„Unser Beschleuniger funktioniert“

Oscar William Murzewitz

Mit zwei unterschiedlichen Farben beleuchteter Chip, der auf einer 1-Cent Münze liegt.

S. Kraus, J. Litzel/Laserphysik/FAU Erlangen

Vom größten Ringbeschleuniger der Welt, dem Large Hadron Collider, bis hin zum CT-Scan im Krankenhaus: Teilchenbeschleuniger sind in vielen Forschungsbereichen, der Medizin oder auch in der Industrie nicht mehr wegzudenken. Mit den unterschiedlich großen Anlagen lassen sich grundlegende Fragen der Natur untersuchen, neue Materialien erforschen oder Menschen mit einer Strahlentherapie behandeln. Auch wenn Rolf Widerøe das zugrundeliegende Prinzip bereits vor knapp hundert Jahren entwickelt hat, arbeiten Forschende weiterhin weltweit an neuen Konzepten für die Teilchenbeschleunigung. Unter anderem mit dem Ziel, kleinere und günstigere Beschleuniger zu bauen. Im Interview mit Welt der Physik berichten Peter Hommelhoff und Stefanie Kraus von der Universität Erlangen-Nürnberg, wie sie einen neuen Teilchenbeschleuniger im Miniaturformat entwickelt haben und welche Anwendungen er verspricht.

Welt der Physik: Was ist ein Teilchenbeschleuniger?

Zwei lächelnde Personen stehen nebeneinander und schauen in die Kamera. Im Hintergrund ist ein Wald zu sehen.

Stefanie Kraus und Peter Hommelhoff

Peter Hommelhoff: In einem Teilchenbeschleuniger werden kleinste Teilchen – etwa Elektronen oder Protonen – auf sehr hohe Geschwindigkeiten gebracht. Je größer die Geschwindigkeit, desto mehr Energie besitzen die Teilchen. In den meisten Fällen nutzt man schwingende elektrische Felder, um sie zu beschleunigen. Dabei erfahren die elektrisch geladenen Teilchen eine Kraft durch das elektrische Feld. Heutzutage werden hauptsächlich Felder mit hoher Frequenz im Mikrowellenbereich verwendet. Die Teilchen werden in speziellen Kanälen im Vakuum beschleunigt. Die Form des Kanals bestimmt das Feld im Inneren. Deswegen wird der Beschleuniger so angepasst, dass die Teilchenpakete in Summe eine vorwärts gerichtete Kraft erfahren. Ein Teilchenbeschleuniger hat damit also auch die Aufgabe, Pakete von Teilchen zusammenzuhalten. Ziel ist es am Ende, einen ausreichend großen Strom von beschleunigten Teilchen zu erzeugen.

Welche verschiedenen Arten von Teilchenbeschleunigern gibt es?

Es gibt zwei Arten von Teilchenbeschleunigern: lineare und ringförmige. In einem Linearbeschleuniger werden die Teilchen entlang einer Geraden beschleunigt und in einer ringförmigen Anlage mithilfe von zusätzlichen Magnetfeldern auf eine kreisförmige Bahn gebracht. Solche runden Anlagen haben den Vorteil, dass sich die Beschleunigungsstrukturen mehrfach für dasselbe Teilchenpaket nutzen lassen. Dadurch können die Teilchen auf viel höhere Energien beschleunigt werden. Beim Large Hadron Collider, kurz LHC, am Forschungszentrum CERN handelt es sich um einen solchen Ringbeschleuniger. Dort werden Protonen oder schwere Atomkerne auf nahezu Lichtgeschwindigkeit beschleunigt.

Warum interessiert man sich überhaupt für beschleunigte Teilchen?

Beschleunigte Teilchen sind für viele Forschungsbereiche und Anwendungen wichtig. Am LHC etwa benötigen Teilchenphysiker stark beschleunigte Teilchen, die miteinander kollidieren, um die grundlegenden Bausteine der Materie zu untersuchen. Außerdem lässt sich Röntgenstrahlung mithilfe der schnellen Teilchen erzeugen, indem man sie auf ein Stück Metall prallen lässt. Diese Strahlung wird dann in der Medizin zur Diagnostik und Strahlentherapie sowie in der Materialwissenschaft zur Analyse eingesetzt. Zudem ist sogenannte Synchrotronstrahlung, die Teilchen abgeben, wenn sie von Magnetfeldern auf eine oszillierende Bahn gezwungen werden, sehr interessant. Physiker, Chemiker oder Biologen benutzen zum Beispiel Synchrotronstrahlungsquellen wie PETRA III am Forschungszentrum DESY in Hamburg, um die Struktur von Molekülen oder Festkörpern zu untersuchen. Es lassen sich auch sehr schnelle Prozesse in Molekülen damit untersuchen, sodass man quasi einen Film von chemischen Reaktionen erstellen kann.

