Hüpfende Eiskristalle

Jan Oliver Löfken

Drei schwarz-weiße Mikroskopaufnahme, die zeigen, wie sich ein Kristall immer weiter von einer Oberfläche entfernt

Virginia Tech

Während Wassertropfen in der Erdatmosphäre zu Eiskristallen gefrieren, können sich diese elektrostatisch aufladen. Diese Aufladung wird verursacht, wenn beim Erstarren elektrische Ladungen bei unterschiedlichen Temperaturen getrennt werden. Das Phänomen untersuchten Physiker nun genauer und ließen sogar winzige Eiskristalle – elektrostatisch aufgeladen – von einer Oberfläche nach oben hüpfen. Wie sie in der Fachzeitschrift „ACS Nano“ berichten, könnte dieser elektrostatische Effekt in Zukunft genutzt werden, um auch große Oberflächen zu enteisen.

Bisher interessierten sich vor allem Atmosphärenphysiker für die elektrostatische Aufladung von Eiskristallen, da sie beim Entstehen von Wolken und bei Niederschlägen eine wichtige Rolle spielt. Die Eiskristalle können sich dabei nicht nur gegenseitig abstoßen, sondern auch elektrische Ladungen von Kristall zu Kristall übertragen. Solche Effekte müssen etwa bei der Bildung von Hagelkörnern berücksichtigt werden. Aufbauend auf diesen Phänomenen entwickelten Jonathan Boreyko von der Virginia Tech in Blacksburg und seine Kollegen nun ein ausgeklügeltes Experiment, um die elektrischen Ladungen in Eiskristalle zu trennen.

Zunächst kühlten die Forscher eine glatte Fläche aus Silizium auf minus zehn Grad Celsius und ließen darauf eine dünne Wasserschicht gefrieren. Da in der Eisschicht die Temperatur von unten nach oben etwas zunahm, trennten sich die elektrischen Ladungen auf – in positiv geladene Ionen und negativ geladene Elektronen. So baute sich etwa an der etwas wärmeren Oberfläche eine negative Ladung auf. In einem nächsten Schritt hielten Boreyko und seine Kollegen ein mit Wasser befeuchtetes Filterpapier etwa fünf Millimeter über die Eisfläche. Aufgrund der negativ geladenen Eisschicht richteten sich die polaren Wassermoleküle aus und induzierten eine positive Ladung in dem Wasserfilm. Daraufhin brachen winzige Eiskristalle von der Eisschicht ab und hüpften – angezogen von der positiven elektrostatischen Ladung – zum befeuchteten Filterpapier.

Dieses Springen verfolgten die Forscher mit einer Hochgeschwindigkeitskamera: Binnen weniger Mikrosekunden legten die Eiskristalle die kurze Distanz zurück und erreichten dabei eine bis zu zehnfache Erdbeschleunigung. Bisher gelang dieses Experiment allerdings nur für sehr kleine, etwa 100 Mikrometer große Eiskristalle. In weiteren Versuchen möchten Boreyko und sein Team dieses Phänomen auch für größere Eisflächen nutzbar machen. „Wenn wir diesen elektrostatischen Effekt verstärken können, ließen sich ganze Flächen schnell enteisen“, so Boreyko. Das wäre die Basis für eine völlig neue Methode, um vereiste Oberflächen – wie etwa die Tragflächen von Flugzeugen – ohne den Einsatz von Chemikalien elegant von Eis zu befreien.

Quelle: https://www.weltderphysik.de/gebiet/materie/nachrichten/2021/huepfende-eiskristalle/