„Noch nicht Teil der großen Klimamodelle“
Katharina Luckner
Große Teile der nördlichen Halbkugel unseres Planeten sind permanent gefroren und beherbergen viele Milliarden Tonnen Kohlenstoff aus abgestorbenen Pflanzen und Tieren. Erwärmt sich dieser Permafrost, wird der Kohlenstoff teilweise freigesetzt und gelangt in Form von Kohlenstoffdioxid oder Methan in die Erdatmosphäre. Diese Treibhausgase haben wiederum einen Einfluss auf den Klimawandel. Im Interview mit Welt der Physik erklärt Torsten Sachs vom GeoForschungsZentrum Potsdam, wie Forscher die Menge an frei werdenden Treibhausgasen in den schwer zugänglichen Gebieten des Permafrosts untersuchen.
Welt der Physik: Was ist Permafrost?
Torsten Sachs: Per Definition ist Permafrost Boden oder Fels, der länger als zwei Jahre gefroren bleibt. Aus welchem Material dieser Boden besteht, spielt dabei keine Rolle. Der Permafrost, mit dem wir uns heute beschäftigen, ist allerdings schon seit Tausenden von Jahren gefrorener Erdboden oder – wie hier in Mitteleuropa – gefrorenes Gestein in den Alpen.
Mal abgesehen von den Alpen, wo kommt Permafrost noch vor?
Ein Viertel der Landfläche in der nördlichen Hemisphäre ist von Permafrost geprägt. Die größten Flächen befinden sich in Russland, vor allem in Sibirien, und Nordamerika. In Sibirien reicht der Permafrost häufig auch sehr tief in die Erde: Wo es während der Eiszeiten keine Gletscher gab, kann der Permafrost eine Tiefe von bis zu 1600 Metern haben. In Europa kommt Permafrost außerhalb der Hochgebirge nur noch im nördlichsten Teil Skandinaviens und Russlands – und natürlich auf Spitzbergen und Grönland vor. In Deutschland findet sich Permafrost nur noch auf der Zugspitze.
Welche Rolle spielt Permafrost im Klimawandel?
Im Permafrost ist unglaublich viel Kohlenstoff aus organischen Verbindungen gespeichert. Denn die Permafrostregionen bestehen zu großen Teilen aus Ökosystemen wie Mooren oder ehemals ausgedehnten Gras- und Steppenlandschaften. Der Boden sowie die Überreste der Pflanzen und Tiere, die dort lebten, sind nun gefroren. Schätzungen zufolge lagern zwischen 1300 und 1600 Gigatonnen Kohlenstoff im Permafrost. Das ist doppelt so viel Kohlenstoff wie sich mittlerweile in der Erdatmosphäre befindet und es ist auch mehr als doppelt so viel Kohlenstoff wie insgesamt in den Wäldern der Erde gespeichert ist. Wenn der Permafrost nun auftaut, wird er zu einer Quelle für Treibhausgase: Unter Sauerstoffzufuhr wird der Kohlenstoff zu Kohlenstoffdioxid und in den Mooren entsteht ohne Sauerstoffzufuhr zusätzlich noch Methan.
Warum galt Permafrost bisher dennoch als sogenannte CO2-Senke?
Als Senke bezeichnen wir ein System, das mehr CO2 aufnimmt, als es in die Erdatmosphäre abgibt. Bisher hat man die Permafrostregionen hauptsächlich im Sommer betrachtet: Die oberste Schicht taut auf und die Vegetation bindet durch Photosynthese in relativ kurzer Zeit viel CO2. Dabei wird mehr Kohlenstoffdioxid gebunden, als vom Boden und von den Pflanzen während dieses Zeitraums freigesetzt wird. Im Übergang zum Winter endet die CO2-Aufnahme und die Freisetzung überwiegt. Bislang hat man aber angenommen, dass im Winter weitestgehend kein CO2 freigesetzt wird und deshalb insgesamt mehr CO2 pro Jahr aufgenommen als freigesetzt wird. Doch mittlerweile wissen wir, dass Kohlenstoffdioxid auch im Winter emittiert wird.
