„Man braucht einen Schutzraum gegen Sonnenausbrüche“

Das Programm Artemis soll in verschiedenen Etappen ermöglichen, dass Menschen auf dem Mond landen und sich dort länger aufhalten. Anstelle von Menschen waren beim Testflug Artemis 1 im Jahr 2022 allerdings Dummys an Bord der Orion-Kapsel, um die Strahlenbelastung vor Ort zu messen. Thomas Berger vom Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt erklärt im Interview mit Welt der Physik, wie hoch die Strahlenbelastung im Weltraum wirklich ist und wie man sich am besten davor schützen kann.

Dirk Eidemüller

Eine Raumkapsel im All, mit dem Schriftzug NASA an der Außenwand; im Hintergrund ist der Mond und noch weiter entfernt die Erde

NASA

Welt der Physik: Welche Messungen haben Sie mit den Dummys durchgeführt?

Porträt des Wissenschaftlers Thomas Berger

Thomas Berger

Thomas Berger: Wir haben zwei sogenannte Phantome namens Helga und Zohar, die dem weiblichen Torso entsprechen, als Testgeräte genutzt. Diese Dummys stammen ursprünglich aus der Strahlenmedizin und werden insbesondere zur Vorbereitung von Bestrahlungstherapien in der Krebsmedizin eingesetzt. Das menschliche Gewebe wird durch Kunststoffe simuliert. Im Inneren und Äußeren sind zahlreiche Strahlenmessgeräte angebracht, mit denen wir laufend die Strahlenexposition bestimmen können. Dadurch konnten wir auch während der gesamten Mission die einzelnen Phasen ermitteln, bei denen besonders viel Strahlung einwirkte und wo im Körper welche Belastung auftrat.

Warum haben Sie gleich zwei Testdummys verwendet?

Ein wesentlicher Unterschied war, dass Zohar im Gegensatz zu Helga eine neu entwickelte Strahlenschutzweste trug. Dadurch konnten wir messen, wie viel Strahlenreduktion mit solch einem Anzug möglich ist. Wir sind noch dabei, diese Daten im Detail auszuwerten. Dabei spielt vor allem eine Rolle, wo im Körper welche Strahlenexposition entsteht. Denn die inneren Organe, der Magen und das Rückenmark zählen zu den besonders strahlenempfindlichen Körperteilen, während die Extremitäten ein geringeres Risiko für Strahlenschäden wie Krebserkrankungen aufweisen.

Mit welcher Art von Strahlung haben Astronautinnen und Astronauten im Weltall denn zu rechnen und wie können sie sich davor schützen?

Blick ins Innere der Raumkapsel Orion: Zwei Puppen, die einem weiblichen Torso entsprechen, sind mit Bandagen eingebunden und liegen festgegurtet auf grauen Auflagen.

Helga und Zohar

Es gibt verschiedene Arten von Strahlung, vor denen man sich unterschiedlich gut schützen kann. Gegen die sehr hochenergetische Komponente der kosmischen Strahlung würde nur eine meterdicke Abschirmung helfen. Das ist aber bei einem Raumschiff nicht möglich. Diese Strahlungsart besteht im Wesentlichen aus hochenergetischen Atomkernen, die aus Supernovae, also Sternexplosionen und ähnlich energiereichen Prozessen in unserer Milchstraße oder anderen Galaxien stammen. Gegen diesen Teil der kosmischen Strahlung hilft es nur, die Dauer der Exposition möglichst gering zu halten – sprich bemannte Reisen durchs Weltall möglichst rasch durchzuführen.

Und welche weiteren Strahlengefahren gibt es?

Hier sind einerseits die Strahlungsgürtel der Erde zu nennen – die sogenannten Van-Allen-Gürtel – und andererseits Ausbrüche unserer Sonne. Letztere können innerhalb kurzer Zeit sehr starke Strahlungsbelastungen hervorrufen. Diese haben jedoch im Vergleich zur galaktischen kosmischen Strahlung nicht so hohe Energien. Denn bei solaren Ereignissen werden große Mengen nieder- bis mittelenergetischer Teilchen freigesetzt. Diese kann man durchaus abschirmen.

Wie ist das möglich?

