„Planetenatmosphären zügig analysieren“

Dirk Edemüller

Die künstlerische Darstellung zeigt einen Planeten im rechten Teil des Bildes und einen Stern links.

NASA/JPL-Caltech

Mittlerweile sind bereits einige Planeten außerhalb unseres Sonnensystems bekannt, die ähnlich groß sind wie die Erde – und auf manchen könnte sogar flüssiges Wasser vorkommen. Um mehr über diese fernen Welten zu erfahren, wollen Astronomen die chemischen Elemente in den Atmosphären untersuchen. Keine einfache Aufgabe, denn die Planeten sind vergleichsweise klein und viele Lichtjahre von uns entfernt. In der Fachzeitschrift „Nature Astronomy“ stellen Wissenschaftler nun eine neue Methode vor, mit der sich wichtige Parameter eines Exoplaneten sehr schnell auswerten lassen. Kevin Heng von der Universität Bern erzählt im Interview, wie maschinelles Lernen dabei hilft.

Welt der Physik: Worin bestehen die Schwierigkeiten bei der Analyse von Planetenatmosphären?

Kevin Heng: Es gibt eine ganze Reihe von Problemen, die es zu lösen gilt. Es fängt damit an, dass man sogenannte Transmissionsspektren aufnimmt. Das heißt, man analysiert das Licht eines fernen Sterns, wenn der Planet von der Erde aus betrachtet vor ihm vorbeizieht. Ein kleiner Teil des Sternenlichts dringt dabei durch die Atmosphäre des Planeten – und die darin enthaltenen Moleküle absorbieren bestimmte Wellenlängen des Sternenlichts. Auf diese Weise entstehen charakteristische Absorptionslinien im Lichtspektrum des Sterns. Die spannende Frage lautet nun: Lässt sich aus diesen Spektren ablesen, ob Wasser oder andere Substanzen auf dem Planeten vorliegen, die vielleicht die Existenz von Lebensformen ermöglichen?

Mit der von Ihnen entwickelten Methode wollen Sie nun schneller zu einer Antwort kommen. Wie gelingt das?

Interessanterweise stammt diese Methode gar nicht aus der Astronomie, sondern aus der Medizin. Wir haben sie zusammen mit Raphael Sznitman vom Institut für medizinische Bildgebung in Bern und seinen Kollegen entwickelt. In der Medizin steht man vor dem Problem, in Gewebeproben möglichst schnell und zuverlässig Krebszellen oder andere pathologische Entartungen zu identifizieren. Raphael Sznitman arbeitet schon lange auf diesem Gebiet. Als ich ihm von unseren Problemen bei der Analyse von astronomischen Spektren erzählte, hat er mich auf die etablierten biomedizinischen Methoden hingewiesen, bei denen man mit Maschinen-Lern-Verfahren bestimmte Muster in Bilddaten sucht.

Können Sie erläutern wie diese Verfahren funktionieren?

Das Bild zeigt eine Porträtaufnahme von Kevin Heng. Der Forscher lächelt.

Kevin Heng

Es geht im Wesentlichen um Algorithmen, denen man mithilfe von beispielhaften Datensätzen beibringt, bestimmte Muster in komplexen Daten zu erkennen. In der Medizin sind das ungewöhnliche Zellstrukturen. In der Astronomie haben wir es dagegen mit der Frage zu tun, ob in einer Planetenatmosphäre eventuell signifikante Mengen an Wasser oder biologisch relevante Moleküle wie Methan vorkommen. Unser neues Verfahren basiert auf dem sogenannten Random-Forest-Ansatz. Mit einem schönen grünen Wald hat das aber nichts zu tun.

Das hört sich spannend an. Was verbirgt sich denn dahinter?

Der Name rührt daher, dass man es hier mit Entscheidungsbäumen zu tun hat. Wenn Sie etwa einen Obstkorb vor sich haben, in dem viele verschiedene Früchte liegen, können Sie diese auf unterschiedliche Weise sortieren: zuerst nach der Größe, dann nach der Farbe, dann nach der Form – oder umgekehrt. Am Ende haben Sie im besten Fall alle Äpfel, Birnen, Trauben und Bananen richtig sortiert. Befinden sich im Korb allerdings viele ähnliche Früchte, kann es passieren, dass Sie die eine oder andere Frucht schon anfangs falsch einordnen, weshalb sie am Ende in einem unpassenden Korb landet. Deshalb nimmt man nicht nur einen Entscheidungsbaum, sondern viele verschiedene – und wählt am Ende einen passend gewichteten Mittelwert. Mit diesem Ansatz lassen sich auch Planetenatmosphären sehr zügig analysieren.

Sie haben es also mit einem ganzen „Wald“ aus Entscheidungsbäumen zu tun – trotzdem ist diese Methode schneller als bisher eingesetzte Verfahren?

Ja. Das liegt daran, dass die Analyse des Spektrums und das Training des Algorithmus bei diesem Verfahren völlig entkoppelt sind. Zunächst lässt sich der Algorithmus mithilfe von Modellrechnungen trainieren, mit einem vertretbaren Zeitaufwand. Füttert man diesen Algorithmus dann mit dem Spektrum eines Exoplaneten, spuckt er blitzschnell aus, welche Komponenten sich in der Planetenatmosphäre befinden. Wir haben dies bereits am Planeten WASP-12b getestet, dessen Atmosphäre eingehend untersucht wurde. Tatsächlich kann unser Verfahren die Ergebnisse der Standardmethoden sehr gut reproduzieren.

Gibt es schon Ideen, dieses Verfahren weiterzuentwickeln?

Interessanterweise wird der Random-Forest-Ansatz in der medizinischen Bildanalyse kaum noch eingesetzt. Das Verfahren gilt als überholt. Stattdessen kommen dort neue Maschinen-Lern-Verfahren zum Einsatz – insbesondere sogenanntes Deep Learning, das mithilfe neuronaler Netze sehr gute Ergebnisse liefert. Der Nachteil an diesen neuen Verfahren ist jedoch, dass man die Entscheidungskriterien nicht mehr nachvollziehen kann. Das Ganze ist eher eine Black Box. Und dadurch wird es für unsere Fragestellung unattraktiv: Wir wollen beispielsweise gerne verstehen, welche Parameter eine wasserhaltige Planetenatmosphäre auszeichnen. Beim Random-Forest-Ansatz sehen wir hingegen ganz klar, welche Absorptionslinien die wichtigsten Kriterien sind. So können wir den Instrumentenbauern sogar Tipps geben, wie sich Teleskopkameras für die Analyse von Exoplaneten am besten entwickeln lassen.

Quelle: https://www.weltderphysik.de/gebiet/universum/nachrichten/2018/planetenatmosphaeren-zuegig-analysieren/