„Beton ließe sich so klimafreundlicher herstellen“

Sebastian Hollstein

Die Internationale Raumstation ist vor der Erde auf diesem Bild zu sehen.

NASA

Rund sechs Monate verbrachte der deutsche Astronaut Matthias Maurer von November 2021 bis Mai 2022 im All auf der Internationalen Raumstation ISS. Dabei hatte er auch etwas im Gepäck, das man auf einer Raumstation eigentlich nicht vermuten würde: Beton. Denn mit einem der über 100 Experimente, die Maurer an seinem extraterrestrischen Arbeitsplatz durchführte, soll das Aushärteverhalten des Baustoffs genauer untersucht werden. Matthias Sperl von der Universität zu Köln und vom Institut für Materialphysik im Weltall des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt erklärt im Interview mit Welt der Physik, welche Erkenntnisse sich die Wissenschaftler vom Betonmischen im All erhoffen und warum diese für ein nachhaltigeres Bauen wichtig sind.

Welt der Physik: Was ist Beton eigentlich?

Porträt des Wissenschaftlers Matthias Sperl

Matthias Sperl

Matthias Sperl: Beton ist nach Holz eines der ältesten Materialien, die von Menschen zum Bauen genutzt werden. Er besteht aus drei Komponenten: Sand, Zement und Wasser. Durch das Aktivieren eines Bindematerials – dem Zement – mit Wasser wird eine spezielle Verbindung des Hauptmaterials Sand erzeugt. Dabei entsteht ein Material, dessen Festigkeit durch die drei Bestandteile bestimmt wird. Darüber hinaus kann man den Stoff noch variieren, indem man beispielsweise Tonmittel oder Polymerzusatzstoffe hinzufügt, um die Fließfähigkeiten zu beeinflussen.

Mit welchen Eigenschaften von Beton beschäftigen Sie sich?

Wenn man den Zementleim anrührt, dann erfolgt eine Hydratation – also eine Verfestigung des Zements durch Zugabe von Wasser. Dabei entstehen sowohl erwünschte als auch unerwünschte Kristallstrukturen. Wie sich diese jeweils genau bilden, wollen wir weiter ergründen. Außerdem interessiert uns die Konvektion im Zementleim: Wenn Dichteunterschiede vorliegen, senkt sich das Schwere nach unten und das Leichte steigt nach oben. Vom Beton kennen wir beispielsweise das Phänomen des sogenannten Blutens. Das bedeutet, dass sich irgendwo in der Betonmasse Wasser ansammelt. Normalerweise sinkt es unterhalb der Körner, in Schwerelosigkeit ist diese Richtung allerdings nicht selbstverständlich, sodass wir mit den neuen Experimenten im All genauer beobachten können, was mit dem Wasser passiert. Auf diese Weise lassen sich Mikrostrukturen im Beton erkennen.

Warum muss der Beton im Weltall angerührt werden, um Antworten auf die offenen Fragen zu bekommen?

Auf der Erde können wir bei der Mischung von Beton in erster Linie die Zusammensetzung beeinflussen, etwa die Zusatzstoffe variieren, und dann das Resultat untersuchen. Genau das haben wir im Prinzip auch auf der Raumstation gemacht – mit einem Unterschied: Wir haben den Beton ohne Schwerkraft hergestellt. In Schwerelosigkeit haben wir die Chance, andere Mechanismen, die bei der Herstellung von Beton wirken, genauer zu beobachten.

In einem Plastikzelt halten zwei behandschuhte Händen einen transparenten Kolben mit einer grauen Masse darin

Matthias Maurer mischt Beton auf der ISS

Was hat Matthias Maurer auf der ISS mit dem Beton gemacht?

Er hat in einem von meinen Kollegen und mir entwickelten Mischer insgesamt 64 Betonproben mit 20 verschiedenen Zusammensetzungen angerührt. Wir erhalten durch den Mischer Proben in einer etwa fünf Zentimeter langen zylindrischen Form mit zwei bis zweieinhalb Zentimeter Durchmesser. Wir haben diese Form gewählt, da sie sich sehr gut untersuchen lässt. Diese Proben sind im August auf die Erde zurückgekehrt und befinden sich auf dem Weg zu uns.

Welche Untersuchungen schließen sich auf der Erde an das Mischen im Weltall an?

Die Proben werden zunächst in einem Röntgentomografen sozusagen durchleuchtet. Dabei werden wir feststellen, dass die Blasen anders aussehen, als bei dem auf der Erde angerührten Beton. Denn diese können in Schwerelosigkeit nicht einfach aufsteigen und aus dem Material entweichen – sie bleiben stattdessen drin. Aus der Verteilung dieser Blasen kann man beispielsweise die Fließeigenschaften des Betons ablesen.

Dann messen wir die Porosität und die Transporteigenschaften direkt, indem wir durch die Zylinder ein Gas durchströmen lassen. Außerdem werden die Proben in Scheiben geschnitten und unter ein Rastertunnelmikroskop gelegt. Mithilfe solcher Daten können wir die Grundlage für die Analyse von Kristallstrukturen legen, um zwischen erwünschten und unerwünschten Strukturen im Beton zu unterscheiden. Und natürlich werden wir auch Druckfestigkeitsprüfungen durchführen und schauen, wie stabil der Beton aus dem Weltall ist.

Was erhoffen Sie sich von diesen Untersuchungen?

Grauer Zylinder aus Beton

Probenzylinder

Insgesamt wollen wir viele Hypothesen, die sich aus der Arbeit mit vorangegangenen Proben von der Erde ergeben haben, überprüfen. Und dabei werden wir vermutlich auch überraschende Effekte feststellen, aus denen wir weitere Erkenntnisse ziehen können. Wir wollen etwa genau wissen, wie der Prozess des Erstarrens von Beton funktioniert.

Momentan ist der Stand der Technik, dass man in der Regel so viel Zement verwendet, dass das, was man bauen will, halten wird. Wenn wir aber über die Zusammensetzung und über die Mechanismen des Erstarrens mehr wissen, dann können wir eine erhebliche Menge Zement einsparen, da wir die Festigkeit durch das bessere Verständnis der Herstellung garantieren können. Das würde Material und CO2 einsparen – Beton ließe sich so weitaus klimafreundlicher herstellen.

Wäre Beton eigentlich auch ein geeignetes Mittel, um auf anderen Planeten, wie dem Mars, oder auf dem Mond zu bauen?

Prinzipiell ja, man würde allerdings zumindest den Sand aus Transportgründen nicht mitnehmen, sondern dafür Mond- oder Marsstaub verwenden – auch wenn diese Sande mineralogisch schon unterschiedlich sind. Auch einige der Proben auf der ISS wurden mit Mondstaub angerührt.

Die auf dem Mond herrschenden Temperaturen stellen das Material aber vor zusätzliche Herausforderungen: Der Unterschied zwischen Tag und Nacht beträgt auf dem Mond 300 Grad Celsius. Auf einzelne Temperaturen lässt sich der Beton zwar gut anpassen, aber den Wechsel zwischen solchen Extremtemperaturen hält Beton nicht aus und zerbröselt. Denn die unterschiedlichen Wärmeausdehnungskoeffizienten der einzelnen Bestandteile sorgen dafür, dass sich der Sand und der erhärtete Zementleim unterschiedlich ausdehnen. Auch hier ist es wichtig, dass wir jetzt viele Erkenntnisse gewinnen – dadurch verringern wir zukünftige Missionsrisiken.

Quelle: https://www.weltderphysik.de/gebiet/materie/materialforschung-beton-liesse-sich-so-klimafreundlicher-herstellen/