Aminosäure bildet sich einfacher als gedacht

Rainer Kayser

Raumsonde vor einem kleinen Himmelskörper

ESA/ATG medialab

Glycin, die einfachste Aminosäure, ließ sich bereits mehrfach im Weltall nachweisen – in Kometenstaub, in ausgedehnten Gaswolken im interstellaren Raum oder in Meteoriten. Da diese Aminosäure auch in allen Lebewesen vorkommt, waren diese Funde besonders spannend. In Laborexperimenten stellten Wissenschaftler nun die Bedingungen in kühlen Gaswolken nach, aus denen sich Sterne bilden. Dabei fanden sie heraus, dass Glycin offenbar deutlich einfacher entsteht als erwartet: Das organische Molekül aus Kohlenstoff, Wasserstoff, Sauerstoff und Stickstoff formte sich sogar ohne Energiezufuhr von außen. Angelagert an kleine Eiskörner könnte Glycin dann als Ausgangsstoff für weitere chemische Reaktionen dienen, so das Team im Fachblatt „Nature Astronomy“.

Bisher gingen Forscher davon aus, dass die Bildung von Glycin im interstellaren Raum durch ultraviolette Strahlung oder energiereiche Teilchen angeregt wird. Das Problem: Beides wirkt auf organische Stoffe zugleich zerstörerisch. Sergio Ioppolo von der Queen Mary University in London und seinen Kollegen gelang es jetzt, dieses Dilemma mit Laborexperimenten zu lösen. Dazu bildeten sie die Bedingungen nach, die in der Umgebung eines entstehenden Planetensystems herrschen. Typischerweise finden sich dort Moleküle wie Kohlendioxid, Ammoniak, Methan und natürlich Wasser. Ein ähnliches Gasgemisch sperrten die Wissenschaftler nun in ihren Versuchen in einem ultrahohen Vakuum ein und kühlten es auf Temperaturen von bis zu minus 265 Grad Celsius ab. Überraschend bildete sich in dem so präparierten Gas ohne jedes Zutun nicht nur Methylamin, eine Vorstufe von Glycin, sondern auch die Aminosäure selbst.

Dieses Ergebnis zeige, dass Glycin bereits sehr viel früher entstehe als bislang angenommen, so das Team um Ioppolo. Durch weitere chemische Reaktionen können aus der einfachsten Aminosäure schließlich komplexere organische Moleküle hervorgehen. Solche Verbindungen aus dem Weltall haben womöglich auch auf der Erde eine wichtige Rolle für die Entstehung von Leben gespielt. Um diese Prozesse besser zu verstehen, sei es entscheidend, die Bildung und Verteilung komplexer organischer Moleküle im Weltall zu enträtseln.

Quelle: https://www.weltderphysik.de/gebiet/universum/nachrichten/2020/aminosaeure-bildet-sich-einfacher-als-gedacht/