„Die modernste Art der Strahlentherapie“

Franziska Konitzer

Das Bild zeigt das Behandlungszimmer am RPTC in München.

RPTC München

In der Krebstherapie lassen sich Tumore nicht nur chirurgisch oder mit einer Chemotherapie behandeln, es kommt auch die sogenannte Strahlentherapie zum Einsatz. Bei diesem Verfahren nutzen Mediziner bislang am häufigsten Röntgenstrahlung, die sie auf das erkrankte Gewebe lenken. Aber auch elektrisch geladene Atome können die Tumorzellen zerstören – und bieten dabei sogar einige Vorteile. Derzeit untersuchen Wissenschaftler, welche Arten von Atomen sich besonders gut für die Partikeltherapie eignen. Eine dieser Forscherinnen ist Katia Parodi von der Ludwig-Maximilians-Universität in München. Im Interview mit Welt der Physik erklärt sie, wie diese Art der Therapie funktioniert.

Welt der Physik: Welche Möglichkeiten gibt es in der Krebstherapie, um Tumore zu bekämpfen?

Porträt der Wissenschaftlerin Katia Parodi

Katia Parodi

Katia Parodi: Heutzutage kommen – alleine oder auch oft in Kombination – die Chirurgie, die Chemotherapie und die Strahlentherapie zum Einsatz. Etwa die Hälfte der Patienten erhalten im Laufe ihrer Behandlung eine Strahlentherapie. Dafür wird immer noch am häufigsten Röntgenstrahlung verwendet, also hochenergetische elektromagnetische Strahlung. Doch es arbeiten bereits viele Wissenschaftler am Einsatz von vollständig ionisierten Atomen, also Atomkernen ohne Elektronen. Diese sogenannte Partikeltherapie ist die derzeit modernste Art der Strahlentherapie.

Wie funktioniert die Strahlentherapie?

Das Ziel einer Strahlentherapie besteht darin, Tumorzellen zu töten, ohne das umgebende gesunde Gewebe zu schädigen. Nun kommt es darauf an, wo die Strahlung – egal, ob Röntgenstrahlen oder Partikel – den größten Teil ihrer Energie deponiert, da sie dort den größten Schaden in den Zellen anrichtet. Wir sprechen in diesem Zusammenhang auch von einem Dosismaximum. Und wir wollen natürlich, dass dieses Dosismaximum möglichst genau bei den Tumorzellen liegt.

Gibt es einen Unterschied zwischen Röntgenstrahlung und Ionen?

Ja, Ionen wechselwirken anders mit Materie – also im konkreten Fall mit dem Gewebe – als elektromagnetische Strahlung. Bei der Therapie mit Röntgenstrahlung befindet sich das Dosismaximum relativ nah an der Eintrittsstelle, danach fällt die Dosis exponentiell ab. Denn tritt Röntgenstrahlung in den Körper ein, wechselwirkt sie sofort mit der Materie und ionisiert Atome. Dadurch werden Elektronen aus den Atomen gelöst, die wiederum Zellschäden verursachen können.

Und wie läuft der Prozess mit geladenen Teilchen ab?

Die hochenergetischen Ionen werden zu Beginn fast nur abgebremst, schädigen oder zerstören dabei aber so gut wie kein gesundes Gewebe. Erst am Ende ihrer Flugbahn – wenn sie langsam genug geworden sind – geben sie den Großteil ihrer Energie ab. Die Reichweite der Teilchen im Gewebe hängt dabei von ihrer anfänglichen Energie ab. Indem man also die Energie der Teilchen kontrolliert, lässt sich die Position des Dosismaximums relativ genau festlegen. Das bedeutet, dass wir quasi punktgenau auf den Tumor zielen können – mit viel weniger Strahlenbelastung für das Gewebe vor und hinter dem Tumor.

Die Grafik zeigt das Tiefenverteilung der Dosis für Protonen, Kohlenstoffionen und Röntgenstrahlen in Wasser: Das Dosismaximum von Röntgenstrahlung befindet sich relativ nah an der Eintrittsstelle, danach fällt die Dosis exponentiell ab. Ionen und Protonen geben erst am Ende ihrer Flugbahn – wenn sie langsam genug geworden sind – den Großteil ihrer Energie ab.

