„Langsam zeigt sich ein Muster“

Jan Hattenbach

Strahlender Himmelskörper im All, dessen Nord- und Südpol durch Strahlen verbunden sind

ESO/L.Calçada

Im Jahr 2007 machten Astronomen eine ganz besondere Entdeckung: In Archivdaten des Radioteleskops Parkes in Australien fanden sie ein extrem energiereiches Signal im Radiobereich, das für wenige Millisekunden aufblitzte. Seither haben Forscher nicht nur mehr als hundert solcher Radioblitze beobachtet, sondern auch einige ihrer Quellen ausgemacht. Doch über die Natur der sogenannten Fast Radio Bursts – oder Schnellen Radioblitze – rätseln Astronomen noch immer. Im Interview mit Welt der Physik spricht Laura Spitler vom Max-Planck-Institut für Radioastronomie in Bonn über die spannende Geschichte der Fast Radio Burts, kurz FRBs, und den aktuellen Stand der Forschung.

Porträt der Physikerin Laura Spitler

Laura Spitler

Welt der Physik: Wie reagierten Astronomen damals auf die erste Entdeckung eines Fast Radio Bursts?

Laura Spitler: Im Jahr 2007 beobachteten Forscher erstmals mit dem Radioobservatorium Parkes einen Radioblitz. Das war der nach seinem Entdecker benannte Lorimer-Burst. Doch damals war den Astronomen noch nicht klar, ob das Phänomen echt ist oder auf eine Störung der Detektoren zurückgeht. Bis zum Jahr 2014 war es zudem so, dass FRBs nur vom Parkes-Observatorium gefunden wurden. Das war natürlich seltsam. Deswegen vermutete man, dass es sich um eine menschliche Störung aus der Nachbarschaft von Parkes handeln muss.

Tatsächlich stellten sich einige der Signale als irdisch heraus – manche ausgelöst durch die Mikrowelle in der Observatoriumsküche. Wie sind Sie den FRBs dennoch auf die Spur gekommen?

Dafür habe ich gemeinsam mit meinen Kollegen Archivdaten des Arecibo-Observatoriums in Puerto Rico gezielt nach FRBs durchsucht. Im Jahr 2014 fanden wir dann den ersten Radioblitz in den Daten – FRB 121102. Daraufhin fragen wir uns: Ist es möglich, dass eine bestimmte Quelle mehr als einmal aufblitzt? Mit Arecibo haben wir weiter an der Position von FRB 121102 nachgeschaut. Eigentlich hatten wir das nicht erwartet, aber nach relativ kurzer Zeit entdeckten wir zehn weitere Blitze: FRB 121102 war damit der erste sich „wiederholende“ FRB.

Warum blitzen manche FRBs nur einmal, andere dagegen mehrfach?

Mit dieser Frage beschäftigen wir uns schon lange: Handelt es sich um zwei verschiedene Gruppen oder haben wir die Einzelblitze einfach noch nicht lange genug beobachtet? Langsam zeigt sich ein Muster – die Eigenschaften der Einzel- und Mehrfachblitze scheinen tatsächlich unterschiedlich zu sein. Bei den Wiederholern dauern die Blitze tendenziell ein bisschen länger und zeigen mehr Struktur, wie etwa „Sub-Blitze“. Einzelblitze sind demgegenüber eher kürzer und einfacher.

Und wie groß ist die Energie, die ein Blitz in dieser kurzen Zeit abgibt?

Die Energie, die ein typischer FRB im Radiobereich ausstrahlt, entspricht der Energie, die von der Sonne in ungefähr drei Stunden abgegeben wird. Das ist ziemlich viel, wenn auch weniger als bei Supernovaexplosionen oder Gammastrahlenausbrüchen. Für den Radiobereich ist es aber rekordverdächtig, zumal die Energie in einer sehr kurzen Zeit freigesetzt wird.

Die Herkunft eines FRB ist einer Aufnahme des VLT überlagert.

Aufnahme mit dem Very Large Telescope

Welche Himmelsobjekte kommen als Quelle der Blitze infrage?

Eine einfache Rechnung besagt: Das Gebiet, aus dem diese Strahlung stammt, muss kleiner sein als die Strecke, die das Licht in dieser Zeit zurücklegt. Denn Radiostrahlung breitet sich mit Lichtgeschwindigkeit aus. Dauert der Blitz beispielsweise zehn Mikrosekunden, dann ergibt das eine Quelle mit einer Größe von nur drei Kilometern. Das lässt an Neutronensterne oder Magnetare denken, also kleine und extrem kompakte Neutronensterne mit starken Magnetfeldern.

Sie haben neue FRBs zunächst immer in Archivdaten gefunden und konnten so nie vorhersagen, wo und wann der nächste erscheint. Hat sich das mittlerweile geändert?

