„Wir haben ein stilles Schwarzes Loch entdeckt“

Kim Hermann

Künstlerische Darstellung eines Systems im All; eine geschwungene rote Linie zeigt den Orbit eines Schwarzen Lochens, zwei blaue Linien zeigen jeweils die Umlaufbahn eines Sternes

ESO/L. Calçada Lizenz: CC BY 4.0

In der Milchstraße befinden sich vermutlich zwischen hundert Millionen und einer Milliarde Schwarze Löcher, schätzen Astronomen. Entdeckt haben sie davon allerdings erst zwei Dutzend. Denn die meisten Schwarzen Löcher sind inaktiv – und damit unsichtbar für Teleskope. Wie Forscher ein solches „stilles“ Schwarzes Loch nun dennoch aufgespürt haben und was der Fund für die Wissenschaft bedeutet, berichtet der Astrophysiker Dietrich Baade von der Europäischen Südsternwarte in Garching im Interview mit Welt der Physik.

Welt der Physik: Sie und Ihre Kollegen haben das bisher erdnächste Schwarze Loch entdeckt. Wo befindet es sich genau?

Porträt des Astrophysikers Dietrich Baade

Dietrich Baade

Dietrich Baade: Das von uns aufgespürte Schwarze Loch liegt im Sternbild Telescopium und ist etwa tausend Lichtjahre von uns entfernt. Zum Vergleich: Unsere Galaxie hat einen Durchmesser von etwa hunderttausend Lichtjahren.

Was ist bislang über dieses Schwarze Loch bekannt?

Es handelt sich um ein stellares Schwarzes Loch. Solche Objekte entstehen, wenn ein massereicher Stern am Ende seiner Lebenszeit als Supernova explodiert. Die Sternhülle wird dabei abgestoßen und der Kern des Sterns kollabiert zu einem Schwarzen Loch. Die gesamte Masse eines Schwarzen Lochs konzentriert sich in seinem Zentrum. Dadurch ist die Gravitation eines Schwarzen Lochs so stark, dass selbst Licht ihm nicht mehr entweichen kann.

Das dürfte es schwierig machen, diese Objekte zu beobachten?

Ja, da Schwarze Löcher keine Strahlung aussenden, die sich mit Teleskopen oder Satelliten einfangen ließe, kann man sie niemals direkt beobachten. Befindet sich allerdings Materie – das können beispielsweise Gaswolken sein – in der Nähe eines Schwarzen Lochs, wird diese von der enormen Anziehungskraft erfasst. Die Materie bewegt sich immer schneller auf das Zentrum des Schwarzen Lochs zu, wobei sie sich auf Temperaturen von bis zu mehreren Millionen Grad Celsius erhitzt und dadurch hell aufleuchtet. Die freigesetzte Röntgenstrahlung können wir dann mit unseren Satelliten nachweisen – und so indirekt das Schwarze Loch beobachten. Auf diese Art und Weise hat man bisher etwa zwei Dutzend Schwarze Löcher in der Milchstraße entdeckt. Doch wir gehen davon aus, dass es noch viel mehr Schwarze Löcher in unserer Galaxie geben muss.

Woher weiß man, dass es so viele Schwarze Löcher gibt?

Wir wissen in etwa, wie viele Sterne in unserer Galaxie eine ausreichend große Masse haben, um am Ende ihrer Lebenszeit zu einem Schwarzen Loch zu kollabieren. Vergleicht man nun die Lebenserwartung dieser Sterne mit dem Alter der Milchstraße, lässt sich abschätzen, wie viele Sterne sich bereits zu einem Schwarzen Loch entwickelt haben. So kommt man auf Zahlen zwischen hundert Millionen und einer Milliarde Schwarzer Löcher. Und es gibt höchstwahrscheinlich zahlreiche Exemplare, die sich noch näher an unserem Sonnensystem befinden als das nun aufgespürte Objekt. Die geringe Distanz zur Erde ist also nicht das wirklich Spannende an unserem Fund. Vielmehr ist es die Tatsache, dass die meisten dieser vielen Schwarzen Löcher inaktiv sind: Es befindet sich keine Materie in ihrer Nähe, die diese „stillen“ Schwarzen Löcher sichtbar macht. Uns ist es nun dennoch gelungen, solch ein stilles Schwarzes Loch zu entdecken.

