Mehr Fluten durch wachsende Gletscherseen

Jan Oliver Löfken

Gletschersee unterhalb eines schneebedeckten Berggipfels

Matthew Westoby

In den Hochgebirgen rund um den Globus schmelzen die Gletscher immer schneller. So schrumpften sie zwischen den Jahren 2006 und 2016 um etwa 330 Milliarden Tonnen pro Jahr. Doch nicht das gesamte Schmelzwasser rinnt sofort in die Täler, sondern sammelt sich häufig in Gletscherseen. Aufgestaut durch fragile Eisdämme und Geröll steigt das Risiko für plötzliche Fluten. Dieses Risiko analysierten Forscher nun genauer. Sie berichten in der Fachzeitschrift „Nature Communications“, dass weltweit etwa 15 Millionen Menschen von möglichen Gletscherfluten bedroht seien.

„Das globale Risiko durch solche Eisstauseen wurde bisher noch nie quantifiziert“, schreiben Caroline Taylor von der Newcastle University und ihre Kollegen. Um diese Wissenslücke zu schließen, nahmen die Wissenschaftler alle Hochgebirge der Erde in den Fokus. Dabei betrachteten sie nicht nur die Gletscher und die aktuellen Schmelzraten. Auch die jeweiligen Landschaftsformen sowie die Größe und Anzahl der Siedlungen unterhalb der Gletscherregionen flossen in ihre Risikoanalyse mit ein. Zudem betrachteten Taylor und ihre Kollegen, wie verletzlich die Menschen in den verschiedenen Regionen sind. Hierfür spielten unter anderem die Infrastruktur und der Zustand des lokalen Katastrophenschutzes eine Rolle.

Die Analyse der Forscher ergab, dass seit 1990 sowohl die Anzahl als auch die Größe von Eisstauseen um etwa 50 Prozent zunahmen. Da diese Stauseen nur durch fragile, natürliche Dämme aus Eis und Geröll gehalten werden, können sie sehr plötzlich brechen. Die Menschen unterhalb der Gletschergebiete lassen sich dann nur sehr kurzfristig vorwarnen. Und je dichter die Besiedlung dort ist, desto mehr Menschen sind von den möglichen Fluten gefährdet. Vor allem um den Himalaya und die Anden ist dieses Risiko hoch. Von insgesamt 15 Millionen gefährdeten Menschen leben mehr als die Hälfte in nur wenigen Staaten: Indien, Pakistan, China und Peru. Doch auch in den Alpen ist die Gefahr nicht gering, vor allem in Italien und der Schweiz. In Frankreich und Österreich drohen dagegen weniger Gletscherfluten.

Mit dieser Analyse beziffert die Studie erstmals weltweit das Risiko der immer mehr werdenden Eisstauseen. Weitere Studien könnten nun konkrete Schutz- und Anpassungsstrategien entwickeln. So könnten Simulationen von Gletscherfluten die wahrscheinlich betroffenen Gebiete anzeigen, in denen sich Menschen möglichst nicht mehr ansiedeln sollten. Außerdem könnte man effiziente Methoden entwickeln, um das Wasser aus den Eisstauseen vor einem möglichen Bruch der Dämme kontrolliert abfließen zu lassen.

Quelle: https://www.weltderphysik.de/gebiet/erde/nachrichten/2023/gletscherschmelze-mehr-fluten-durch-wachsende-gletscherseen/