Auf der Suche nach der Dunklen Materie

Franziska Konitzer

Zwei Menschen in weißen Anzügen mit Kapuze und Mundschutz arbeiten an CRESST-Detektor und bauen ein neues Detektormodul ein.

Rund achtzig Prozent der Materie im Universum bestehen nach heutigem Wissen aus einem noch unbekannten Stoff – aus Dunkler Materie. Physiker haben verschiedene Ideen, was hinter dieser rätselhaften Materieform stecken könnte. Vielversprechende Kandidaten sind bislang hypothetische Elementarteilchen, sogenannte WIMPs, nach denen Wissenschaftler mit den Experimenten CRESST und XENON fahnden.

Die gewöhnliche Materie – aus der Sterne, Planeten und auch wir selbst bestehen – reicht nicht aus, um die Vorgänge im Kosmos zu erklären. Ein Beispiel sind die hohen Rotationsgeschwindigkeiten von Galaxien: Allein die sichtbare Materie würde nicht ausreichen, um die Sternsysteme zusammenzuhalten. Diese und weitere Beobachtungen lassen darauf schließen, dass rund achtzig Prozent der Materie im Universum nicht sichtbar sind. Allerdings weiß bisher niemand, woraus diese Dunkle Materie besteht. Wissenschaftler gehen aber davon aus, dass es sich dabei wahrscheinlich um ein bislang noch unbekanntes Elementarteilchen handelt, das sich im Universum nur über seine Schwerkraft bemerkbar macht. Ein vielversprechender Kandidat ist das „Weakly Interacting Massive Particle“ – übersetzt: schwach wechselwirkendes massereiches Teilchen – oder kurz WIMP.

Zwar kennen Wissenschaftler aus Beobachtungen und Computersimulationen die Verteilung der Dunklen Materie im Weltall inzwischen recht genau. Doch über die Eigenschaften der hypothetischen Teilchen ist bislang wenig bekannt. „Wir wissen lediglich, wie viel Dunkle Materie es insgesamt gibt“, sagt Josef Jochum von der Universität Tübingen. „Ihre Massendichte im gesamten Universum beträgt im Durchschnitt eine Protonenmasse pro Kubikmeter.“ In Regionen mit viel Materie, wie etwa in unserer Galaxis, kann der Anteil an Dunkler Materie bis zu 200 000-mal höher liegen. „Bei einer WIMP-Masse, die hundert Protonenmassen entspricht, sollte es hier auf der Erde also etwa drei WIMPs pro Liter geben“, erläutert Jochum.

Der Versuchsaufbau besteht aus einem großen Tank, der seinerseits in einem zylinderförmigen, haushohen Rohr befindet. Links daneben ist ein Container mit weiteren Räumen und Gerätschaften, die zum XENON-Experiment gehören. Ein großes Plakat auf dem zylinderförmigen Rohr zeigt, was es im Inneren enthält: den eigentlichen Detektor.

Das XENON-Experiment im Untergrundlabor Gran Sasso

Tatsächlich wissen die Forscher aber noch nicht, wie viel Masse ein WIMP genau besitzt. Deshalb suchen Wissenschaftler weltweit mit verschiedenen Experimenten, die jeweils einen anderen Massebereich abdecken, nach diesen Teilchen. Doch wie weist man ein Teilchen nach, das durch gewöhnliche Materie einfach hindurchfliegt? „Alle Detektionsmethoden, die uns für den Nachweis von gewöhnlichen Teilchen zur Verfügung stehen, basieren darauf, dass die Teilchen mit der Elektronenhülle der Atome des Detektormaterials wechselwirken“, erklärt Jochum. „Aber da die WIMPs nicht der elektromagnetischen Kraft unterliegen, funktioniert das nicht.“

Laut theoretischen Modellen wechselwirken WIMPs zwar nicht mit der Elektronenhülle, aber wohl mit einem Atomkern, wenn sie denn mit einem zusammenstoßen sollten. „Ein solcher Frontalaufprall wäre quasi das Erste, was das WIMP seit dem Urknall gemacht hat“, so Jochum. „Es verliert dadurch ein wenig Energie, fliegt aber einfach weiter.“ Der Atomkern hingegen saust mithilfe der zusätzlichen Energie durch das Detektormaterial. Aufgrund seiner Ladung ionisiert er andere Teilchen im Material und bringt diese zum Leuchten. So entsteht ein charakteristisches Szintillationslicht, dessen Nachweis den ersehnten Hinweis auf die Existenz der WIMPs liefern könnte. Josef Jochum und seine Kollegen nutzen dafür die beiden Experimenten XENON und CRESST im italienischen Untergrundlabor Gran Sasso.

