„Wir wollen einen Asteroiden ablenken“

Gabriele Schönherr

Die Illustration zeigt zwei Gesteinskörper und einen Quader mit zwei Sonnensegeln.

NASA/Johns Hopkins APL/Steve Gribben

Es klingt wie Science-Fiction: Am frühen Morgen des 27. September soll zum ersten Mal in der Geschichte der Raumfahrt eine Raumsonde der NASA absichtlich mit hoher Geschwindigkeit in den Asteroiden Dimorphos einschlagen und ihn so von seinem Kurs ablenken. Zwar stellt Dimorphos keine Gefahr für die Erde dar, aber sollte ein Asteroid zukünftig die Erde bedrohen, ließen sich die Erkenntnisse aus diesem Test für eine Abwehr nutzen. Um den kontrollierten Einschlag mit etwa 24 000 Kilometern pro Stunde vorzubereiten, simulierten Sabina Raducan von der Universität Bern und ihre Kollegen im Vorhinein die Kollision der Sonde mit dem Asteroiden. Im Interview berichtet die Astrophysikerin, was genau am 27. September geschehen könnte und welche Erkenntnisse sie sich davon erhofft.

Das Bild zeigt die Forscherin, im Hintergrund sind Häuser und Bäume zu sehen.

Sabina Raducan

Welt der Physik: Wie wahrscheinlich ist es, dass die Erde in naher Zukunft durch Asteroideneinschläge bedroht ist?

Sabina Raducan: Ein Asteroideneinschlag ist zwar ein unwahrscheinliches, aber potenziell sehr folgenschweres bis katastrophales Naturereignis. Wir wissen, dass es immer wieder zu Einschlägen kommt – wie etwa zuletzt 2013 in Tscheljabinsk. In den letzten Jahrhunderten hatten wir das Glück, dass die Einschläge entweder klein waren oder vorwiegend unbewohnte Gebiete trafen. Mittlerweile würden wir einen bevorstehenden großen Einschlag lange – vielleicht sogar Jahrzehnte – im Voraus erkennen und könnten etwas dagegen unternehmen. Deswegen versuchen wir jetzt einen Plan zu entwickeln, um vorbereitet zu sein.

Und wie sieht dieser Plan aus?

Der einfachste Weg der Asteroidenabwehr ist es, ein Geschoss ins Weltall zu schicken, das mit hoher kinetischer Energie in den Asteroiden einschlägt und ihn von seiner Bahn ablenkt. Zumindest in der Theorie funktioniert das. Die DART-Mission der NASA – kurz für Double Asteroid Redirection Test – wird dieses Vorgehen jetzt erstmals praktisch proben. Die DART-Sonde wurde letzten November ins Weltall geschossen und wird am frühen Morgen des 27. September ihr Ziel erreichen und auf dem Asteroiden Dimorphos einschlagen. Dimorphos ist mit 160 Metern Durchmesser relativ klein und bildet gemeinsam mit Didymos ein Doppel-Asteroiden-System. DART ist in erster Linie eine planetare Verteidigungsmission und ein Technologietest. Deswegen soll die Hera-Mission der europäischen Weltraumorganisation ESA im Jahr 2024 folgen und Dimorphos zwei Jahre später erreichen. Mit Hera wollen wir dann die Bahnveränderung des Asteroiden genau vermessen und Daten zur Struktur und Zusammensetzung von Dimorphos sammeln.

Wie wird der Asteroid durch den Einschlag abgelenkt?

Durch den Einschlag der DART-Sonde entsteht zunächst ein Krater. Die dabei ausgeworfene Materie wird dem Asteroiden – ähnlich wie beim Ausstoß einer Rakete – einen zusätzlichen Impuls geben und ihn dadurch aus seiner Bahn ablenken. Die große Frage ist, wie stark Dimorphos abgelenkt wird. Das werden wir mithilfe von verschiedenen Bildern untersuchen: Vor dem Einschlag wird die Raumsonde den LICIACube, einen Kleinstsatelliten der italienischen Raumfahrtagentur ASI, abwerfen, der im Vorbeiflug erste Bilder vom Auswurf aus dem Krater machen wird. Großteleskope auf der Erde und Weltraumteleskope wie Hubble und das James-Webb-Teleskop werden zusätzliche Bilder liefern. Für genauere Messungen müssen wir aber noch etwas warten, bis Hera in vier Jahren mit weiteren Instrumenten vor Ort ist.

Was denken Sie, wie stark der Asteroid abgelenkt werden wird?

