„Wir erreichen das theoretische Limit“

Gabriele Schönherr

Künstlerische Darstellung: Zwei miteinander verschmolzene Sterne am Himmel, im Vordergrund ein Teleskop

DESY/H.E.S.S./Science Communication Lab

Explodierende Sterne, verschmelzende Galaxien, Schwarze Löcher: Viele Objekte und Prozesse in unserem Universum sind extrem. Sie können Teilchen auf kaum vorstellbare Energien beschleunigen. Um diese Prozesse noch besser zu verstehen, beobachten Forscher unter anderem Novae, also explosive Ausbrüche in Doppelsternsystemen. Im Interview mit Welt der Physik berichtet Alison Mitchell von der Universität Erlangen-Nürnberg von einer Nova, die Teilchen sogar bis auf Geschwindigkeiten am theoretischen Limit bringt.

Welt der Physik: Was interessiert Sie an explodierenden Sternen?

Porträt der Wissenschaftlerin Alison Mitchell

Alison Mitchell

Alison Mitchell: Uns interessiert der Ursprung hochenergetischer Teilchen im Kosmos. Wir vermuten, dass sie ihren Ursprung in Supernovae haben – also Sternexplosionen, bei denen ein massereicher Stern den Großteil seiner Masse ins All hinausschleudert, wobei sein Inneres kollabiert. Solche Supernovae beobachten wir allerdings in unserer Galaxie nicht so oft. Im Vergleich dazu beobachten wir viel häufiger kleinere Explosionen in Doppelsternsystemen, bei denen der Stern die Explosion überlebt  – sogenannte Novae. Wir gehen davon aus, dass sie ähnlich wie Supernovae funktionieren und aufgrund der Häufigkeit haben wir eine viel bessere Chance zu verstehen, was während so einer Explosion geschieht.

Was geschieht bei einer Nova?

Novae beobachten wir in Systemen aus typischerweise einem großen Stern und einem Weißen Zwerg, einem Überrest eines Sterns ähnlich unserer Sonne. Der Weiße Zwerg hat eine sehr hohe Anziehungskraft und zieht dadurch Materie von dem größeren Begleitstern zu sich hinüber. Die angehäufte Materie heizt sich langsam auf, bis sie so heiß ist, dass die Kernfusion einsetzt. Genau an dem Punkt erfolgt eine thermonukleare Explosion, das nennen wir Nova. Diese Explosion löst Schockwellen aus, die sich um das Doppelsternsystem ausbreiten und dabei hochenergetische Gammastrahlung erzeugen. Der Weiße Zwerg übersteht diesen Ausbruch, das heißt, eine Explosion kann wieder passieren. In einigen Systemen sehen wir Novae immer wieder. Auch RS Ophiuchi, die Nova, die wir letztes Jahr beobachtet haben, ist so ein wiederkehrendes System.

Bei dieser Nova haben Sie etwas Besonderes beobachtet. Was genau?

Die Nova war ungefähr hundertmal energetischer als alle Novae, die wir je zuvor beobachtet haben. Gammastrahlung umfasst ja einen ziemlich großen Energiebereich. Mit unseren Teleskopen können wir die sehr hochenergetische Gammastrahlung beobachten, die bei der Explosion frei wird. Die höchste Energie, die wir jetzt gemessen haben, lag bei 1 Teraelektronenvolt, das heißt, ein einziges Photon hat fast eine halbe Billion Mal mehr Energie als ein Photon im sichtbaren Licht.

Haben Sie das erwartet?

Künstlerische Darstellung: Zwei sich berührende Himmelskörper, die nach oben und unten hell abstrahlen; an ihrer Schnittstelle rotes Licht

Nova in einem Doppelsternsystem

Nicht unbedingt. Das ist die höchstmögliche Energie, die unsere Theorien für Novae vorhersagen. Höher kann die Energie theoretisch eigentlich nicht sein. Es ist das erste Mal, dass wir sehen, dass in der Natur diese Grenze – diese maximale Energie – tatsächlich erreicht wird.

Woher kommt dieses theoretische Limit?

Es kommt aus der Theorie der Teilchenbeschleunigung in einem Schock und wie oft sich ein Teilchen durch den Schock hin- und herbewegen kann. Immer wenn ein Teilchen in der Nähe des Schocks ist, gewinnt es Energie – bis die Energie so hoch ist, dass es vom Schock wegfliegt. Die Teilchen werden also im Schock beschleunigt und müssen erst auf Materie treffen, um Gammastrahlen zu erzeugen. Die Energie der erzeugten Gammastrahlung hängt von vielen Faktoren ab: unter anderem von der Geschwindigkeit, mit der sich der Schock nach der Explosion ausbreitet und der Dichte des umgebenden Mediums. Gammastrahlung bei 1 Teraelektronenvolt bedeutet, die Teilchen im Schock hatten eine Energie von 10 Teraelektronenvolt.

