„Das war zu einfach gedacht“

Denise Müller-Dum

Blauer, dampfender Teich in einer Landschaft

kwiktor/iStock

Mit verschiedenen Methoden untersuchen Geophysiker die Eigenschaften der Erdkruste – so lässt sich etwa ihre Leitfähigkeit mithilfe der Magnetotellurik bestimmen oder ihre Dichtestruktur durch Gravimetrie. Das erlaubt unter anderem Rückschlüsse auf die chemische Zusammensetzung der Erdkruste. Allerdings sind die Ergebnisse oft uneindeutig. Um dieses Problem zu lösen, hat Max Moorkamp von der Ludwig-Maximilians-Universität München nun eine Methode aus der Medizin verwendet, um die aus der Magnetotellurik und der Gravimetrie gewonnenen Messdaten zu einem einheitlichen Bild des Erdinneren zu kombinieren. Wie das funktioniert, erklärt der Physiker im Interview mit Welt der Physik.

Welt der Physik: Welche Rolle spielt die Erdkruste für die Prozesse, die an der Oberfläche stattfinden?

Porträt des Wissenschaftlers Max Moorkamp

Max Moorkamp

Max Moorkamp: Der Aufbau der Erdkruste, also im Schnitt der oberen 30 bis 35 Kilometer der Erde, unterscheidet sich zum Beispiel deutlich zwischen einem Kontinent und dem Meeresboden. Wenn man etwa wissen will, wo Erdbeben auftreten können, hat das unter anderem damit zu tun, ob es irgendwelche Schwächezonen in der Kruste gibt. Auch Vulkanismus ist ein Prozess, der von vielen Faktoren beeinflusst wird: Da sind vor allem Prozesse im Erdmantel, der unter der Kruste liegt, wichtig. Aber für die Frage, wieso das Magma an bestimmten Stellen austritt, ist wieder der Aufbau der Erdkruste relevant.

Mit welchen Methoden untersucht man die Erdkruste?

Da gibt es die Seismologie, bei der man entweder künstliche Erschütterungen oder Erdbeben benutzt, um sich anzuschauen, wie sich die seismischen Wellen in der Erde ausbreiten. Eine weitere Methode ist die Gravimetrie. Dabei untersucht man die Variationen der Erdanziehungskraft, die zwar sehr klein sind, sich aber dennoch messen lassen. Diese Variationen erlauben dann Rückschlüsse auf die Dichtestruktur der Erde. Ich persönlich beschäftige mich viel mit einem elektromagnetischen Verfahren, der sogenannten Magnetotellurik. Mit dieser Methode ermittelt man die elektrische Leitfähigkeit oder den elektrischen Widerstand in der Erde.

Welche Informationen über die Erdkruste liefert denn die elektrische Leitfähigkeit?

Sie verrät etwas über die Gesteinsarten und deren chemische Zusammensetzung – selbst wenn einige davon nur in ganz geringen Konzentrationen vorliegen. Denn eine kleine Menge Metall genügt, um die Leitfähigkeit von Gestein zu erhöhen. Aber das Gleiche gilt auch für Fluide, also flüssige Materialien in der Erde: Sie sind oft sehr gut leitfähig. Deshalb ist beispielsweise für Vulkane die Magnetotellurik eine sehr beliebte Analysemethode, weil geschmolzenes Gestein einen geringen elektrischen Widerstand beziehungsweise eine hohe Leitfähigkeit hat. Das kann man sehr gut detektieren. Auch in der Mineralexploration, also der Suche nach wertvollen Rohstoffen, ist die Magnetotellurik weit verbreitet.

Wie funktioniert diese Methode?

Das Erdmagnetfeld variiert auf verschiedenen Zeitskalen. Diese Schwankungen hängen beispielsweise mit der Sonnenaktivität zusammen. Abhängig von der Leitfähigkeit induzieren diese natürlichen Magnetfelder kleinste Wirbelströme in der Erdkruste, die dann ihrerseits Magnetfelder erzeugen. Und wir bauen Messstationen an der Erdoberfläche auf, um diese elektromagnetischen Felder zu messen. Dann stellen wir uns noch die Frage, aus welcher Tiefe das gemessene Signal kommt. Dazu kann man die gemessenen Felder nach verschiedenen Frequenzen trennen. Denn die tieferen Frequenzen dringen tiefer in die Erde ein als die höheren Frequenzen. Aus dem Vergleich der gemessenen Feldstärke bei den unterschiedlichen gemessenen Frequenzen erhalten wir daher tiefenaufgelöste Informationen über die Leitfähigkeit. Allerdings entsteht aus den Daten nicht sofort ein räumlich aufgelöstes Bild, sondern man macht mit den Daten eine sogenannte Inversion: Man berechnet eine Leitfähigkeitsverteilung in der Erdkruste, die zu dem gemessenen Signal passt.

Wie schließen Sie dann von der elektrischen Leitfähigkeit auf bestimmte geophysikalische Strukturen?

