„Künstliche Photosynthese ist heute schon möglich“

Gabriele Schönherr

Das Foto zeigt den Ausschnitt eines Blatts, auf dem sich kleine Wassertropfen befinden und auf das Sonnenlicht fällt.

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Elektrischer Strom lässt sich nicht einfach lagern – Brennstoff dagegen schon. Deswegen forschen weltweit Fachleute an Verfahren, um nachhaltigen Brennstoff aus erneuerbaren Energien zu gewinnen. Ein vielversprechender Ansatz ist die künstliche Photosynthese, mit der sich Sonnenenergie in chemischen Bindungen speichern lässt. Da während der Photosynthese außerdem Kohlenstoffdioxid gebunden wird, könnten entsprechende Anlagen auf lange Sicht möglicherweise sogar den CO2-Zyklus der Atmosphäre wieder etwas ins Gleichgewicht bringen. Im Interview mit Welt der Physik erzählt Holger Dau von der Freien Universität Berlin, welche neuen Einblicke in die biologische Photosynthese ihm und seinem Team nun gelungen sind und wie dieses Wissen die künstliche Photosynthese nochmals voranbringen könnte.

Welt der Physik: Warum interessieren Sie sich für biologische Photosynthese?

Porträt des Forschers Holger Dau

Holger Dau

Holger Dau: Unsere ursprüngliche Motivation, die biologische Photosynthese weiter zu untersuchen, war gar nicht eine technische Anwendung. Die biologische Photosynthese ist ein fantastischer Prozess, der uns Sauerstoff in der Erdatmosphäre beschert und damit das gesamte heutige Leben ermöglicht hat. Pflanzen, Algen und Bakterien zerlegen Kohlendioxid und Wasser mithilfe von Sonnenlicht und setzen es, unterstützt durch spezielle chemische Stoffe – sogenannte Katalysatoren – neu zu Zucker und Sauerstoff zusammen. Dieser Vorgang ist wahrscheinlich seit drei Milliarden Jahren auf die gleiche einzigartige Weise vonstattengegangen. Dennoch haben wir ihn bis heute nicht vollständig verstanden – das zu ändern, ist unsere zentrale Motivation. Zudem versucht man bereits seit einigen Jahren, die Photosynthese künstlich nachzuahmen.

Was genau bedeutet künstliche Photosynthese?

Bei künstlicher Photosynthese sprechen wir von Geräten beziehungsweise Anlagen, die lokal Sonnenenergie nutzen, um einen Brennstoff oder Wertstoff – beispielsweise Wasserstoff, Methan oder technisch wichtige Alkohole – zu gewinnen. Im Gegensatz zu vielen anderen Technologien hängt die künstliche Photosynthese nicht vom Stromnetz ab. Der Traum für einen Betrieb wäre: Auf eine Anlage scheint oben die Sonne und liefert die gesamte benötigte Energie und unten kommt der Brennstoff heraus – im einfachsten Fall Wasserstoff. Idealerweise wird dabei zusätzlich sogar Kohlenstoffdioxid, also CO2, aus der Atmosphäre als Rohstoff gebunden, ähnlich wie bei der biologischen Photosynthese.

Gibt es solche Anlagen schon?

Es gibt bereits Geräte, die sehr nah an den beschriebenen Idealfall heranreichen. Diese Geräte sind allerdings noch sehr teuer. Daneben gibt es aber auch kostengünstigere Prototypen, die Techniken der Photovoltaik und Wasserelektrolyse verbinden. Diese Anlagen wandeln in einem Zwischenschritt zunächst Sonnenenergie in Strom um. Der Strom speist dann einen sogenannten Elektrolyseur. Das ist ein Gerät für die Wasserspaltung, bei dem Wasser mithilfe von elektrischem Strom in seine Bestandteile zerlegt wird – einem zentralen Schritt der künstlichen wie auch biologischen Photosynthese. Solche kombinierten Systeme werden meiner Meinung nach die erste Generation von Anlagen für künstliche Photosynthese sein. Und diese erste Generation ist meiner Einschätzung nach in den nächsten fünf bis zehn Jahren umsetzbar.

Welche Herausforderungen stellen sich denn bei der Entwicklung solcher Anlagen?

Speziell der Schritt der Wasserspaltung ist bei der künstlichen Photosynthese mit hohen energetischen Verlusten behaftet. Edelmetalle als Katalysatoren können diese Verluste zwar etwas mindern, sind aber nur begrenzt verfügbar. Noch dazu arbeiten die meisten künstlichen Systeme mit Iridium als Katalysator, einem Element das deutlich seltener als Gold oder Platin vorkommt. Das schließt eine Hochskalierung solcher Anlagen auf globaler Ebene direkt aus. In der biologischen Photosynthese hingegen ist das relevante Katalysatorelement Mangan, das sehr gut verfügbar ist. Daher ist ein Ziel, dass wir bei der künstlichen Photosynthese genau wie bei der biologischen Photosynthese gut verfügbare Materialien als Katalysatoren nutzen: also Metalle wie Mangan, Eisen, Nickel, Kupfer oder Zink. Dafür müssen wir aber noch herausfinden, wie es in der Natur möglich ist, mithilfe von solchen Nichtedelmetallen ohne hohe Energieverluste Wasser zu spalten.