Wie sehr wir den Asteroiden ablenken können, hängt stark davon ab, woraus der Asteroid besteht. Allein in unserem Sonnensystem gibt es unzählige Asteroiden und jeder hat eine andere Zusammensetzung und Struktur. Lange dachten wir, dass Asteroiden sehr harte Oberflächen haben. Neuere Beobachtungen haben aber Objekte gezeigt, die eine extrem lockere innere Struktur besitzen und gerade noch so durch ihre eigene Schwerkraft zusammengehalten werden. Gemeinsam mit meinem Team habe ich deswegen den Aufprall der Sonde auf den Asteroiden im Vorhinein für verschiedene mögliche Zusammensetzungen und Oberflächenstrukturen des Asteroiden modelliert.

Die Infografik zeigt das Doppel-Asteroiden-System, die Raumsonde DART sowie die Umlaufbahn von Dimorphos um Didymos.

DART-Mission

Wie gehen Sie bei Ihren Simulationen vor?

Wir modellieren die Kraterbildung nach dem Einschlag der Sonde mithilfe von Computersimulationen. Dafür verwenden wir als Grundlage beispielsweise Erkenntnisse aus Laborexperimenten. Bislang waren solche Simulationen allerdings auf feste Objekte ausgerichtet, auf denen sich innerhalb von wenigen Sekunden ein Krater durch einen Einschlag bildet. Denn bis vor kurzem war es nicht möglich, Systeme bei sehr niedriger Schwerkraft und von sehr geringer Festigkeit zu untersuchen: In typischen Laborexperimenten können wir diese Situation schon aufgrund der Schwerkraft der Erde nicht nachstellen und theoretische Simulationen von solchen Objekten hätten viel zu lange gedauert. Wir mussten also erst einige neue numerische Tricks einführen, um den Einschlagsprozess auch für losere Objekte zu simulieren. Das war wichtig, denn wir glauben, dass das Innere von Dimorphos tatsächlich eine sehr viel losere Struktur besitzt als zuvor angenommen. Dann würde durch den Aufprall der Sonde nicht nur ein kleiner Krater entstehen, wie wir ursprünglich dachten, sondern der Asteroid würde komplett deformiert werden.

Was haben Sie mit Ihren Simulationen noch über den Einschlag auf Dimorphos herausgefunden?

Die Geschwindigkeit von Dimorphos kann sich durch den Einschlag um wenige Millimeter pro Sekunde bis zu mehreren Metern pro Sekunde ändern – wir erwarten aber zurzeit, dass sich die Geschwindigkeit um wenige Zentimeter pro Sekunde ändern wird. Der Unterschied ist wichtig zu verstehen, denn im Ernstfall möchte man einen für uns gefährlichen Asteroiden ja stark genug ablenken, damit er die Erde verfehlt. Wenn der Asteroid noch weit genug entfernt ist, genügt dafür zwar eine minimale Bahnänderung. Aber wir müssen trotzdem wissen: Reicht es aus, eine einzelne Sonde zu senden? Brauchen wir mehrere Sonden? Wie viele sind zu viele und würden den Asteroiden sprengen?

Erwarten Sie von den Missionen neue Erkenntnisse über Asteroiden?

Da noch nie ein Einschlag auf dieser Größenskala getestet wurde, bietet sich damit auch die Möglichkeit unsere theoretischen Modelle zu überprüfen. Und falls unsere theoretischen Vorhersagen nicht zutreffen sollten, müssen wir herausfinden, warum das so ist. Mit Hera wollen wir auch besser verstehen, woraus Dimorphos im Einzelnen besteht. Da er der kleinste Asteroid ist, dem wir in nächster Zeit derart nahekommen, werden uns die Daten dabei helfen, Asteroiden besser zu verstehen. Asteroiden sind schließlich die Überbleibsel aus der Entstehung unseres Sonnensystems – wir werden also auch neue Erkenntnisse über die Entstehung der Planeten in unserem Sonnensystem gewinnen.

Wo werden Sie selbst den 27. September, den „DART Impact Day“, verbringen?

Am Johns Hopkins University Applied Physics Laboratory APL in den USA, wo ein Großteil der Raumsonde gebaut wurde, und an diesem Tag fast das gesamte Team aus Forschern und Ingenieuren vor Ort sein wird. Auf diesen Moment haben wir viele Jahre hingearbeitet und fiebern dem Ereignis natürlich alle entgegen. Wenn wir Erfolg haben, wird das eine große Feier. Bevor die DART-Sonde durch den Aufprall zerstört wird, wird sie beim Annähern Bilder machen und live an uns auf die Erde funken. Alle können das über eine Live-Übertragung direkt mitverfolgen.

Wenn Sie Videos von YouTube anschauen, werden Daten an YouTube in die USA übermittelt.

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Quelle: https://www.weltderphysik.de/gebiet/universum/von-meteoriten-bis-kleinplaneten/sonnensystem-wir-wollen-einen-asteroiden-ablenken/