Die Melodie der Proteine

Jan Oliver Löfken

Die Illustration zeigt Fäden in verschiedenen Farben, die ineinander gedreht und verwickelt sind.

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In jeder einzelnen Zelle befinden sich Proteine. Sie übernehmen im Körper die verschiedensten Aufgaben – vom Hormon und Antikörper über den Transport von Sauerstoff bis zum Aufbau von Muskeln, Haut und Haaren. Für diese Funktionen ist die dreidimensionale Struktur der komplexen Moleküle zentral. Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler erprobten nun einen sehr ungewöhnlichen Weg, um die rasante Dynamik während der Strukturierung von Proteinen besser verstehen zu können: Anstatt sie wie bisher in einem Video zu betrachten, lauschten sie dem Auf- und Abbau von chemischen Bindungen. Was sie dabei heraushörten, berichten sie in der Fachzeitschrift „Proceedings of the National Academy of Sciences".

Zwei Personen sitzen vor einem Tisch, auf dem ein eingeschalteter Computer, weitere Bildschirme sowie Mikrophone stehen.

Carla Scaletti und Martin Gruebele

Proteine sind Moleküle, die aus zahllosen Aminosäuren bestehen, die zu einer komplexen dreidimensionalen Struktur zusammengesetzt sind. Was die Aminosäuren und die weiteren Bestandteile zusammenhält, sind chemische Bindungen – unter anderem sogenannte Wasserstoffbrückenbindungen: Diese halten Teile von Molekülen zusammen, indem sich ein Wasserstoffatom des einen Moleküls und die freien Elektronen des anderen Moleküls gegenseitig anziehen. Den Prozess, in dem solche Bindungen entstehen und Proteine sich zu ihrer Struktur anordnen, bezeichnen Forschende als Faltung – und er ist so rasant und scheinbar chaotisch, dass sie ihn bislang nicht vollständig verstanden haben. Denn die chemischen Bindungen bilden sich ausgesprochen schnell: zwischen 70 Nanosekunden und zwei Mikrosekunden.

Forschende können diese rasanten Umstrukturierungen zwar mit Computermodellen simulieren und daraus Videos erzeugen. Doch dabei ergeben sich kaum verfolgbare Sequenzen von Bildern. Allerdings zeigen mehrere Studien, dass Menschen kleine Unterschiede in Lautsequenzen schneller und besser wahrnehmen als sichtbare Veränderungen in Videos. Genau diese hohe Empfindlichkeit des Hörsinns machten sich Forschende um Martin Gruebele von der University of Illinois nun zunutze. Auch sie berechneten am Computer, wie sich schwache chemische Bindungen zwischen Aminosäuren bilden. Doch statt daraus ein Video zu erzeugen, ordneten sie jeder Art, wie Bindungen entstehen, einen Laut mit einer jeweils anderen Tonhöhe zu. Dazu nutzten sie eine spezielle Software, entwickelt von der Komponistin und Softwareentwicklerin Carla Scaletti.

Tonfolge verrät schnelle und langsame Phasen

Die so entstandene Abfolge von Tönen ist leichter nachzuvollziehen als Visualisierungen. Deshalb konnten die Forschenden Wiederholungen bestimmter Abläufe leichter aus der „Melodie der Proteine“ heraushören: So gelang es ihnen beispielsweise, schnelle und langsame Phasen beim Bilden der Wasserstoffbrückenbindungen voneinander zu unterscheiden. Zudem erkannten sie, dass nicht nur Bindungen zwischen den Aminosäuren selbst, sondern auch zwischen Aminosäuren und den umgebenden Wassermolekülen eine wichtige Rolle spielen.

Komplett verstehen und erklären lassen sich die Faltungsprozesse von Proteinen mit diesem neuen Ansatz noch nicht. Doch liefert die neue Methode wichtige Hinweise, um beispielsweise fehlerhafte Faltungen von Proteinen besser zu erkennen, die wiederum Krankheiten begünstigen können. Denn wenn solche unerwünschten Faltungen besser verstanden werden, ließen sich auf dieser Basis in Zukunft vielleicht Therapien gegen die dadurch verursachten Krankheiten entwickeln. Dabei ist es nicht ausgeschlossen, dass Kombinationen aus Videos und Tonfolgen die schnellen Prozesse der Proteinfaltung noch verständlicher machen. Zudem könnten Methoden der künstlichen Intelligenz den Menschen dabei helfen, Muster in dieser Dynamik zu erkennen.

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Quelle: https://www.weltderphysik.de/gebiet/leben/nachrichten/2024/molekuelbindung-die-melodie-der-proteine/