Kollisionen zur Entstehungszeit der Erde

Dirk Eidemüller

Asteroiden im All, im Hintergrund die Erde

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Schon seit geraumer Zeit rätseln Planetenforscher über die Zusammensetzung des Gesteins auf unserer Erde. Denn obwohl sich die Erde ursprünglich aus dem gleichen Material wie etwa Asteroiden gebildet hat, unterscheidet sich die atomare Zusammensetzung der Erdkruste von der anderer, kleinerer Himmelskörper. Ein Forscherteam hat nun die Häufigkeit bestimmter Atomsorten in verschiedenen Meteoriten untersucht und diese mit irdischen Proben verglichen. Dabei fanden sie eine mögliche Erklärung für die Unterschiede: Heftige Meteoritenhagel könnten die Kruste der Erde in ihrer Entstehungsphase immer wieder abgetragen und dadurch ihre Zusammensetzung verändert haben, wie die Forscher im Fachjournal „Science“ berichten.

Vor etwa 4,5 Milliarden Jahren entstand unser Sonnensystem aus einer Scheibe aus Gas und Staub. Zunächst bildeten sich unzählige kleinere Himmelskörper, die dann schrittweise miteinander kollidierten und zu Asteroiden, Monden und Planeten heranwuchsen. Damit sich ein Planet wie unsere Erde bilden konnte, waren hunderttausende Kollisionen kleinerer Körper notwendig. Paul Frossard von der Universität Clermont-Auvergne in Clermont-Ferrand und der ETH Zürich und seine Kollegen wollten nun die Prozesse, die dabei eine Rolle spielten, besser verstehen. Dazu untersuchten sie Meteoriten, in denen die ursprüngliche atomare Zusammensetzung des Materials noch genauso wie zur Entstehungszeit unseres Sonnensystems erhalten war.

Zunächst haben die Forscher bestimmt, wie häufig spezielle Isotope sowohl in irdischem Gestein als auch im Meteoritenmaterial vorkommen. Als Isotope bezeichnet man Varianten eines bestimmten Elements, die sich lediglich in der Anzahl an Neutronen in ihrem Atomkern unterscheiden. Frossard und seine Kollegen interessierten sich vor allem für das Verhältnis zweier Isotope des Seltenerdmetalls Neodym – Neodym-142 und Neodym-144. Die beiden Isotope kommen natürlicherweise vor, wobei das leichtere Neodym-142 auch beim radioaktiven Zerfall des Elements Samarium entstehen kann.

Wie die Analysen zeigten, besitzt irdisches Gestein verglichen mit den Meteoriten ein größeres Mengenverhältnis an Neodym-142 gegenüber Neodym-144. Nachdem die Forscher mit Hilfe weiterer Messungen andere Erklärungen ausschließen konnten, blieb vor allem eine stichhaltige Erklärung für dieses Verhältnis übrig: Im Gegensatz zu Asteroiden und Kometen hat die Erde – genau wie andere große Himmelskörper – geochemische Prozesse durchgemacht: Schwere Elemente wie Eisen und Nickel sind in den Erdkern gesunken, und im darüberliegenden Erdmantel und in der außen liegenden Erdkruste haben sich Silikate angelagert. Sowohl Neodym als auch Samarium verbinden sich bevorzugt mit Silikaten, auch wenn sie zu den schweren Elementen zählen – Neodym mit solchen aus der Erdkruste, Samarium mit solchen aus dem Erdmantel. Deshalb haben sich diese Elemente nach Ansicht der Forscher in der Urzeit unseres Planeten dort angereichert.

Durch die ständige Bombardierung mit kleineren Himmelskörpern wurde das Krustenmaterial dann häufig erodiert und entwich ins All. So reduzierte sich der Neodymanteil in der Erdkruste – bis der ständige Meteoritenhagel irgendwann nachließ. Währenddessen verblieb das Samarium tiefer in der Erde, wo es besser geschützt war. Im Lauf der Jahrmillionen zerfiel es zu dem Isotop Neodym-142 und gelangte dann bis zur Erdkruste – zu einer Zeit, als kaum mehr Meteoriten auf die Erde trafen. Dadurch ist in der Erdkruste heute ein erhöhter Anteil an Neodym-142, dem Zerfallsprodukt von Samarium, zu finden.

Aus dem Vergleich der Zahlenverhältnisse schlossen die Forscher, dass offensichtlich bis zu 20 Prozent des Materials der jungen Erde aufgrund solcher Kollisionen ins All entwichen ist – es fand also eine massive Erosion der irdischen Oberfläche statt. Dieser Prozess könnte auch erklären, warum in der Erdkruste andere Elemente wie Uran, Kalium und Thorium deutlich seltener vorkommen als erwartet.

Quelle: https://www.weltderphysik.de/gebiet/erde/nachrichten/2022/sonnensystem-kollisionen-zur-entstehungszeit-der-erde/