„Der Stromverbrauch lässt sich deutlich reduzieren“

Dirk Eidemüller

Die Illustration zeigt viele dünne Linien, die vom Mittelpunkt des Bildes ausgehen. Sie sind teilweise gerade und teilweise geschwungen.

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In Teilchenbeschleunigern lassen Physikerinnen und Physiker winzige Teilchen mit extrem hohen Geschwindigkeiten aufeinanderprallen, um ihre fundamentalen Eigenschaften zu untersuchen. Doch für den Betrieb solcher Anlagen wird sehr viel Energie benötigt. In Zukunft sollen Konzepte wie die sogenannte Energie-Rückgewinnung nicht nur helfen, Strom zu sparen und Teilchenbeschleuniger damit nachhaltiger zu machen. Mit dieser Methode könnten auch stärkere Teilchenstrahlen als bisher für die Kollision verfügbar sein. Im Interview mit Welt der Physik erzählt Norbert Pietralla von der Technischen Universität Darmstadt, wie er und sein Team erstmals eine zweistufige Energie-Rückgewinnung am Elektronenbeschleuniger S-DALINAC in Darmstadt demonstriert haben.

Welt der Physik: Sie haben sich mit der Energie-Rückgewinnung bei Teilchenbeschleunigern beschäftigt. Was kann man sich darunter vorstellen?

Das Bild zeigt ein Porträt des Forschers.

Norbert Pietralla

Norbert Pietralla: Ein Teilchenbeschleuniger bringt Elementarteilchen – meist Elektronen oder Protonen – auf Geschwindigkeiten nahe der Lichtgeschwindigkeit. Bei vielen Experimenten ist es so, dass die Teilchen zunächst durch ein elektrisches Feld stark beschleunigt und dann zur Kollision gebracht werden. Dabei kollidiert allerdings oft nur ein sehr kleiner Teil der hochenergetischen Teilchen. Die restlichen Teilchen werden in einen Strahlfänger geleitet. Dort werden sie gestoppt, wobei die Energie der Teilchen verloren geht. Die Idee hinter der sogenannten Energie-Rückgewinnung ist es jetzt, die im Strahl verbliebenen Teilchen nicht irgendwo zu stoppen, sondern sie noch einmal durch den Teilchenbeschleuniger laufen zu lassen. Sie werden gezielt abgebremst und geben dabei ihre Bewegungsenergie wieder an das elektromagnetische Feld im Beschleuniger ab. Diese Energie kann dann genutzt werden, um den nächsten Teilchenstrahl zu beschleunigen. Von außen muss deshalb der Beschleunigeranalage weniger Energie zugeführt werden und der Teilchenbeschleuniger läuft „im Energiesparmodus“.

Wie werden die Teilchen denn überhaupt beschleunigt?

Um Teilchen zu beschleunigen, gibt es verschiedene Möglichkeiten. Heutzutage nutzt man meistens starke elektromagnetische Wechselfelder in speziell geformten Hohlräumen, durch die die Teilchen fliegen. Die Wechselfelder schwingen mit hoher Frequenz, im Bereich von Mikrowellen, ähnlich wie die in den Küchengeräten – allerdings mit viel mehr Energie. Will man nun etwa Elektronen auf hohe Energien beschleunigen, speist man sie in kleinen Paketen in die Hohlräume ein. Das macht man genau dann, wenn das Wechselfeld gerade so schwingt, dass die Elektronen darin eine nach vorne gerichtete Kraft erfahren. Und wenn das elektromagnetische Feld wieder zurückschwingt, hat das Elektronenpaket bereits den Hohlraum verlassen. Das nächste Elektronenpaket lässt sich erst dann beschleunigen, wenn die Welle wieder vorwärts schwingt. Die Elektronenpakete durchlaufen mehrere solcher Beschleunigungsstrecken hintereinander, wobei die Felder in den nachfolgenden Hohlräumen zeitlich aufeinander abgestimmt sind. So werden die Teilchen wie ein Surfer auf einer Wasserwelle beschleunigt und verlassen den Beschleuniger mit hoher Energie.

Woher kommt die Energie für das Beschleunigen?

Die nötige Energie muss man durch geeignete Mikrowellensender von außen der Beschleunigeranlage zuführen. Noch effizienter wird es, wenn man den Strahl mehrmals durch den gesamten Beschleuniger schickt. Dafür wird der Strahl mithilfe von Magnetfeldern zurück zum Anfang des Beschleunigers geführt und wieder zum genau richtigen Zeitpunkt in die Hohlräume eingeschossen. Dadurch werden die Elektronenpakete immer weiter beschleunigt. Am supraleitenden Linearbeschleuniger S-DALINAC in Darmstadt, an dem ich mit meinem Team arbeite, rezirkulieren wir den Strahl bis zu dreimal, bevor die Teilchen kollidieren.

Foto vom S-DALINAC Elektronenbeschleuniger am Institut für Kernphysik der Technischen Universität Darmstadt. In der rechten Bildmitte sieht man den Linearbeschleuniger, der 160 Mikrowellen-Hohlräume zur Teilchenbeschleunigung enthält. Im Vordergrund und der linken Bildmitte erkennt man die drei Rezirkulationsstrahlrohre aus Stahl, die an ausgewählten Stellen mit den Strahlführungsmagneten umgeben sind. In den evakuierten Strahlrohren bewegen sich die Elektronenpakete mit über 99,9 Prozent der Lichtgeschwindigkeit. Einige der Magnete sind auf ferngesteuert beweglichen Tischen montiert. Sie ermöglichen es, die Flugstrecke zum nächsten Wiedereintritt in den Beschleuniger um bis zu 10 cm zu verändern, so dass die Elektronenpakete beim nächsten Wiedereintritt durch den Beschleuniger wahlweise entweder beschleunigt oder wieder abgebremst werden.

