„Neue Orte für Leben im Weltall“

Denise Müller-Dum und Jens Kube

Schwarz-weiß-Bild eines riesigen Himmelskörpers mit zwei kleineren Himmelskörpern davor, gesehen von einem felsigen Planeten aus mit einem Gewässer, in dem sich der Himmelskörper spiegelt

Erzeugt mit der KI-Software Midjourney durch Giulia Roccetti, Tommaso Grassi, Barbara Ercolano, Karan Molaverdikhani, Aurélien Crida, Dieter Braun, Andrea Chiavassa

Nicht alle Planeten im Universum kreisen um einen Stern: Es gibt erstaunlich viele Planeten, die sich mit ihren Monden frei durchs Weltall bewegen. Forschende vermuten sogar, dass auch in solchen Systemen die Voraussetzungen für Leben gegeben sein könnten – obwohl die Wärme eines Sterns fehlt. Mithilfe von Simulationen haben Astronominnen und Astronomen nun die Lebensbedingungen auf Monden von jupiterähnlichen, freifliegenden Planeten im Detail analysiert. Ob dort geeignete Bedingungen herrschen können, damit Wasser in flüssiger Form existieren kann, berichtet Barbara Ercolano von der Ludwig-Maximilians-Universität München im Interview mit Welt der Physik.

Welt der Physik: Was ist die Voraussetzung für Leben auf anderen Himmelskörpern?

Porträt der Wissenschaftlerin Barbara Ercolano

Barbara Ercolano

Barbara Ercolano: Wir gehen davon aus, dass Wasser in flüssiger Form existieren muss – denn Wasserdampf oder Eis sind für die Entwicklung von Leben nicht hilfreich. Auf der Suche nach Leben auf anderen Himmelskörpern prüft man deshalb als erstes, welche Oberflächentemperatur dort herrscht. Bei Planeten, die um Sterne kreisen, hängt das natürlich eng mit der Entfernung vom Zentralstern zusammen, weil von dort die meiste Hitze kommt. Bei freifliegenden Planeten und ihren Monden ist das etwas anders. Dort kommt die Wärme nicht von einem Zentralstern, sondern beispielsweise aus der Gezeitenreibung. Auch so kann eine ausreichende Oberflächentemperatur herrschen, um theoretisch Leben zu ermöglichen.

Wie entstehen freifliegende Planeten überhaupt?

Es gibt dazu verschiedene Theorien. Sehr wahrscheinlich handelt es sich um Planeten, die wie andere Planeten auch in der protoplanetaren Scheibe eines Sterns entstanden sind. Wenn sich in einem Sternsystem aber zu viele Planeten formen, kommen sie sich gegenseitig in die Quere. Die dynamische Wechselwirkung zwischen ihnen führt dazu, dass manche Planeten keine stabile Bahn um den Stern finden. Sie werden dann einfach aus dem System herauskatapultiert – das kann kleinen und großen Planeten passieren.

Wie viele freifliegende Planeten gibt es denn?

Beobachtet wurden bisher einige hundert freifliegende Planeten. Das klingt zwar nicht nach viel. Aber man muss sich klarmachen, dass sie viel schwieriger zu finden sind, denn man kann nicht – wie sonst üblich – in der Umgebung von Sternen nach ihnen suchen. Freifliegende Planeten könnten also überall sein. In der Regel werden sie durch den Gravitationslinseneffekt gefunden: Befindet sich zwischen uns und einem Stern, den wir beobachten, ein freifliegender Planet, würde man das am Weg des Lichts erkennen. Denn durch ihre Masse krümmen die Planeten den Raum und verändern so den Lichtweg. Man findet freifliegende Planeten also am ehesten durch Zufall. Mithilfe statistischer Modelle können wir aber hochrechnen, wie viele freifliegende Planeten es im Weltall insgesamt gibt. Wir vermuten, dass es etwa doppelt so viele freifliegende Planeten wie Sterne im Weltall gibt – das ist also eine ganze Menge.