Wieso sind Teilchenbeschleuniger so unterschiedlich groß?

Das liegt daran, dass es einen maximalen Energiegewinn pro Strecke gibt, den die Teilchen bei der Beschleunigung erfahren können, der sogenannte Beschleunigungsgradient. Er ist durch die Zerstörschwelle begrenzt, bei der die Felder so groß werden, dass die Beschleunigerstruktur – bei Mikrowellenbeschleunigern seine Oberfläche – beschädigt wird. Die Länge der Beschleunigungsstrecke ist damit abhängig von der Teilchenenergie, die man erzeugen möchte, und dem maximal erreichbarem Beschleunigungsgradienten. Allgemein gilt: Je größer die gewünschte Energie, desto länger die Strecke. So sind beispielsweise der Europäische Röntgenlaser – der European XFEL in Hamburg – oder der LCLS in Kalifornien einige Kilometer lang. Aber auch in der Medizin nutzt man Linearbeschleuniger, die in der Regel nur einen Meter lang sind. Wenn Sie uns fragen, reicht es aus, wenn ein Beschleuniger nur einen Millimeter lang ist.

Sie haben einen solchen Miniaturbeschleuniger gebaut. Wie funktioniert er?

Reihe aus zwei Säulen neben vier Wänden. Mikroskopaufnahme, die nachträglich eingefärbt wurde.

Prototyp des Miniteilchenbeschleunigers

Wir haben einen sehr kleinen Linearbeschleuniger für Elektronen entwickelt, der nur knapp einen halben Millimeter lang ist. Unser Beschleunigungskanal setzt sich aus säulenartigen Nanostrukturen zusammen, die in zwei Reihen angeordnet sind. Dieser Kanal, durch den sich die Elektronen hindurchbewegen, ist nur 0,2 Mikrometer breit – also kleiner als ein Tausendstel Millimeter. Wir beleuchten die Struktur von oben mit Laserlichtpulsen und erzeugen im Kanal ein schwingendes elektrisches Feld. Wichtig ist hierbei: Die Teilchenbeschleunigung mit Lasern funktioniert nur mit Elektronen, die sich bereits bewegen. Daher haben wir vor unserem Beschleuniger eine Elektronenquelle, die schnelle Elektronen erzeugt. Zusammen mit der nötigen Elektronik, der Nanostruktur und dem Lasersystem ist das dann unser Teilchenbeschleuniger.

Wie stellen Sie die Beschleunigerstruktur her?

Stefanie Kraus: Wir stellen unsere Beschleunigungsstruktur aus Silizium her, das wir für nah-infrarotes Laserlicht als Dielektrikum ansehen können. Solche Dielektrika, zu denen zum Beispiel auch Glas gehört, leiten keinen oder nur sehr wenig Strom. Da das Material das Licht nicht absorbiert, ist die Zerstörschwelle im Vergleich zum Metall von üblichen Beschleunigern wesentlich höher. Dadurch können wir mit dem Lasersystem sehr starke elektrische Felder erzeugen und so die Elektronen stärker beschleunigen. Um die Nanostruktur herzustellen, benutzen wir die sogenannte Fotolithografie. Dieser Prozess wird auch bei der Herstellung von Smartphones und Computerchips angewendet. Dabei nutzen wir einen Trockenätzprozess, um gezielt winzige Strukturen in das Dielektrikum zu ätzen.

Was ist Ihnen nun Neues gelungen?

Peter Hommelhoff: Im Jahr 2013 haben wir parallel zu Forschern der Stanford University in Kalifornien zum ersten Mal gezeigt, dass man Elektronen mit Laserlicht durch ganz einfache Strukturen beschleunigen kann. Allerdings wurden die Teilchen noch nicht durch optische Kräfte zusammengehalten. Einige Jahre später haben hauptsächlich Kollegen aus Darmstadt theoretisch gezeigt, dass es möglich sein sollte, mit Lasern und einer passenden Nanostruktur die Teilchen zusammenzuhalten.