S-DALINAC

Und wie lässt sich in einer solchen Anlage die Energie der übrigen Teilchen zurückgewinnen?

Der Trick besteht nun darin, am Ende des Beschleunigungsvorgangs – also nach bis zu drei Runden – die übrig gebliebenen Elektronen sozusagen nicht mit der Welle, sondern gegen sie zu schicken. Dabei durchlaufen sie noch dreimal dieselben Hohlräume wie bei der Beschleunigung. Aber anstatt sie nun von der Welle beschleunigen zu lassen, stoßen die Elektronenpakete ihrerseits die Welle an und geben dabei Energie an das Wechselfeld ab. Um diesen Effekt zu erreichen, muss man die Weglänge der Elektronen zum Wiedereinschuss in den Beschleuniger verändern – so, dass sie genau dann in die mit Mikrowellen gefüllten Hohlräume eintreten, wenn die Welle gerade zurückschwingt. Dann werden die Elektronenpakete abgebremst und ein Teil ihrer Bewegungsenergie geht in das Mikrowellenfeld über.

Wie hoch ist die Energie-Rückgewinnung?

Bei einem einzelnen Umlauf ist sie bereits sehr gut und kann 99 Prozent erreichen. Aber wie bereits erwähnt, nutzen wir meistens mehrere Umläufe, bis die beschleunigten Elektronen miteinander kollidieren – beim S-DALINAC bis zu drei. Es wird aber umso schwieriger, die Gesamtenergie der restlichen Elektronen zurückzugewinnen, je öfter die Elektronen im Beschleuniger zirkuliert sind. Das liegt daran, dass sie nach mehreren Bremsrunden immer ungeordneter durch den Beschleuniger sausen. Wir haben in unseren jüngsten Versuchen bei zwei Runden bei einem schwachen Strahl aber immerhin 87 Prozent der Bewegungsenergie zurückgewinnen können. Bei sehr intensivem Strahl mit vielen Teilchen werden die Elektronen etwas ungeordneter, sodass wir dann nur rund 60 Prozent der Energie zurückholen konnten. Dazu muss man aber sagen, dass der S-DALINAC ursprünglich nicht für die Energie-Rückgewinnung gebaut und optimiert wurde. Für diese Machbarkeitsstudie haben wir ihn etwas umbauen müssen. Künftige Beschleuniger, bei denen das von Anfang an implementiert ist, sollten noch sehr viel effizienter die Energie der Teilchenstrahlen recyceln können.

Wie lässt sich die recycelte Energie nutzen?

Damit lassen sich zwei Effekte erzielen. Erstens kann man Energie einsparen, weil man weniger Strom für den Betrieb der elektromagnetischen Wechselfelder benötigt. Denn die Leistung der Mikrowellengeneratoren kann von wenigen Kilowatt – wie bei uns in Darmstadt am Teilchenbeschleuniger S-DALINAC – bis hin zu vielen Megawatt bei großen Anlagen reichen. Wenn man Einsparraten von über 90 Prozent erzielt, spart das nicht nur Energie, sondern drückt bei großen Anlagen auch die Betriebskosten deutlich. Und zweitens kann man die zurückgewonnene Energie auch nutzen, um stärkere Teilchenstrahlen zu erzeugen als bisher technisch möglich ist. Denn die Mikrowellengeneratoren können nur innerhalb gewisser Grenzen Energie in die Wechselfelder einspeisen. Diese Gesamtenergie lässt sich durch Recycling der Teilchenenergie erhöhen.

Für welche Einsatzzwecke kann das eine Rolle spielen?

Das kann sowohl in der Teilchenphysik als auch in der Industrie wichtig sein. In der Grundlagenforschung werden zurzeit Konzepte für extrem starke Teilchenbeschleuniger diskutiert. Wenn eine solche Anlage aber einen so hohen Stromverbrauch hätte, dass mehrere Großkraftwerke zur Energieversorgung nötig sind, dann wären diese Pläne finanziell nicht realisierbar und in der heutigen Zeit der Energieknappheit auch nicht zu vertreten. Die Energie-Rückgewinnung könnte den Stromverbrauch solcher Anlagen auf ein vertretbares Maß reduzieren. Auch in der Industrie gibt es Bedarf an starken Elektronenbeschleunigern, zum Beispiel als Quelle für Gammastrahlung, die etwa für die Herstellung von Siliziumchips genutzt wird. Auch hier ließe sich der Stromverbrauch reduzieren. In Mainz entsteht mit dem MESA-Beschleuniger außerdem gerade ein Teilchenbeschleuniger, der von Anfang an zur Energie-Rückgewinnung konzipiert wurde. Ich bin mir sicher, dass sich das Konzept bei vielen neuen Teilchenbeschleunigern durchsetzen wird.

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Das Bundesministerium für Bildung und Forschung fördert das Projekt „R&D BESCHLEUNIGER (TOSCA): V: Kritische Problemstellungen für die erfolgreiche Umsetzung von zukünftigen supraleitenden Beschleunigern (Materialien, Komponenten, Simulationen und Systeme)“ im Zeitraum von Juli 2021 bis Juni 2024 mit rund 1 080 000 Euro.

Fördersumme: 1 082 648 Euro

Förderzeitraum: 01.07.2021 bis 30.06.2024

Förderkennzeichen: 05H21RDRB1

Beteiligte Institutionen: TU Darmstadt

Quelle: https://www.weltderphysik.de/thema/bmbf/physik-der-kleinsten-teilchen/teilchenbeschleuniger-der-stromverbrauch-laesst-sich-deutlich-reduzieren/