Gekipptes Schwarzes Loch

Rainer Kayser

Weiße schräge Scheibe im All vor einem Himmelskörper

Rob Hynes

Das etwa 10 000 Lichtjahre von der Erde entfernte Schwarze Loch MAXI J1820+070 stellt Astronomen vor ein Rätsel: Mit mehreren Teleskopen auf der Erde und im Weltall beobachteten Forscher die Rotationsachse des Schwarzen Lochs. Dabei stellten sie fest, dass die Achse von MAXI J1820+070 nicht wie erwartet senkrecht zu seiner Bahnebene liegt, sondern um etwa 40 Grad geneigt ist. Das ist der größte bislang beobachtete Kippwinkel – und lässt sich mit den bisherigen Theorien zu Schwarzen Löchern nicht erklären, so die Wissenschaftler im Fachblatt „Science“.

MAXI J1820+070 ist ein stellares Schwarzes Loch – entstanden also aus einem massereichen Stern. Als der Energievorrat dieses Sterns verbraucht war, explodierte er in einer gewaltigen Supernova, wobei das Innere des Sterns zu einem Schwarzen Loch – MAXI J1820+070 – zusammenstürzte. Doch in der Nähe von MAXI J1820+070 befindet sich ein weiterer Stern, der mit dem Schwarzen Loch um den gemeinsamen Schwerpunkt kreist. Dabei entreißt das Schwarze Loch seinem Partnerstern aufgrund seiner starken Schwerkraft durchgehend Materie, die sich wiederum in einer rotierenden Scheibe um MAXI J1820+070 ansammelt. Ein Teil dieser Materie fällt aus der Scheibe in das Innere des Schwarzen Lochs, ein anderer Teil wird jedoch durch Magnetfelder, die das Schwarze Loch umgeben, abgelenkt und in zwei gebündelten Strahlen aus den Polen des Schwarzen Lochs ins All hinausgeschossen.

Juri Poutanen von der Universität Turku in Finnland und seinen Kollegen beobachteten nun mithilfe des Liverpool-Teleskops in Spanien und eines Teleskops an Bord des Satelliten Swift die Lage der rotierenden Materiescheibe. Diese liegt in der Bahnebene, in der sich nicht nur das Schwarze Loch und der kleinere Partnerstern umkreisen, sondern in der auch die Materie zwischen ihnen strömt. Aus früheren Messungen der gebündelten Materiestrahlen bestimmten die Forscher außerdem die Rotationsachse des Schwarzen Lochs.

Bislang gingen Astronomen davon aus, dass die Rotationsachse eines Schwarzen Lochs in einem solchen System etwa senkrecht zur Bahnebene liegt. Doch zur Überraschung von Poutanen und seinen Kollegen ist das bei MAXI J1820+070 nicht der Fall: Die Rotationsachse des Schwarzen Lochs ist um mindestens 40 Grad gegen die erwartete Richtung gekippt. Das lasse sich, so die Forscher, im Rahmen der Theorie zur Entstehung und Entwicklung solcher stellaren Schwarzer Löcher bislang nicht erklären.

Zwar könne die Supernovaexplosion dem entstehenden Schwarzen Loch eine Art „Tritt“ verpassen und so seine Drehachse kippen. Doch eine derart große Neigung würde man dadurch nicht erwarten. Hinzu kommt, dass die zuströmende Materie aus der Bahnebene des Doppelsystems die Neigung der Rotationsachse im Lauf der Zeit eigentlich weiter verringern müsste. Die Forscher wollen daher nun weitere stellare Schwarze Löcher untersuchen, um zu sehen, ob sie auch dort große Neigungswinkel vorfinden.

Quelle: https://www.weltderphysik.de/gebiet/universum/nachrichten/2022/gekipptes-schwarzes-loch/