Der Gipfel des Gletscherschwunds
Lander Van Tricht/ETH Zurich, Chair of Glaciology
Noch finden sich rund 210 000 Gletscher auf der Erde. Doch jedes Jahr schmelzen davon etwa 800 vollständig ab. Dieser Trend wird sich bis Mitte des Jahrhunderts weiter beschleunigen – auf bis zu 4000 Gletscher jährlich. Dieses Maximum – „Peak Glacier Extinction“ genannt – ermittelte eine Gruppe von Glaziologinnen und Glaziologen. Wie sie in der Fachzeitschrift „Nature Climate Change“ berichten, sind die Gletscher in Regionen Zentraleuropas wie in den Alpen besonders betroffen. So könnten bei fortschreitender Erderwärmung bis zum Ende des Jahrhunderts gerade mal 20 der heute noch 3198 alpinen Gletscher existieren.
Gemeinsam mit seiner Arbeitsgruppe hat Lander van Tricht von der Eidgenössischen Technischen Hochschule in Zürich tausende schmelzende Gletscher unter die Lupe genommen. Dazu nutzten die Forschenden drei Modelle, mit denen sich das Schmelzverhalten bei unterschiedlicher Höhe, Geländeform oder Ausrichtung zur Sonne ermitteln lässt. Auf dieser Basis entwickelten sie Prognosen für vier klimapolitisch relevante Szenarien: für 1,5 und 2,0 Grad Celsius Erwärmung gemäß den Pariser Klimazielen, für 2,7 Grad Celsius und für ein Szenario mit einer stärkeren Erderwärmung von 4,0 Grad Celsius. Ein Gletscher gilt dabei als verschwunden, wenn er auf unter 10 000 Quadratmeter Grundfläche oder auf weniger als ein Prozent des ursprünglichen Volumens schrumpft. Auf diese Weise „haben wir zum ersten Mal jedem Gletscher auf der Erde ein Jahr zugeordnet, in dem er verschwunden sein wird“, so van Tricht.
Deutliche regionale Unterschiede
Ihre Analyse ergab, dass in Gebieten mit überwiegend großen Gletschern – etwa der Arktis, Spitzbergen oder an den Rändern Grönlands – der Gletscherschwund im späten 21. Jahrhundert seinen Höhepunkt erreichen wird. Bei einer aus heutiger Sicht unwahrscheinlichen Begrenzung der Erderwärmung auf 1,5 Grad Celsius könnten noch fast die Hälfte aller derzeitigen Gletscher dieses Jahrhundert überstehen. Bei dem wahrscheinlicheren Szenario von 2,7 Grad Celsius Erwärmung würde hingegen nur ein Fünftel verbleiben, bei vier Grad sogar weniger als zehn Prozent.
In Regionen mit vielen kleinen Gletschern wie den Alpen wirkt sich der Gletscherschwund jedoch stärker aus. Dort drohe laut der Studie der Höhepunkt der Gletscherschmelze schon ab 2033. Und selbst bei nur 1,5 Grad Celsius Erderwärmung würden bis zum Ende des Jahrhunderts mit etwa 430 Gletschern nur zwölf Prozent verbleiben und bei vier Grad Celsius gerade einmal 20 Gletscher, sprich: ein Prozent der heutigen Gletscher. Ähnlich stark werden die Gletscher in den nordamerikanischen Rocky Mountains abschmelzen. Nur ein wenig besser träfe es Zentralasien: Dort könnten bei vier Grad Celsius Erderwärmung immerhin vier Prozent der Gletscher, insgesamt etwa 2500, das Jahrhundert überdauern und in den südamerikanischen Anden immerhin sechs Prozent – das entspricht knapp 1000 Gletschern.
Insgesamt werden selbst mit einem ambitionierten Klimaschutz mehr als die Hälfte aller Gletscher in den kommenden Jahrzehnten verschwinden. Das wird in den betroffenen Regionen wie den Alpen nicht nur starke Auswirkungen auf den Skitourismus haben. Es gefährdet auch die Wasserversorgung der angrenzenden Tallandschaften mit Schmelzwasser. Die verschwindenden Gletscher lassen zudem den Meeresspiegel mit derzeit etwa einem Millimeter pro Jahr ansteigen, Tendenz steigend. Auch mit vermehrten Felsstürzen und Erdrutschen, die ganze alpine Ortschaften verschütten können, ist zu rechnen.
Quelle: https://www.weltderphysik.de/gebiet/erde/nachrichten/2025/klimawandel-der-gipfel-des-gletscherschwunds/


