„Empfindlicher Parameter für Klimawandel“
Franziska Konitzer
Jedes Jahr treten in Europa Flüsse über ihre Ufer und können dabei Schäden in Millionenhöhe verursachen. Zwar sind Hochwasser in vielen Regionen nichts Ungewöhnliches, ob und inwieweit aber auch der Klimawandel eine Rolle dabei spielt, konnten Wissenschaftler bislang nur vermuten. Eine internationale Forschergruppe kommt nun zu einem eindeutigen Ergebnis: Der Klimawandel hat den Zeitpunkt für das Auftreten von Hochwasser in Europa bereits deutlich verschoben. Über die im Fachmagazin „Science“ veröffentlichte Studie sprach Welt der Physik mit dem beteiligten Wissenschaftler Günter Blöschl von der Technischen Universität Wien.
Welt der Physik: Wie haben Sie den Einfluss des Klimawandels auf Hochwasser in Europa untersucht?
Günter Blöschl: Uns hat zunächst interessiert, ob der Klimawandel überhaupt einen Einfluss auf Hochwasser hat. Das war bislang nämlich völlig unklar. Dafür haben wir Daten von über viertausend Messstationen über einen Zeitraum von fünfzig Jahren – von 1960 bis 2010 – ausgewertet. Das ist mit Abstand der umfangreichste Datensatz in Europa, den es je dazu gegeben hat. Wir haben mit diesen Daten nicht etwa untersucht, wie hoch das Wasser stand, sondern in welchem Monat das Hochwasser innerhalb eines Jahres auftrat und ob sich der Zeitpunkt innerhalb der letzten fünfzig Jahre verschoben hat. Das ist ein empfindlicher Parameter dafür, ob Hochwasser vom Klimawandel beeinflusst werden.
Warum ist der Zeitpunkt ein besserer Parameter als die Höhe?
Das liegt einerseits daran, dass das Klima in Europa sehr saisonal ist. Es gibt sehr große Unterschiede zwischen Sommer und Winter – nicht nur, was die Temperatur angeht, sondern auch bezüglich des Niederschlags, der Verdunstung und der Bodenfeuchte. Andererseits hängt das Ausmaß eines Hochwassers zusätzlich von anderen Faktoren ab. Das können beispielsweise Flussbegradigungen oder Landnutzungsänderungen sein. Wenn zum Beispiel mehr Bodenfläche durch wachsende Städte versiegelt wird, beeinflusst das die Höhe, nicht aber den Zeitpunkt eines Hochwassers. Wir können das Klimasignal daher viel klarer aus unseren Daten herausfiltern, wenn wir zunächst nur auf den Zeitpunkt achten.
Was war das Ergebnis der Analyse?
Es sind klare Ergebnisse. Das Hauptergebnis ist, dass der Klimawandel die Hochwasser in den letzten fünfzig Jahren beeinflusst hat. Der Schluss daraus ist: Wenn es bereits in den letzten fünfzig Jahren einen Einfluss gegeben hat, wird es wahrscheinlich auch in der Zukunft so sein.
Können Sie konkrete Beispiele für diesen Einfluss nennen?
Wir haben innerhalb Europas verschiedene Regionen untersucht, in denen unterschiedliche Effekte eine Rolle spielen. Im Nordosten von Europa – also in Schweden, Finnland, den baltischen Staaten und Teilen von Russland – spielt die Schneeschmelze eine große Rolle. Im Frühjahr treten dort Überschwemmungen auf, die sehr stark von der Schneeschmelze im Februar, März und April abhängen. Wir konnten aus unseren Daten erkennen, dass sich diese Hochwasser in Richtung Jahresbeginn verschoben haben. Was also vor fünfzig Jahren im Durchschnitt ein April-Hochwasser war, tritt jetzt eher im März auf, weil es wärmer ist und der Schnee früher abschmilzt.
Und wie sieht es im Rest von Europa aus?
Der zweite klare Effekt betrifft die Nordseeregion, also England, Schottland, Teile von Deutschland und Dänemark. In diesen Staaten treten nun eher spätere Hochwasser auf, also im Januar, wohingegen sie sich vor fünfzig Jahren eher im Dezember ereignet haben. Sie haben sich also um zwei oder drei Wochen verschoben. Das hängt mit der Verschiebung der Wettermuster zusammen, genauer gesagt mit den atmosphärischen Zirkulationsmustern. Die Systeme, die den dafür verantwortlichen Niederschlag produzieren, kommen aus Kanada und von der Atlantikküste. Über dem Atlantik nehmen sie verdunstetes Meerwasser auf, ziehen dann in Richtung Osten weiter und sorgen in Europa für Niederschlag. Aber wo und wann genau dieser Niederschlag kommt, hängt von dem Druckgefälle zwischen Äquator und Pol ab. Wenn sich der Pol aufgrund des Klimawandels stärker erwärmt als der Äquator, verschiebt sich dieses Gefälle.
Also kann man den Einfluss des Klimawandels nicht pauschalisieren?
Genau. Man kann das nicht alles über einen Kamm scheren, weil ganz verschiedene Faktoren eine Rolle spielen. Das macht die Sache auch so komplex – und noch niemand vor uns hat den Zusammenhang so genau vermessen. Wir haben erstmals europaweit einen Einfluss des Klimawandels auf die Hochwasser festgestellt. Es gibt auch noch einen dritten Effekt: In Westeuropa hängen die Hochwasser eher von der Bodenfeuchte ab. Aufgrund der verschobenen Tiefdruckgebiete regnet es mehr, der Grundwasserspiegel ist also höher und der Boden feuchter. Weil der Boden feuchter ist, kommen die Hochwasser früher. In den 1970er- oder 1980er-Jahren traten sie im Dezember auf, und jetzt bereits im November oder sogar Ende Oktober. Europa ist also hydrologisch äußerst komplex, es gibt ganz komplizierte Muster.
Was sind für Sie die nächsten Schritte in der Forschung?
Wir können mit diesen Daten unsere Modelle für Hochwasser verbessern. Denn wenn ein Modell diese Verschiebung der Zeitpunkte nicht richtig wiedergeben kann, dann ist es kein vertrauenswürdiges Modell, um Zukunftsprognosen zu machen. Im nächsten Schritt wollen wir unsere Modelle nun testen, und im übernächsten Schritt tatsächlich untersuchen, wie hoch das Wasser jeweils steigt. Das hat die zusätzliche Komplikation, dass wir auch Faktoren wie Landnutzungseinflüsse und wasserbauliche Einflüsse anschauen müssen. Da sind wir schon dabei.
Fallen die Hochwasser in Europa denn tatsächlich schlimmer aus?
Auch das Ausmaß der Hochwasser verschiebt sich. In Teilen von Europa steigt die Höhe an, in anderen Teilen sinkt sie. Unsere Handlungsempfehlung lautet daher nicht: Bitte alle Dämme erhöhen, denn das mag nur für einige Regionen zutreffen. Aber das Risiko verschiebt sich. Der Klimawandel hat also einen Einfluss auf Hochwasser. Das war vorher noch nicht so klar.
Quelle: https://www.weltderphysik.de/gebiet/erde/nachrichten/2017/empfindlicher-parameter-fuer-klimawandel/