Neue Einsichten in die Erdentstehung

Rainer Kayser

Die Entstehung der Erde ist offenbar anders verlaufen als bislang angenommen. Das zeigen die bisher genauesten Untersuchungen der Isotopenverhältnisse in Meteoriten durch Forscher aus den USA und Deutschland. Überraschend ist vor allem, dass die Bausteine der Erde in der zweiten Hälfte ihrer Wachstumsphase nahezu ausschließlich aus dem inneren Sonnensystem stammen. Wasser und andere flüchtige Stoffe sind demnach nicht, wie bislang vermutet, erst spät durch Kometen und Asteroiden zur Erde gebracht worden, sondern bereits in der ersten Phase der Planetenentstehung. Die Ergebnisse lieferten zudem eine Erklärung für die ähnliche Zusammensetzung von Erde und Mond, so die Wissenschaftler im Fachblatt „Nature“.

Teil eines Meteoriten.

Teil eines Enstatit-Chondrit-Meteoriten

„Der große Körper, durch dessen Einschlag auf die Protoerde der Mond entstand, hatte wahrscheinlich eine isotopische Zusammensetzung ähnlich der Erde“, erläutert Nicolas Dauphas von der University of Chicago. Der Forscher präsentiert ein neues Verfahren, um den Ablauf der Erdentstehung aufzuschlüsseln. Ausgangspunkt seiner Überlegungen ist die Entstehung des Erdkerns, bei dem das schwere Eisen in das Zentrum abgesunken ist. Dadurch sind auch Elemente, die sich leicht an Eisen binden, aus dem Erdmantel verschwunden. Heute im Mantel vorhandene „eisenliebende“ Stoffe müssen also nach der Bildung des Kerns durch Meteoriten zur Erde gelangt sein.

Verschiedene Elemente liefern dabei einen Einblick in verschiedene Epochen der Erdentstehung, da sie auf unterschiedlichen Zeitskalen in den Eisenkern absinken. So schätzt Dauphas beispielsweise anhand von Modellen des Absinkprozesses, das beispielsweise Chrom und Nickel im Erdmantel von den letzten 85 Prozent beziehungsweise letzten 39 Prozent der auf die Protoerde treffenden Planetenbausteine stammen. Aus den Häufigkeiten solcher eisenliebenden Elemente im Mantel lässt sich der Zustrom der Planetenbausteine rekonstruieren. Auf diese Weise gelangt der Forscher zu dem Schluss, dass zwar die ersten 60 Prozent der Erde aus Bausteinen entstanden, die aus unterschiedlichen Regionen des Sonnensystems stammten und damit auch unterschiedliche Zusammensetzungen besaßen. Danach jedoch dominierten Körper des Typs mit der Fachbezeichnung Enstatit-Chondrite, die ihren Ursprung im inneren Sonnensystem haben und arm an Wasser und anderen flüchtigen Stoffen sind.

Diesen Befund bestätigen unabhängig Mario Fischer-Gödde und Thorsten Kleine von der Universität Münster. Auch ihre Untersuchung der Isotope des Elements Ruthenium zeigt, dass die Erde in der späten Phase ihrer Entstehung überwiegend durch Materie aus dem inneren Sonnensystem angewachsen ist. Wasser müsse demnach bereits in einer frühen Phase der Erdentstehung auf unseren Planeten gelangt sein.

Die Untersuchungen könnten auch eine Lösung für das Isotopenproblem der Mondentstehung liefern. Die meisten Forscher gehen heute davon aus, dass der Mond aus den Trümmern einer Kollision der Protoerde mit einem Theia genannten, marsgroßen Objekt entstand. Nach den bisherigen Vorstellungen sollten Protoerde und Theia unterschiedliche Isotopenzusammensetzungen besessen haben. Der Mond und die heutige Erde zeigen aber eine erstaunliche Ähnlichkeit bezüglich ihrer Isotopenverhältnisse.

Nur durch eine sehr feine Abstimmung der Parameter des Zusammenpralls gelang es Forschern bisher, diese Ähnlichkeit zu reproduzieren. Wenn jedoch die späte Phase der Erdentstehung von Körpern aus dem inneren Sonnensystem dominiert wurde, hätte Theia eine ähnliche Zusammensetzung wie die Protoerde besessen. „Damit ist keine Feinabstimmung bei der Entstehung des Mondes mehr nötig“, so Dauphas.

Quelle: https://www.weltderphysik.de/gebiet/erde/nachrichten/2017/neue-einsichten-in-die-erdentstehung/