Windstrom im Gehen

Jan Oliver Löfken

Künstlerische Darstellung: Aus einem Gitter gehen zwei Bänder hervor, durch die ein Strom fließt. Das verdeutlicht eine leuchtende Glühbirne zwischen ihnen.

Xin Chen/Xiaojing Mu/Ya Yang

In Deutschland produzieren etwa 31 000 Windräder an Land und auf See mehr Strom als alle anderen Kraftwerkstypen. Effizient arbeiten sie jedoch erst bei kräftigen Winden. In der Fachzeitschrift „Cell Reports Physical Science“ präsentieren Forscher jetzt ein neuartiges Windkraftwerk, das mit deutlich geringeren Windgeschwindigkeiten auskommt. Es ist nur wenige Zentimeter groß und besteht aus zwei flatternden Plastikfolien, die sich schon ab Windstärke 1 immer wieder berühren und dabei elektrostatisch aufladen. Der in ersten Versuchen erzeugte Strom reichte aus, um Leuchtdioden hell strahlen zu lassen.

Das Team um Ya Yang vom Institute of Nanoenergy and Nanosystems der Chinesischen Akademie der Wissenschaften in Peking montierte für den Minigenerator zwei parallel ausgerichtete Streifen aus Kunststoff in einen kleinen Zylinder. Ein hauchdünner Silberfilm auf der flexiblen Plastikfolie fungierte als Elektrode. Bewegten sich die beiden Streifen nun nebeneinander im Windstrom, berührten sie sich regelmäßig. Durch den tribolektrischen Effekt bildeten sich auf der Oberfläche bei jedem Kontaktverlust elektrostatische Ladungen, die Yang und seine Kollegen über die Silberelektrode in einen Stromkreislauf speisten.

„Mit diesem Minikraftwerk lässt sich jeder Windhauch im Alltag nutzen“, erläutert Yang. „Setzt man es beispielsweise auf einen Arm, reicht der Luftzug beim Schwingen des Arms aus, um Strom zu erzeugen.“ In einem kleinen Windkanal ermittelten die Forscher die Stromausbeute exakter. Bereits eine schwache Brise von 1,6 Metern pro Sekunde – das entspricht Windstärke 1 – generierte einen nachweisbaren Strom. Bei acht Metern pro Sekunde – Windstärke 4 – stieg die Ausbeute auf 2,5 Milliwatt bei einer Spannung von 175 Volt an. Bei dieser Windstärke flatterten die Plastikstreifen relativ gleichmäßig, sodass sie sich häufig berührten und wieder trennten.

Der von Yang und seinen Kollegen entwickelte tribolektrische Minigenerator ließ ein Areal aus hundert Leuchtdioden kontinuierlich aufflackern. Zudem konnten die Forscher damit binnen weniger Minuten einen kleinen Kondensator aufladen. So taugt dieses Kraftwerk prinzipiell zum Betrieb von Sensoren oder als zusätzliche Stromquelle für mobile Elektronik. Für weitere Anwendungen – etwa für Kleidung oder Wanderrucksäcke – planen die Wissenschaftler, noch kleinere und zugleich effizientere Minikraftwerke zu entwickeln.

Andererseits kann sich Yang aber auch sehr viel größere Varianten mit einige Quadratmeter großen Plastikflaggen vorstellen. „Ich hoffe, diese Kraftwerke auf eine Leistung von bis zu tausend Watt vergrößern zu können“, sagt der Forscher. Dann ließen sich solche Kraftwerke an Orten einsetzen, die für klassische Windräder nicht geeignet sind. „Wir können sie dann für eine nachhaltige Stromerzeugung in den Bergen oder auf Dächern von Gebäuden nutzen“, sagt Yang.


Chen/Ma/Ren et al./Cell Reports Physical Science

Das neuartige Windkraftwerk ist nur wenige Zentimeter groß und besteht aus zwei flatternden Plastikfolien.

Quelle: https://www.weltderphysik.de/gebiet/technik/nachrichten/2020/windstrom-im-gehen/