Wie kommt es zu dieser neuen Erkenntnis?
Mithilfe einer der ältesten Messstationen in Alaska machten Forscher in den letzten Jahren zwei wichtige Beobachtungen: Zum einen erwärmte sich dort der Boden im Winter deutlich stärker als im Sommer – Effekte des Klimawandels zeigten sich im Winter also stärker. Das ist auch von anderen Untersuchungen schon bekannt. Und zum anderen zeigten die Messungen, dass sich die verlängerte Wachstumsperiode im Sommer und die stärkere Erwärmung im Herbst auf die CO2-Emissionen im Winter auswirken. Daraufhin bekamen die Winteremissionen auch an anderen Untersuchungsstandorten mehr Aufmerksamkeit. Eine darauf aufbauende Überblicksstudie ergab nun, dass die Emission von Kohlenstoffdioxid im Winter tatsächlich flächendeckend eine große Rolle spielt – die vermeintliche Kohlenstoffsenke erweist sich bei genauerem Hinschauen als Kohlenstoffquelle.
Wie lassen sich die Emissionen von Treibhausgasen aus Permafrostböden messen?
Das ist schwierig – die Flächen sind riesig, meist ziemlich unzugänglich, und im Winter ist es dort sehr kalt. Dennoch gibt es verschiedene Methoden, um die CO2-Emission in Permafrostgebieten zu erforschen. Beispielsweise wird die Konzentration bestimmter Gase wie Kohlenstoffdioxid in der Atmosphäre gemessen. Mithilfe der Daten und der Modellierung der Luftströmungen lässt sich dann auf die Herkunft und Größe der CO2-Quelle rückschließen. In der Übersichtsstudie sind allerdings auch direktere Messmethoden zum Einsatz gekommen: Mit meinen Kollegen untersuchen wir beispielsweise direkt den Gasfluss aus dem Boden in die Atmosphäre. Dafür nutzen wir einerseits sehr schnelle Windmessungen, aus denen wir die vertikale Bewegung einzelner Luftpakete bestimmen, und andererseits messen wir die Konzentration von Treibhausgasen in diesen Luftpaketen. Da Treibhausgase vor allem über Luftverwirbelungen von der Bodenoberfläche weiter in die Atmosphäre transportiert werden, können wir aus der Messung dieser Verwirbelungen die Menge an freigesetzten Treibhausgasen bestimmen.
Wie führen Sie die Messungen des Gasflusses aus dem Boden durch?
Wir können dazu permanente Messstationen nutzen, die es uns erlauben, über einen langen Zeitraum den Gasfluss aus dem Boden in die Atmosphäre zu messen. Diese Dauermessungen sind wichtig, um die zeitliche Entwicklung, die Zusammenhänge mit anderen Umweltgrößen und auch langfristige Veränderungen zu verstehen. Oft sind sie aber nur für eine sehr kleine Fläche aussagekräftig. Deshalb führen wir auch Experimente durch, in denen unsere Messvorrichtung an die Spitze eines Flugzeugs montiert ist. Damit können wir Daten einer viel größeren Fläche sammeln.
Was sind die nächsten Schritte in der Permafrostforschung?
Mit der Übersichtsstudie haben wir die Grundlage für einen umfassenderen Datensatz gelegt, der nun erweitert und verbessert werden kann. Wir arbeiten gerade an einer ähnlichen Überblicksstudie für Methan. Da viele der Permafrostflächen Moore sind, muss auch die Emission von Methan in die Prognosen zum Klimawandel einfließen. Einer der nächsten wichtigen Schritte ist es außerdem, den Permafrost und die zukünftige Entwicklung der Regionen in Klimamodelle einfließen zu lassen. Es gibt zwar Landoberflächenmodelle, die auch den Permafrost berücksichtigen, aber er ist noch nicht Teil der großen Klimamodelle.
Quelle: https://www.weltderphysik.de/gebiet/erde/erde/noch-nicht-teil-der-grossen-klimamodelle/