Man kann nicht ein ganzes Raumschiff vor der Sonnenstrahlung abschirmen. An Bord der Internationalen Raumstation ISS gibt es besser abgeschirmte Bereiche, in die sich die Astronautinnen und Astronauten bei einem Sonnensturm begeben. Auch die Orion-Kapsel hat unter dem Boden einen Schutzraum, in dem die Strahlenbelastung bei Sonnenstürmen deutlich geringer ist. Eine wichtige Erkenntnis für alle Weltraummissionen ist, dass man einen Schutzraum braucht, weil sich Sonnenausbrüche nicht vorhersagen oder umfliegen lassen.

Welchen Effekt haben die Van-Allen-Gürtel auf Menschen im Weltall?

Illustration der Orion-Raumkapsel im All: Im Inneren sieht man die beiden Dummys Helga und Zohar, etwas erhöht von ihnen sitzt eine Puppe, die den Piloten darstellt.

Die „Crew“ der Artemis-I-Mission zum Mond

Das konnten wir mithilfe unserer Testpuppen ganz gut bestimmen. Zunächst muss man zwischen den Strahlungsgürteln der Erde differenzieren: Der innere Gürtel besteht hauptsächlich aus hochenergetischen Protonen, die sich nur teilweise abschirmen lassen. Der äußere, größere Van-Allen-Gürtel besteht jedoch aus Elektronen, gegen den die Raumkapsel gut schützt. Der Durchflug durch den äußeren Strahlungsgürtel dauerte knapp zwei Stunden und hatte keinen nennenswerten Einfluss auf die gesamte Strahlenbelastung während der Mission von Artemis 1. Der innere Gürtel hatte jedoch eine sehr viel stärkere Strahlenexposition zur Folge. Die Orion-Raumkapsel hat eigentlich eine ganz gute Abschirmung gegen Strahlung. Aber der halbstündige Flug durch den inneren Strahlungsgürtel hat rund zehn Prozent zur gesamten Strahlenbelastung der Mission, die etwas mehr als 25 Tage dauerte, beigetragen.

Welche Strahlenbelastung ist auf dem Mond oder auf dem Mars im Vergleich zum freien Weltall zu erwarten?

Auf der Erde sind wir einerseits durch das Erdmagnetfeld und andererseits durch die Atmosphäre geschützt. Letztere entspricht einer Schutzschicht von zehn Metern Wasser, so dass nur noch sehr wenig kosmische Strahlung auf der Erdoberfläche ankommt. Auf der ISS spielt die Atmosphäre keine Rolle mehr, aber das Erdmagnetfeld wirkt noch. Dadurch ist die Strahlenbelastung um gut den Faktor zwei reduziert im Vergleich zum Flug um den Mond mit der Orion-Kapsel. Auf dem Mond und dem Mars gibt es kein nennenswertes Magnetfeld, und nur auf dem Mars gibt es eine dünne Atmosphäre. Auf dem Mond ist man also lediglich durch den Mond selbst geschützt, weil die Strahlung nur von einer Seite kommt und nicht von überall.

Und auf dem Mars?

Auf dem Mars entspricht der Schutz durch die Atmosphäre nicht zehn Metern Wasser wie auf der Erde, sondern lediglich zwanzig Zentimetern Wasser. Das ist immerhin etwas, aber auf längere Sicht auch zu wenig. Sollten Menschen auf den Mars fliegen, werden sie schon während des Fluges eine gehörige Strahlendosis abbekommen, die ein ganzes Stück über den irdischen Grenzwerten liegt. Auf dem Mars selbst wird man für einen längeren Aufenthalt aber auch Schutzräume benötigen.

Infografik zum Experiment MARE: Im Inneren der transparent dargestellten Orion-Raumkapsel sieht man im vorderen Bereich die beiden Dummys Helga und Zohar sowie eine Pilotenpuppe, abgeschirmt von einem Hitzeschutzschild an der Spitze der Kapsel, das bis 2700 Grad Celsius stand hält. Eine weitere Grafik zeigt die Flugbahn der Raumkapsel: Zunächst fliegt sie um die Erde herum, nähert sich dann dem Mond, dring dann in seinen Orbit ein und umrundet den Mond, wobei sie ihm immer näherkommt. Dann fliegt sie zurück zur Erde und landet im Ozean. Eine weitere Grafik zeigt die beiden Dummys Helga und Zohar: Sie sind mit Detektoren ausgestattet, vor allem an für Strahlung besonders empfindlichen Körperstellen. Zohar trägt eine besondere Schutzweste.

Das Experiment MARE

Quelle: https://www.weltderphysik.de/gebiet/universum/der-mond/artemis-man-braucht-einen-schutzraum-gegen-sonnenausbrueche/