unbefahrbar waren.

Quelle: https://www.weltderphysik.de/gebiet/erde/nachrichten/2023/klimawandel-arktisches-meereis-schmilzt-schneller-als-angenommen/