Die ersten Sterne bleiben rätselhaft

Rainer Kayser

Weiße Sterne im dunkelblauen Weltall

NASA/WMAP Science Team

Wie haben sich einige hundert Millionen Jahre nach dem Urknall die ersten Sterne im Kosmos entwickelt? Eine Antwort auf diese Frage ist schwieriger als bislang vermutet. Zu diesem Schluss gelangen nun Forscher, nachdem sie alle verfügbaren Daten über Kernreaktionen auswerteten, die im Inneren dieser Sterne ablaufen können. Der Verlauf der Kernfusion ist demnach komplexer als in bisherigen Modellen angenommen, so die Wissenschaftler im Fachblatt „Physical Review C“.

„Die erste Sternengeneration hat sich anders entwickelt als die heutigen Sterne“, erläutern Richard deBoer von der University of Notre Dame im US-Bundestaat Indiana und seine Kollegen. „Grund dafür ist die unterschiedliche Zusammensetzung der Materie, aus der die Sterne entstanden sind.“ Denn unmittelbar nach dem Urknall gab es im Kosmos nur Wasserstoff, Helium und etwas Lithium – alle schwereren Elemente sind erst später durch die Kernfusion in Sternen sowie bei Supernovae, also aus Sternexplosionen, entstanden.

Doch diese schwereren Elemente spielen in den Prozessen heutiger Sterne, wie unserer Sonne, eine wichtige Rolle. Insbesondere Kohlenstoff, Stickstoff und Sauerstoff dienen im sogenannten CNO-Zyklus – einer der möglichen Fusionsreaktionen, durch die Wasserstoff zu Helium verschmilzt – gewissermaßen als Vermittler. „Die ersten Sterne waren dagegen auf einen weniger effektiven Prozess angewiesen, die Proton-Proton-Kette“, so deBoer und seine Kollegen. Diese ersten Sterne waren vermutlich massereich, sehr leuchtkräftig – und kurzlebig, denn bereits nach wenigen Millionen Jahren erloschen sie wieder.

Tatsächlich finden Astronomen in den ältesten, heute noch existierenden Sternen – den unmittelbaren Nachfolgern der ersten Sterngeneration – nur wenig schwere Elemente. Diesen Befund erklären sich die Himmelsforscher bislang durch das Modell der „schwachen Supernova“. Demnach vergingen die ersten Sterne nach dem Urknall zwar – wie heutige massereiche Sterne – in Supernovae. Doch diese Explosionen waren weitaus schwächer und produzierten daher kaum schwere Elemente. Doch die Astronomen fanden eine überraschenden Ausnahme in den Sternen: Kalzium.

Doch woher das Kalzium stammt, ist bislang noch nicht endgültig geklärt. Selbst extrem geringe Mengen an Kohlenstoff, Stickstoff und Sauerstoff könnten, so die Überlegung, bei den ersten Sternen auch CNO-Reaktionen ausgelöst haben – allerdings bei sehr viel höheren Temperaturen als in heutigen Sternen. Und bei einer solchen Fusionsreaktion würde Kalzium als eine Art Abfallprodukt auftreten. Um diese Theorie zu überprüfen, verknüpften Richard deBoer und seine Kollegen jetzt erstmals alle seit siebzig Jahren gesammelten Daten über mögliche Kernreaktionen.

Wie sich zeigte, gibt es sehr viel mehr verschiedene Verläufe der Fusionsreaktion von Wasserstoff zu Helium, die miteinander konkurrieren, als bislang angenommen. Dadurch wird nicht nur Kalzium produziert, sondern teilweise auch wieder abgebaut. Diese Ergebnisse machen es zunächst unwahrscheinlicher, dass sich das beobachtete Kalzium durch einen CNO-Zyklus in den ersten Sternen erklären lässt. „Das weckt Zweifel am vorherrschenden Szenario der schwachen Supernovae für die Erklärung der Elementhäufigkeiten in den ältesten Sternen,“ kommentieren deBoer und seine Kollegen. Um genauere Informationen über die verschiedenen Reaktionswege zu erhalten, müssen dringend weitere experimentelle Daten – vor allem bei niedrigen Reaktionsenergien – gesammelt werden, so die Wissenschaftler.

Quelle: https://www.weltderphysik.de/gebiet/universum/nachrichten/2021/die-ersten-sterne-bleiben-raetselhaft/