Grafik einer aufgeschnittenen Erde; verschiedene Schichten bis hin zum Erdkern werden sichtbar

Blick ins Innere der Erde

Was wir letztlich finden, sind Zonen erhöhter Leitfähigkeit. Und diese Zonen interpretieren wir dann mit unserem physikalischen und geologischen Fachwissen. Zum Beispiel geht man in der Regel davon aus, dass eine erhöhte Leitfähigkeit durch eine Schmelze kommt, wenn die Gegend vulkanisch aktiv ist. Fünfzig Kilometer weiter westlich oder östlich hat man womöglich den gleichen Leitfähigkeitswert, dort ist er aber Ausdruck eines erhöhten Metallgehalts. Das schließt man allein aus dem Kontext. Das heißt, was dort wirklich im Boden vorliegt, ist ein bisschen unsicher, und streng genommen sind andere Interpretationen genauso kompatibel mit den Messungen.

Wie gehen Sie mit diesem Problem um?

Ich habe verschiedene Methoden kombiniert – in meinem Fall die Magnetotellurik und die Gravimetrie. Das eine Verfahren liefert die elektrische Leitfähigkeit, das andere die Dichte. Ziel des Verfahrens ist also, die Leitfähigkeitsverteilung mithilfe der Dichteverteilung zu interpretieren, um eindeutige Informationen über die geophysikalischen Strukturen zu gewinnen. Allerdings muss man dafür wissen, wie die Leitfähigkeit und die Dichte zusammenhängen. Und ich habe jetzt ein neues Verfahren entwickelt, das davon ausgeht, dass jedem elektrischen Widerstand eine bestimmte Dichte zugeordnet ist. Dafür habe ich einen Algorithmus programmiert, der mithilfe dieses Zusammenhangs die Ergebnisse der Inversion verbessert. Das Verfahren stammt eigentlich aus der Medizin beziehungsweise dem maschinellen Lernen.

Wofür wird dieses Verfahren in der Medizin genutzt?

Kernspintomografie und Computertomografie sind zwei bildgebende Verfahren in der Medizin, mit denen man jeweils unterschiedliche Sachen im Körper sichtbar macht. Und auch dort gibt es die Frage, wie man diese unterschiedlichen Bilder bestmöglich kombinieren kann. Da werden auch Inversionsverfahren eingesetzt, mit denen zum Beispiel zwei nicht deckungsgleiche Bilder gemeinsam skaliert werden, sodass beide Bilder zusammenpassen.

Was haben Sie durch diese Vorgehensweise erreicht?

Ich konnte die unterschiedlichen Zonen erhöhter Leitfähigkeit in den Messdaten viel besser auseinanderdividieren. Dass das nötig war, habe ich für den Westen der USA gezeigt. Es gibt aber auch Kollegen von mir, die mein Programm in anderen Gegenden benutzen. Ich scheine ein Rezept gefunden zu haben, mit dem man die Erdkruste viel genauer untersuchen kann als bisher.

Satellitenaufnahme der westlichen USA

Satellitenaufnahme der westlichen USA

Warum haben Sie den Westen der USA gewählt für Ihre Studie?

Zum einen ist es eine sehr interessante Gegend. Man hat am Pazifik eine Subduktionszone, also eine Platte, die abtaucht und Erdbeben verursacht und es gibt den Yellowstone-Nationalpark, wo sehr viel Magmatismus ist. Man hat weiter im Nordosten aber auch sehr alte Strukturen und im Süden eine tektonisch aktive Gegend – also sehr viele interessante Phänomene. Das war der eine Grund. Der andere Grund war aber auch die exzellente Datenlage. Wenn man zum ersten Mal eine neue Methode ausprobiert, dann wählt man einen Bereich, wo es viele und zuverlässige Daten gibt.

Was haben Sie festgestellt, als Sie Ihre neue Methode auf diese Gegend angewendet haben?

Die Gegend rund um den Yellowstone-Nationalpark ist vulkanisch sehr aktiv. Deshalb hatten vorherige Studien hohe Leitfähigkeitswerte mit dem Vorhandensein von Schmelzen in Verbindung gebracht. Meine Studie hat jetzt gezeigt, dass das zu einfach gedacht war. Auch sehr nahe am Yellowstone-Nationalpark gibt es Strukturen, deren Dichten gar nicht zu Schmelzen passen. Generell scheinen die Strukturen viel heterogener zu sein als bislang angenommen. Deswegen muss man auch bei anderen Gegenden in der Welt schauen, ob die Leitfähigkeit dort richtig interpretiert wurde. Denn das hat natürlich Auswirkungen auf Fragen wie: Wie hoch ist das Risiko eines Vulkanausbruchs in der Zukunft? Oder: Wie wird sich dieser Bereich auf langen – tektonischen – Zeitskalen verhalten?

Welche Gegenden werden Sie sich als nächstes anschauen?

Ich persönlich werde meine Methode als nächstes auf den Osten der USA anwenden, denn da gibt es noch eine ganze Reihe von offenen Fragen zum Aufbau der Erdkruste. Auch im südlichen Afrika gibt es viele Fragen, zum Beispiel auch zu Rohstoffen oder aber auch zum generellen Aufbau der Erdkruste. Und ich arbeite mit Leuten zusammen, die das Ganze jetzt auch in der Antarktis oder in Australien für verschiedene Zwecke benutzen. Wir versuchen die Methode sogar in etwas angepasster Form auf den Mars anzuwenden, um bessere Modelle der Marskruste zu erstellen.

Quelle: https://www.weltderphysik.de/gebiet/erde/erdinneres/erdkruste-das-war-zu-einfach-gedacht/