Wie haben Sie das geschafft?

Ein Schwarzes Loch zu finden, war ursprünglich eigentlich gar nicht unser Ziel. Wir haben einen Stern im Sternbild Telescopium beobachtet, der mit dem bloßen Auge von der Südhalbkugel sichtbar ist. Dabei haben wir zunächst festgestellt, dass sich in dem System namens HR 6819 noch ein zweiter Stern befindet, der mit dem ersten Stern um ein gemeinsames Zentrum kreist. Weitere Beobachtungen zeigten dann, dass der zweite Stern ein weiteres Objekt umrunden muss – und zwar auf einem viel kleineren Orbit und mit einer Geschwindigkeit von etwa sechzig Kilometern pro Sekunde. Um die gewaltige Masse eines Sterns auf diese Geschwindigkeiten zu bringen, ist eine enorme Kraft nötig. Das lässt sich nur mit einem extrem massereichen Objekt in der Nähe des Sterns erklären, das den Stern über seine Gravitation auf eine Kreisbahn zwingt. Weil wir in unseren Beobachtungsdaten allerdings kein weiteres Objekt direkt entdecken konnten, war uns klar, dass es sich um ein stilles Schwarzes Loch handeln muss.

ESO/L. Calçada | Lizenz: CC by 4.0

Sie haben gerade erwähnt, dass sich viele Schwarze Löcher vermutlich noch näher an der Erde befinden als das nun entdeckte. Kann das für uns gefährlich werden?

Nein, denn sie sind dennoch mehrere Lichtjahre von uns entfernt. Schwarze Löcher besitzen zwar ein sehr starkes Gravitationsfeld, allerdings ist die anziehende Kraft nur in der nahen Umgebung groß genug, um Objekte tatsächlich in das Schwarze Loch zu ziehen. Somit sind Schwarze Löcher nicht gefährlicher als andere Himmelskörper wie etwa die Sonne, der sich ein Mensch auch nicht unbeschadet auf wenige Tausend Kilometer nähern kann. Um Schwarze Löcher in unserer kosmischen Nachbarschaft müssen wir uns also keine Sorgen machen.

Das ist beruhigend. Wie lassen sich die aktuellen Ergebnisse für die künftige Suche nach stillen Schwarzen Löchern nutzen?

Wir wissen nun beispielsweise, wie sich ein Schwarzes Loch in einem Dreifachsystem bemerkbar macht und können gezielt nach weiteren inaktiven Schwarzen Löchern suchen. So handelt es sich bei dem System LB-1, in dem Forscher erst kürzlich ein erstaunlich massereiches Schwarzes Loch vermuteten, möglicherweise auch um ein Dreifachsystem. Unsere Beobachtung ist also ein erster Schritt auf der Suche nach all den Schwarzen Löchern, die bisher noch unentdeckt blieben.

Was erhoffen Sie sich von weiteren Funden?

Je mehr dieser inaktiven Schwarzen Löcher wir finden, desto besser verstehen wir auch die Sternenexplosionen, die zur Bildung der Schwarzen Löcher führen. In dem von uns entdeckten System bewegen sich der innere Stern und das Schwarze Loch beispielsweise auf einer nahezu perfekten Kreisbahn. Das hat uns überrascht. Denn wir hätten erwartet, dass durch die Wucht der Supernova-Explosion eine elliptische Umlaufbahn entsteht. Erst mit der Entdeckung weiterer Schwarzer Löcher wird sich zeigen, ob es sich bei dieser Beobachtung um einen Zufall handelt oder ob wir unsere Vorstellung von Supernovae anpassen müssen.

Quelle: https://www.weltderphysik.de/gebiet/universum/schwarze-loecher/wir-haben-ein-stilles-schwarzes-loch-entdeckt/