Stefanie Kraus: Danach kam viel Arbeit auf uns zu, die sich am Ende ausgezahlt hat. Im Jahr 2021 haben wir untersucht, wie man Elektronenpakete zusammenhalten kann und einen entsprechenden Kanal entwickelt, durch den die Elektronen dann geführt werden. Der nächste Schritt bestand darin, die Nanostruktur so weiterzuentwickeln, dass die Teilchen gleichzeitig optimal beschleunigt und zusammengehalten werden. Dafür haben wir komplexe Simulationen durchgeführt. Die korrekte Herstellung der Strukturen war die nächste Hürde. Und dann konnten wir endlich untersuchen, wie gut unser neuer Beschleuniger funktioniert. Wir haben beobachtet, dass die Energie der Elektronen um 43 Prozent zunahm. Damit war klar: Unser Beschleuniger funktioniert!

Wofür könnte der Minibeschleuniger in Zukunft genutzt werden?

Peter Hommelhoff: Diese Technologie kann viele Anwendungen in der Grundlagenforschung und der Medizin finden. Wir hoffen, damit neue strahlentherapeutische Werkzeuge herstellen zu können. Denn indem wir unsere beschleunigten Teilchen gegen ein Stück Metall prallen lassen, könnten wir die für die Strahlentherapie nötige Röntgenstrahlung erzeugen. Wir sind deswegen zum Beispiel in Kontakt mit Medizintechnikfirmen für eine erste Anwendung in einem kompakten Gerät, idealerweise in Handygröße. So könnten möglicherweise Menschen mit Hautkrebs im Rahmen einer Strahlentherapie behandelt werden. Wenn das gesamte System auf einen einzelnen Chip integriert wäre, könnte man ihn wie in die Spitze eines Stifts in ein Endoskop einbauen. So wäre es sogar möglich, Tumore minimalinvasiv direkt im Körper zu bestrahlen.

Was sind die nächsten Schritte Ihrer Forschung?

Stefanie Kraus: Zunächst ist es wichtig, das Material der Nanostrukturen weiter zu erforschen, um die Zerstörschwelle zu erhöhen und so eine größere Beschleunigung zu erreichen. Anstelle von Silizium könnten wir Glas, also Siliziumdioxid, verwenden. Doch dafür müssten eine Reihe an Schritten im Herstellungsprozess angepasst werden. Außerdem möchten wir das Führen der Elektronen durch den Kanal weiter optimieren. Wir sind auch noch durch unser Lasersystem limitiert und möchten daran in Zukunft arbeiten.

Peter Hommelhoff: Momentan ist noch ein großer Knackpunkt, dass die Menge an beschleunigten Teilchen zu gering ist. Denn unsere Beschleunigerstrukturen sind sehr klein, sodass nur wenige Elektronen hineinpassen. Daher arbeiten wir daran, den Teilchenstrom zu erhöhen. Beispielsweise würde sich mit einer besseren Elektronenquelle der Strom direkt vergrößern lassen. Doch wenn die Quelle verändert wird, muss auch der Beschleuniger angepasst werden und umgekehrt. Aus diesem Grund können wir nur in kleinen Schritten mit unserer Forschung vorankommen. Das Schöne an der Physik ist aber, dass man mit diesen kleinen und manchmal langsamen Schritten am Ende doch sehr weit kommen kann.


Simulation von Elektronen im Minibeschleuniger

R. Shiloh/Laserphysik/FAU Erlangen

Simulation der Bewegung der beschleunigten Elektronen senkrecht zur Ausbreitungsrichtung des Teilchenpakets. Um einen gebündelten Strahl zu erhalten, werden die Teilchen abwechselnd in unterschiedlichen Ebenen fokussiert und defokussiert. Die sich ändernde Farbe der Teilchen beschreibt den Energiezuwachs durch die Beschleunigung. Am Ende verlassen die Elektronen den Beschleuniger und der Teilchenstrahl verteilt sich im Raum.

Quelle: https://www.weltderphysik.de/gebiet/teilchen/teilchenbeschleuniger-unser-beschleuniger-funktioniert/