Der CO2-Haushalt der Wälder

Jan Oliver Löfken

Tropischer Regenwald, aus dem Nebel aufsteigt

Ramdan_Nain/iStock

Etwa 30 Prozent der Kohlendioxidemissionen werden zurzeit von Pflanzen – vor allem in den großflächigen Wäldern der Tropen, Kanadas und Sibiriens – aufgenommen und als Biomasse gespeichert. Eigentlich wirken sich diese CO2-Senken bremsend auf den Klimawandel aus, doch auch dieser positive Effekt leidet unter den steigenden Temperaturen. Bis zur Mitte dieses Jahrhunderts könnte sich die Fähigkeit zur CO2-Speicherung der Pflanzen fast halbieren, warnen nun Wissenschaftler. Dieses Szenario resultiert aus einer Analyse des CO2-Haushalt von Ökosystemen an Land auf Basis von Messdaten zwischen den Jahren 1991 und 2015, wie die Wissenschaftler in der Fachzeitschrift „Science Advances“ berichten.

Der CO2-Haushalt von Ökosystemen ergibt sich aus dem ausgeklügelten Stoffwechsel von Grünpflanzen. Tagsüber nehmen sie Kohlendioxid für die Photosynthese auf und speichern den Kohlenstoff als Biomasse. Nachts erzeugen die Pflanzen über die sogenannte Dunkelatmung ihre Energie, indem sie Kohlenhydrate und Sauerstoff verbrauchen und Kohlendioxid freisetzen. Bislang überwiegt die Aufnahme von CO2, doch mit steigenden Temperaturen nehmen zunächst sowohl die Photosynthese als auch die Pflanzenatmung zu. Wird jedoch die für die Photosynthese optimale Temperatur überschritten, sinkt deren Effizienz, wogegen die Dunkelatmung immer weiter zunimmt. So nimmt schrittweise die Menge an aufgenommenem CO2 ab, bis die Pflanzen im Extremfall sogar mehr CO2 abgeben als aufnehmen könnten.

Genau diesen Extremfall nahmen Katharyn Duffy vom Center for Ecosystem Science and Society in Flagstaff und ihre Kollegen genauer unter die Lupe. Für ihre Analyse nutzten sie die Daten von FLUXNET – einem globalen Netzwerk von Messtürmen, die den Austausch von Kohlendioxid, Wasserdampf und Energie zwischen Biosphäre und Atmosphäre detektieren. Mithilfe dieser Daten ermittelten die Wissenschaftler für jeden Turmstandort, wie sich die Photosynthese und die Pflanzenatmung abhängig von den Temperaturen zwischen den Jahren 1991 und 2015 veränderten. Ausgehend von den aktuellen CO2-Emissionen und der dadurch wahrscheinlichen Erwärmung, kalkulierten Duffy und ihre Kollegen den CO2-Haushalt der Pflanzen bis zum Ende dieses Jahrhunderts. Die Analysen ergaben, dass große CO2-Senken – etwa Regen- und Taigawälder – bereits bis Mitte des Jahrhunderts mehr als 45 Prozent ihrer Fähigkeit zur Kohlenstoffspeicherung verlieren könnten. Ende des Jahrhunderts würde demnach sogar die kritische Temperatur überschritten, ab der etwa die Hälfte aller Landökosysteme schneller CO2 in die Atmosphäre abgeben als speichern.

„Tropische Regenwälder – die den Löwenanteil an Kohlenstoff speichern – sind dann die ersten Ökosysteme, die ihren Temperatur-Kipppunkt erreichen“, sagt Duffy. Das sei alarmierend, weil sie so nicht nur mehr Kohlenstoff in die Atmosphäre abgeben, sondern auch zu einer zusätzlichen Erwärmung führen könnten. Dieses Szenario ist aber bislang noch umstritten. So zeigte vor vier Jahren eine Laborstudie, dass sich Pflanzen durchaus an höhere Temperaturen anpassen können und weniger CO2 abgeben als bisher angenommen. Auch sieht Markus Reichstein vom Max-Planck-Institut für Biogeochemie in Jena in der aktuellen Studie viele Möglichkeiten für Extrapolationsfehler. „Insofern wäre ich den Schlussfolgerungen gegenüber skeptisch, zumindest würde ich sie so nicht aus den Daten ablesen wollen“, sagt Reichstein. Weitere Studien und Analysen sind demnach nötig, um den CO2-Haushalt der großen Wälder der Erde besser abzuschätzen.

Quelle: https://www.weltderphysik.de/gebiet/erde/nachrichten/2021/der-co2-haushalt-der-waelder/