Ja, es ist sehr wichtig, dass sich FRBs mittlerweile in Echtzeit entdecken lassen. Denn daraufhin können andere Teleskope ihre Beobachtungen in anderen Wellenlängen starten. Doch obwohl wir seither nach Gegenstücken etwa im Röntgen- oder Gammabereich gesucht haben, haben wir bislang nur Blitze im Bereich der Radiowellenlängen entdeckt. Ebenso wichtig ist aber auch, dass man nun immer öfter die zugehörigen Heimatgalaxien orten kann, aus denen die Blitze stammen. Somit weiß man heute sicher, dass FRBs aus fernen Galaxien stammen. Zum ersten Mal ist der Nachweis einer Quelle mit dem Parkes-Teleskop im Jahr 2015 gelungen.

Wie ist das möglich?

Heimatgalaxien lassen sich mithilfe von neueren Projekten wie ASKAP, kurz für Australian Square Kilometre Array Pathfinder, orten. Das ist ein Interferometer – also ein Netzwerk aus mehreren, mittelgroßen Radioteleskopen, die möglichst weit voneinander entfernt stehen. Mit der Interferometertechnik lassen sich die Positionen der Blitze am Himmel orten. Und je weiter die Teleskope auseinander stehen, desto genauer gelingt die Ortung.

Wie hat sich diese Technologie in den letzten Jahren verändert?

Mehrere Teleskope in einer Wüstenlandschaft.

Das Radioteleskop ASKAP

In der Radioastronomie verwenden wir die Interferometrie seit Jahrzehnten, aber die Blickfelder waren früher kleiner. Die neuen Instrumente wie ASKAP beobachten einen viel größeren Ausschnitt des Himmels. Sie haben auch die nötige Zeitauflösung: Frühere Interferometer konnten ihre Daten höchstens einmal pro Sekunde speichern. Doch für Radioblitze müssen sie schneller sein, denn ein typischer FRB dauert zwischen zehn Mikrosekunden und ein paar Millisekunden – etwa so lange wie der Blitz einer Fotokamera.

Im April 2020 fanden Forscher sogar den ersten FRB in unserer Milchstraße und machten als Quelle einen bereits bekannten Magnetar aus. War das ein Durchbruch?

Dieses Ereignis war sehr wichtig. Denn die Energie der neu entdeckten Blitze entsprach der Energie von bereits bekannten extragalaktischen FRBs. Das hat Magnetare beziehungsweise Neutronensterne als Erklärung für FRBs noch populärer gemacht. Außerdem hat es uns gezeigt, dass die Radiostrahlung in diesem speziellen Fall sehr wahrscheinlich aus der magnetischen Hülle des Magnetars stammte. Denn dort werden elektrisch geladene Teilchen beschleunigt, die dann wiederum die Radiostrahlung erzeugen.

Und wie könnten Radioblitze durch Neutronensterne ausgelöst werden?

Es könnte etwa sein, dass sich ein Neutronenstern und ein normaler Stern umkreisen. Hier könnte die Radiostrahlung beim Zusammenspiel vom Teilchenwind des Sterns mit dem Magnetfeld des Neutronensterns entstehen. Denn einige, sich wiederholende FRBs blitzen offenbar periodisch alle 16 bis 160 Tage auf. Das sind typische Umlaufperioden von Doppelsternen. Die Rotation von Neutronensternen verläuft dagegen normalerweise viel schneller, in Sekunden oder weniger.

Wie wird es mit der Erforschung von FRBs in den nächsten Jahren weitergehen?

Die Fortschritte der letzten drei Jahre waren erstaunlich. Ein nächster entscheidender Schritt ist das Canadian Hydrogen Intensity Mapping Experiment, kurz CHIME. Dieses Radioteleskop in Kanada, mit dem schon etliche FRBs entdeckt wurden, soll zu einem Interferometer erweitert werden. Mit zusätzlichen Antennen wird es CHIME gelingen, die Heimatgalaxien ihrer FRBs direkt zu identifizieren. Das wäre ein riesiger Schritt: Bisher kennen wir einige Dutzend Heimatgalaxien, bald könnten es hunderte oder tausende sein.

Und was erhoffen Sie sich von der künftigen Forschung?

Persönlich interessiert mich, wie man die Blitze zur Erforschung des Aufbaus unseres Universums nutzen kann. Die Radiostrahlung der FRBs bewegt sich unterschiedlich schnell – abhängig von der Wellenlänge und von der Materie zwischen Quelle und Empfänger. Das nennt man Dispersion. Die Dispersion kann man messen, und auf diese Weise die Materie zwischen den Galaxien, das sogenannte intergalaktische Medium, untersuchen. Diese Analyse ist mit anderen Methoden nur sehr schwer möglich. Mithilfe von Schnellen Radioblitzen lässt sich also mehr über den Aufbau und die Beschaffenheit von Galaxien erfahren oder auch die genauen Werte von wichtigen kosmologischen Parametern besser bestimmen. Und da ist noch sehr viel zu tun!

Quelle: https://www.weltderphysik.de/gebiet/universum/langsam-zeigt-sich-ein-muster/