„Mit verschiedenen Sinnen wahrnehmen“

Katharina Luckner

Die Grafik zeigt links die Erde mit dem sie umgebenden Magnetfeld, das sich wellenartig nach rechts verlängert.

Vlasiator Team/University of Helsinki

Permanent strömen geladene Teilchen von der Sonne gen Erde. Dieser sogenannte Sonnenwind tritt mit dem Magnetfeld unseres Planeten in Wechselwirkung. Eine spezielle Form dieser Wechselwirkungen haben Forscher jetzt hörbar gemacht. Owen Roberts vom Grazer Institut für Weltraumforschung erklärt, wie das möglich war und was genau beim „Lied der Erde“ zu hören ist.

Welt der Physik: Was hören wir auf den Aufnahmen „Lied der Erde“?

Foto von Owen Roberts

Owen Roberts

Owen Roberts: Auf diesen Aufnahmen ist der Einfluss des Sonnenwindes auf die Erdmagnetosphäre – also den Raum um die Erde, in dem ihr Magnetfeld vorherrscht – zu hören. Denn permanent treffen geladene Teilchen von der Sonne auf die Magnetosphäre, die wiederum die Erde vor den geladenen Teilchen schützt. Durch diese Wechselwirkung entstehen magnetische Wellen, die wir gemessen haben. Dazu haben wir die vier Cluster-Satelliten der ESA genutzt, die schon seit dem Jahr 2000 Daten im erdnahen Weltraum sammeln.

Wie entsteht aus der Messung von magnetischen Wellen ein Audiosignal?

Die Daten haben wir in ein Audiosignal umgewandelt. Dazu braucht man die charakterisierende Eigenschaft der gemessenen Wellen – also ihre Frequenz. Jeder Frequenz wird ein spezifischer Ton zugeordnet, dadurch erhält man ein hörbares Signal. Das ruhigere Signal wurde zu einem Zeitpunkt aufgenommen, als es wenig Sonnenaktivität gab. Das andere Signal stammt von einem heftigen Sonnenwind und man kann gut hören, welchen Aufruhr ein solches Ereignis im Zusammenspiel mit der Erdmagnetosphäre auslösen kann.

Können Sie das ein bisschen genauer erklären?

Die Sonne verhält sich im Prinzip wie ein rotierendes Plasma – also eine Mischung aus positiv geladenen Atomkernen und freien Elektronen. Aus dem extrem heißen Plasma werden permanent geladene Teilchen an die Umgebung abgegeben – der Sonnenwind. Dieser Sonnenwind bestimmt den großen Teil des Weltraumwetters. Unter bestimmten Bedingungen haben wir es aber nicht nur mit den „normalen“ Sonnenwinden zu tun, sondern es kommt zu heftigeren Ausstößen von geladenen Teilchen. Solche starken Sonnenwinde können dann auch erheblichen Einfluss auf die Erdmagnetosphäre haben.

Welchen Einfluss haben die Sonnenwinde auf die Erdumgebung?

Da geladene Teilchen das Magnetfeld nicht geradlinig durchlaufen können, kann der Sonnenwind die Magnetosphäre nicht einfach durchdringen – er beeinflusst aber ihre Form: Auf der sonnenzugewandten Seite ist die Magnetosphäre zusammengestaucht und auf der gegenüberliegenden Seite schweifförmig in die Länge gezogen. Die Stärke der Verformung hängt von der Stärke des Sonnenwinds ab, also von der Teilchendichte und der Geschwindigkeit der Partikel. Bei besonders starken Sonnenwinden wird die Erdmagnetosphäre gestaucht und die Teilchen können teilweise in die Magnetosphäre gelangen. Diese Teilchen können unsere Telekommunikationssatelliten stören und in Extremfällen sogar zerstören.

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Wie hängt das mit den Aufnahmen zusammen?

Wir können uns das Wellenmuster um die Erdmagnetosphäre in etwa wie dasjenige vorstellen, das um ein fahrendes Boot im Wasser entsteht. Wasserwellen treffen auf den Schiffsbug, beugen sich um den Bootsrumpf und laufen hinter dem Boot in einem langen Schweif wieder zusammen. Wir sind an der Stelle ganz vorne am Bug interessiert. An dieser Stelle überlagern sich die Wasserwellen und es entsteht eine Bugwelle vor dem Boot. Bei dem Zusammenspiel von Sonnenwind und Erdmagnetosphäre beobachten wir ein ähnliches Phänomen: Vor der Magnetosphäre entsteht ebenfalls eine Bugstoßwelle, an der der Sonnenwind abgebremst wird, bevor er die Erdmagnetosphäre erreicht. An dieser Bugstoßwelle entstehen deutlich mehr und komplexere magnetische Wellen als an anderen Stellen. Die erzeugten Wellen bewegen sich dann zunächst zurück, in Richtung Sonne, werden aber vom nachfolgenden Teilchenstrom des Sonnenwinds wieder in Richtung Bugstoßwelle gedrückt – eine sehr komplexe Überlagerung von Wellen ist die Folge. Diese Komplexität war für uns eine überraschende Entdeckung, die man sich jetzt sogar anhören kann.

Warum ist diese Beobachtung so wichtig?

Unter bestimmten Bedingungen gelangen die geladenen Teilchen des Sonnenwinds auch in die Erdatmosphäre. Wir wissen, dass bei großer Sonnenaktivität viele Teilchen in die Erdatmosphäre gelangen, aber die Mechanismen dahinter sind noch nicht ausreichend erforscht. Wir denken, dass die starke Wellenaktivität an der Bugstoßwelle eine entscheidende Rolle dabei spielen kann. Die Analyse der Eigenschaften dieser Wellen ist ein erster Schritt, um die Auswirkungen der magnetischen Wellen auf das gesamte System zu untersuchen.

Welche Auswirkungen hat es, wenn geladene Teilchen in Erdnähe gelangen?

Dadurch entstehen beispielsweise Polarlichter, die wir in den Polarregionen sehen können – ein durchaus schöner Effekt. Die geladenen Teilchen beeinträchtigen aber leider auch unsere Infrastruktur. Beispielsweise können elektrische Ströme in Leitungen induziert werden, die elektrische Geräte schädigen. Um unsere Satelliten und Kommunikationssysteme besser zu schützen und auf die Sonnenaktivität reagieren zu können, müssen wir die Wechselwirkung zwischen Sonnenwind und Erdmagnetfeld besser verstehen.

Hat es Ihnen auch als Forscher geholfen, die Wellen hörbar zu machen?

Eine solche Tonspur eignet sich gut, um unsere Ergebnisse auch in anderer Form zu vermitteln und unsere Faszination an eine breite Öffentlichkeit weiterzugeben. Man darf auch nicht unterschätzen, wie wichtig es als Forscher ist, die eigene Forschung mit verschiedenen Sinnen zu erleben. Nicht zuletzt gehen die Anfänge der Weltraumforschung zu Beginn des 20. Jahrhunderts auf Radiosignale zurück; es waren die Wellen des Weltalls, die man zuerst gehört hat.

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Quelle: https://www.weltderphysik.de/gebiet/erde/mit-verschiedenen-sinnen-wahrnehmen/