Wasserflasche, die eine Pflanze enthält neben einem großen Stein; daneben grafisch dargestellt ein chemischer Kreislauf aus verschiedenen Elementen

Reaktionszyklus der Photosynthese

Sind Sie diesem Ziel mit Ihren Experimenten einen Schritt nähergekommen?

Wir haben mit unseren Experimenten das nötige Wissen für verbesserte Anlagen für künstliche Photosynthese gewonnen, die weniger von Rohstoffen abhängen und geringere Energieverluste haben. Damit könnte man künstliche Wasserspaltungssysteme nach biologischem Vorbild gezielt edelmetallfrei designen: mit Katalysatoren, die auf häufig vorkommenden Materialien basieren. Allerdings gibt es noch eine Hürde: Biologische Systeme, die Photosynthese betreiben, sind nicht stabil. Bei starker Lichteinstrahlung werden chemische Nebenreaktionen in Gang gesetzt, die eine zentrale Proteineinheit des Systems funktionsunfähig machen. Deswegen erneuert sich diese Proteineinheit alle halbe Stunde selbstständig. Für künstliche Systemen ist eine zentrale Herausforderung, deren Stabilität über Jahre zu halten, eventuell sogar mit ähnlichen Selbstreparaturprozessen, die wir aber erst noch entwickeln müssen.

Was genau haben Sie untersucht?

Das wissenschaftliche Modell zum Reaktionszyklus der Photosynthese enthält einen bislang unverstandenen Zustand, der kurz vor der Sauerstoffbildung auftritt und den wir als „S4-Zustand“ bezeichnen. Es war bislang nicht einmal verstanden, ob und wie dieser rätselhafte Zustand überhaupt erreicht werden kann, da die Energiebarriere für die Reaktion eigentlich zu hoch ist. Auf diesen Zustand haben wir uns in unseren Experimenten konzentriert und herausgefunden, dass diese Energiebarriere durch die Kopplung mehrerer Prozessschritte gesenkt wird. Genauer gesagt läuft beim Aufspalten der Wassermoleküle der Transfer eines Elektrons synchron mit der Bewegung von vier Protonen. Das geschieht am Katalysator und nur so wird der Schritt zum S4-Zustand energetisch möglich. Diese Erkenntnis lässt sich zukünftig vermutlich auch auf künstliche Systeme übertragen: Als Katalysatoren für die Wasserspaltung sind Materialien geeignet, die den speziellen Elektronen- und Protonentransfer im Schritt zum S4-Zustand begünstigen. Neben den in der Praxis bereits erprobten Edelmetallen kommen dafür auch Verbindungen aus Nichtedelmetallen infrage – und diese können wir jetzt nach biologischem Vorbild designen.

Wie sind Sie experimentell vorgegangen?

Von der Vorbereitung des Experiments bis zur fertigen Auswertung der Daten hat es tatsächlich 15 Jahre gedauert. Wir haben bereits 2005 einen Artikel im Magazin „Science“ veröffentlicht, in dem wir uns dem S4-Zustand genähert haben. Mit unseren damaligen experimentellen Möglichkeiten hatten wir jedoch noch keinerlei Informationen über das Verhalten der Protonen. Dadurch blieb das Gesamtbild vage. Danach hatten wir die Idee, die sogenannte Infrarotspektroskopie einzusetzen, auch wenn das experimentell sehr aufwendig war. Als Testsystem für die biologische Photosynthese haben wir sogenannte Chloroplasten verwendet, die wir aus Spinat isoliert haben. Anstelle von Sonnenlicht wird der Reaktionszyklus mithilfe von Nanosekunden-Laserpulsen getrieben und wir messen die Infrarotspektren von aufeinanderfolgenden Zuständen. Diese Infrarotspektren verraten uns, wie schnell die Atome vibrieren – was wiederum davon abhängt, wo die einzelnen Protonen sitzen. So können wir die Position der Protonen über den Reaktionszyklus hinweg verfolgen. Das hat nun erstmals funktioniert, weil wir mittlerweile exakte Informationen aus der Strukturbiologie darüber haben, wie das restliche System aussieht.

Was wollen Sie als Nächstes erforschen?

Einerseits untersuchen wir die beobachteten biologischen Selbstreparaturprozesse weiter; andererseits gibt es neben dem S4-Zustand noch weitere komplexe Schritte im Reaktionszyklus, von denen wir zwar eine theoretische Vorstellung haben, die aber noch nicht experimentell belegt sind. Dazu haben wir bereits ein neues Experiment begonnen. Darüber hinaus wollen wir verstehen, inwieweit wir von den biologischen Prinzipien lernen und diese auf die nicht-biologischen Systeme übertragen können. Mir ist aber wichtig dabei zu betonen, dass unsere Erkenntnisse lediglich eine Optimierungsmöglichkeit für die künstliche Photosynthese bedeuten. Wir sollten daher nicht auf neue Erkenntnisse warten, sondern so schnell wie möglich künstliche Photosyntheseanlagen einsetzen. Denn das geht heute schon.

Quelle: https://www.weltderphysik.de/gebiet/technik/energie/erneuerbare-energien-kuenstliche-photosynthese-ist-heute-schon-moeglich/