Warum ist es für die Forschung wichtig, dass Sie das theoretische Limit beobachtet haben?

Wir glauben, dass der Prozess der Teilchenbeschleunigung in Novae und Supernovae-Systemen derselbe ist. Wenn die Teilchenbeschleunigung in Supernovae genauso effizient funktioniert, unterstützt das unsere Lieblingshypothese, nämlich dass Supernovaexplosionen verantwortlich für den Ursprung der kosmischen Strahlung sind. Bei RS Ophiuchi konnten wir zum ersten Mal den zeitlichen Verlauf des Ausbruchs verfolgen. Wir konnten den Beschleunigungsprozess in Echtzeit beobachten – praktisch wie in einem Film. In früheren Beobachtungen hat das Signal dafür nicht ausgereicht. Wir wissen jetzt also für eine Nova, dass die theoretische Grenze der erzeugten Energie erreichbar ist. Die Frage ist: Ist das ein seltener Fall oder passiert es ziemlich oft in der Natur? Wir hoffen natürlich, dass es nicht so selten ist.

Was passiert als nächstes?

Teilweise abwarten und auf neue Beobachtungen hoffen. Aber wir sitzen natürlich nicht nur herum und warten, denn wir können schon vieles aus den bereits existierenden Daten lernen. Zum Beispiel könnte es sein, dass es in früheren Novae schon ähnlich stark beschleunigte Teilchen gab, unser Experiment aber nicht sensibel genug war, um diese zu messen. Wir wollen verstehen, ob wir diesen Fall ausschließen können. Und natürlich wollen wir weitere Novae beobachten. Vor etwa 7 Jahren haben wir das Nova-Programm innerhalb der H.E.S.S-Kollaboration gestartet. Mit dem Programm entscheiden wir, welche Novae wir mit den H.E.S.S-Gammastrahlenteleskopen in Namibia beobachten wollen. Dafür gibt es eine Reihe von Kriterien. Etwa ein- bis zweimal im Jahr beobachten wir Novae, die mindestens ein Kriterium erfüllen. RS Ophiuchi war die erste Nova, die alle Kriterien gleichzeitig erfüllt hat.

Antennenschüssel in einer Wüste

H.E.S.S. Observatorium in Namibia

Wie erfahren Sie rechtzeitig, dass gerade eine Nova ausbricht?

Es gibt verschiedene Netzwerke für astronomische Mitteilungen, sogenannte Alerts. Die erste Meldung zu RS Ophiuchi kam von Hobbyastronomen, die einen Stern in der Nacht vom 8. auf den 9. August 2021 entdeckten, der plötzlich viel heller war als sonst. Da Novaereignisse nicht nur Gammastrahlen, sondern auch Licht im sichtbaren Bereich erzeugen, konnten sie RS Ophiuchi während des Ausbruchs mit einem einfachen Fernglas und sogar mit bloßem Auge erkennen. Innerhalb von 24 Stunden nach der Meldung haben wir mehrere Teleskope auf das Sternsystem gerichtet. Mit den H.E.S.S-Teleskopen beobachten wir die sehr hochenergetische Gammastrahlung, die erst einige Tage nach dem größten Signal im sichtbaren Bereich ihr Maximum erreicht. Wir haben also die Chance, auch ein paar Tage nach dem ersten Alert noch etwas zu messen.

Was erwarten Sie von zukünftigen Beobachtungen?

Zunächst wollen wir unsere Beobachtungskampagnen weiter verbessern und natürlich weitere Novae sehen. Bald könnte das Cherenkov-Telescope-Array CTA uns helfen, schneller ans Ziel zu kommen. Die Teleskopanlage befindet sich zurzeit im Bau und wird in Zukunft an zwei Standorten auf La Palma und in den chilenischen Anden stehen. Dadurch werden wir dann zeitgleich einen größeren Teil des Himmels beobachten. Zurzeit verpassen wir Ereignisse, wenn beispielsweise ein Novaausbruch tagsüber stattfindet. Mit unseren Beobachtungen vergangenes Jahr haben wir also auch Glück gehabt. Von zukünftigen Instrumenten dürfen wir sicher mehr Leistung erwarten, aber es wird wohl auch immer ein wenig Glück im Spiel bleiben.

Quelle: https://www.weltderphysik.de/gebiet/universum/sterne/sternexplosionen-wir-erreichen-das-theoretische-limit/