Dosismaximum

Und wie werden die Tumorzellen durch die Strahlung zerstört?

Röntgenstrahlen entfalten ihre Wirkung eher indirekt: Sie erzeugen in einer Tumorzelle freie Radikale – das sind hochreaktive chemische Sauerstoffmoleküle oder organische Verbindungen, die Sauerstoff enthalten. Und diese freien Radikale verteilen sich in der Zelle und können diese schädigen und zerstören. Hier zeigt sich einer der biologischen Vorteile der Partikeltherapie, denn die Radikalentstehung hängt stark vom Sauerstoffanteil im Tumor ab. Ist dieser zu niedrig – wie etwa in relativ großen Tumoren –, entstehen nicht so viele freie Radikale. Nach unserem derzeitigen Verständnis der Strahlenbiologie schädigen dagegen Ionen eher direkt das Erbgut der Tumorzelle.

Welche Ionen werden für die Partikeltherapie verwendet?

Für die Partikeltherapie verwenden wir Teilchen wie Protonen – also Wasserstoffkerne – oder Schwerionen. Als Schwerionen bezeichnen wir größere und massereichere Atomkerne wie beispielsweise Kohlenstoffionen. Mit Protonen lassen sich die Tumore zwar zielgenau anvisieren, doch im Vergleich zu massereicheren Partikeln streuen sie stärker seitlich ins Gewebe. Außerdem sind Protonen nicht so gut für große, sauerstoffarme Tumore geeignet. Schwerionen übertragen aufgrund ihrer größeren elektrischen Ladung mehr Energie, können somit die Tumorzellen stärker schädigen –und man ist weniger vom Sauerstoffgehalt des Tumors abhängig.

Also sind Schwerionen für die Partikeltherapie besser als Protonen?

Das kann man so pauschal nicht sagen. Die Pioniere der Partikeltherapie von der University of California in Berkeley haben sich zu Beginn der Forschung in den 1970er-Jahren mit sehr schweren Ionen wie Silizium, Argon und Neon befasst. Aber es wurde relativ bald klar, auch durch Pionierarbeiten am GSI Helmholtzzentrum für Schwerionenforschung in Darmstadt, dass „umso schwerer“ nicht gleich „desto besser“ ist. Denn aufgrund der höheren Ladung gibt es beispielweise mehr Ionisierungsprozesse, durch die auch das gesunde Gewebe geschädigt wird. Dadurch verliert man also genau den Vorteil, den man sich eigentlich von der Partikeltherapie erhofft.

Für welche Arten von Tumoren kommt die Partikeltherapie denn bereits zum Einsatz?

Heutzutage wird am häufigsten die Protonentherapie eingesetzt – beispielsweise bei Tumoren an der Schädelbasis mit lebenswichtigen Strukturen in direkter Nachbarschaft. Dafür gibt es weltweit über siebzig Anlagen. Mit Schwerionen werden hingegen strahlenresistente Tumore behandelt, bei denen es besonders wichtig ist, die erhöhte biologische Wirksamkeit der Ionen auszunutzen. Derzeit werden ausschließlich Kohlenstoffionen für die Schwerionentherapie an weltweit elf klinischen Einrichtungen verwendet. Aber ob Kohlenstoff wirklich am besten geeignet ist, wissen wir nicht. Doch irgendwann musste man sich für ein bestimmtes Ion entscheiden, um den langen Weg über Experimente, Tierversuche und klinische Studien bis hin zum klinischen Einsatz zu beschreiten.

Wird aktuell auch an Alternativen zu Kohlenstoffionen geforscht?

Ja, beispielsweise ist Sauerstoff für die Schwerionentherapie interessant. Sauerstoff ist zwar schwerer als Kohlenstoff, hat aber keine der bereits erwähnten schwerwiegenden Nachteile von Schwerionen. In den nächsten Jahren sollen mit Sauerstoff klinische Studien durchgeführt werden. Außerdem wird aktuell auch über Helium diskutiert, da Heliumkerne schwerer als Protonen sind und daher nicht so stark seitlich streuen. Auch hierzu werden aktuell klinische Tests am Heidelberger Ionenstrahl-Therapiezentrum vorbereitet.

Quelle: https://www.weltderphysik.de/gebiet/leben/tumortherapie/die-modernste-art-der-strahlentherapie/