Mit dem XENON-Detektor wollen die Forscher einerseits das Szintillationslicht und andererseits auch die freien Ladungen nachweisen, die bei der Wechselwirkung mit den Xenonatomen erzeugt werden. Herzstück des Experiments ist ein großer Tank, in dem sich derzeit insgesamt 3500 Kilogramm flüssiges Xenon befinden. Mit diesem chemischen Element sollten sich vor allem schwere WIMPs – mit rund hundert Protonenmassen – gut aufspüren lassen. Denn würde eines der hypothetischen Teilchen mit einem der ähnlich schweren Xenonkerne zusammenstoßen, würde es besonders viel Energie auf die Kerne übertragen. Derzeit ist XENON das weltweit empfindlichste Experiment zum Nachweis von WIMPs in diesem Massenbereich: „Theoretisch kann XENON in einem Kilogramm an Detektormaterial alle zehn Jahre ein einzelnes Rückstoßereignis aufspüren“, sagt Jochum.

Wissenschaftler planen schon jetzt das nächste Upgrade für den Detektor, denn prinzipiell gilt: Je mehr flüssiges Xenon, desto mehr Detektormaterial ist vorhanden, um auch die seltensten Zusammenstöße aufzuspüren. „XENON ist von der Infrastruktur her auf eine weitere Vergrößerung bis auf sieben Tonnen an flüssigem Xenon vorbereitet“, berichtet Jochum. Am Detektor sowie an seiner Erweiterung sind deutsche Gruppen und Institute maßgeblich beteiligt, unter anderem Forschergruppen der Universitäten Tübingen, Mainz und Freiburg sowie dem Max-Planck-Institut für Kernphysik in Heidelberg. Sie beschäftigen sich vor allem mit der Reinheit des Xenons, da jegliche noch so kleine Verunreinigung im Detektormaterial die empfindlichen Messungen stören würde.

Eine Hand mit Handschuh steckt ein Kabel in einen Anschluss. Das Kabel ist mit einem technischen Aufbau für einen der CRESST-Kristalle verbunden.

CRESST-Detektor

Im Gegensatz zu XENON ist CRESST für die Suche nach leichteren WIMPs ausgelegt. Im Experiment werden Kristalle bis auf winzige Bruchteile über den absoluten Nullpunkt abgekühlt. Stößt ein WIMP mit einem Atom im Kristall zusammen, überträgt es einen Teil seiner Energie in Form von Wärme und die Temperatur des Kristalls steigt minimal an. Spezielle Auslesemodule mit hochempfindlichen Thermometern, die auf Supraleitertechnik basieren, sollen diesen winzigen Temperaturanstieg dann registrieren.

Um ein WIMP mit lediglich einer Protonenmasse nachweisen zu können, wollen die Wissenschaftler künftig noch winzigere Temperaturschwankungen messen. Denn je leichter die WIMPs, desto weniger Energie übertragen sie bei einem Zusammenstoß. Deshalb setzt das geplante Upgrade CRESST-III auf zusätzliche Auslesemodule und noch kleinere Kristalle – deren Temperatur steigt auch bei geringem Wärmeübertrag nachweisbar an. „CRESST-III läuft schon, allerdings derzeit erst mit zehn Detektormodulen“, so Jochum. „Wir möchten diese Anzahl verzehnfachen.“

Das Bundesforschungsministerium unterstützt das Upgrade im Rahmen der Verbundforschung, und deutsche Forschergruppen der Universität Tübingen und der Technischen Universität München sowie dem Max-Planck-Institut für Physik in München sind bei CRESST federführend. So wurde etwa die Technik der Auslesemodule hauptsächlich am Max-Planck-Institut für Physik entwickelt.

Quelle: https://www.weltderphysik.de/thema/bmbf/astro-und-astroteilchenphysik/auf-der-suche-nach-der-dunklen-materie/