Wie haben Sie nun überprüft, ob die Monde von freifliegenden Planeten potenzielle Orte für Leben sind?

Dafür haben wir als erstes versucht herauszufinden, wie hoch die Oberflächentemperatur auf solchen Exomonden ist. In unserer Studie haben wir uns auf Planeten konzentriert, die so groß sind wie Jupiter, mit Monden von der Größe der Erde. Für solche Systeme haben wir als erstes den Rauswurf aus dem Planetensystem mithilfe von Computermodellen simuliert. Diese Analyse hat ergeben, dass die Monde das Austrittsereignis überstehen können, wenn sie relativ eng an ihren Planeten gebunden sind. Allerdings ändert sich dabei ihre Umlaufbahn: Sie wird ovaler – wir sagen, die Exzentrizität der Bahn erhöht sich. Der Abstand zwischen Mond und Planet schwankt also stark, je nachdem, wo auf seiner Umlaufbahn sich der Mond befindet. Dadurch wirken variierende Gezeitenkräfte zwischen Mond und Planet, wodurch der Mond quasi durchgeknetet wird und sich aufheizt. Darüber hinaus haben wir in unseren Simulationen berücksichtigt, dass die Monde eine Atmosphäre haben können. In unserem Fall sind wir von einer Atmosphäre aus reinem Kohlenstoffdioxid, ähnlich wie auf der Venus, ausgegangen. Diese sorgt durch den Treibhauseffekt dafür, dass die Wärme auf der Oberfläche bleibt. Auf diese Weise konnten wir die Oberflächentemperatur auf diesen Exomonden abschätzen.

Sternenhimmel; durch rote Kreise sind sehr viele Himmelskörper markiert

Freifliegende Planeten

Welche anderen Voraussetzungen müssen erfüllt sein, um Leben auf einem Exomond zu ermöglichen?

Die Exzentrizität der Umlaufbahn verringert sich mit der Zeit aufgrund der Gezeitenreibung. Das hat zur Folge, dass die Gezeitenheizung irgendwann zum Erliegen kommt. Die Frage, die wir uns gestellt haben, war also: Wo findet man auf Exomonden die richtige Temperatur für flüssiges Wasser, und zwar für ausreichend lange Zeiträume, damit sich Leben überhaupt entwickeln kann – also über hunderte Millionen Jahre lang? Wir haben festgestellt, dass Monde mit einer engen Umlaufbahn nicht nur die größte Chance haben, den Rauswurf aus ihrem Planetensystem zu überleben, sondern dass bei ihnen auch die Gezeitenheizung am längsten in Gang bleibt.

Welche Konsequenz ziehen Sie aus Ihrer Studie?

Wir haben durch unsere rein theoretische Arbeit neue Orte im Weltall identifiziert, auf denen die Voraussetzungen für Leben gegeben sind. Damit wollen wir die beobachtende Wissenschaft motivieren, dorthin zu schauen – beispielsweise mit dem James-Webb-Weltraumteleskop. Aber es wird in den nächsten Jahren auch noch weitere Missionen geben, die gezielt die Atmosphären von Exoplaneten untersuchen werden. Diesen möchten wir die Erkenntnis mitgeben, dass das Potential für Entdeckungen bei den Monden freifliegender Planeten sehr groß ist.

Was werden Sie als Nächstes untersuchen?

Wir wollen unsere Modelle erweitern, denn kleine Details in der Programmierung können große Auswirkungen auf die Ergebnisse haben. Wir arbeiten beispielsweise mit Forschenden zusammen, die aus der Geologie eines Himmelskörpers die Zusammensetzung seiner Atmosphäre berechnen können. Das ist natürlich deutlich realistischer als unsere vereinfachte Annahme einer reinen Kohlenstoffdioxid-Atmosphäre. Je realistischer unser Modell wird, desto genauere Hinweise können wir der beobachtenden Astronomie geben, sodass wir wirklich wissen, wo es sich hinzuschauen lohnt.

Quelle: https://www.weltderphysik.de/gebiet/universum/exomonde-neue-orte-fuer-leben-im-weltall/