Aus für sterile Neutrinos?

Rainer Kayser

Ausgedehnter leuchtender Halo, überlagert von vielen hellen Punkten. In der Mitte ein heller Fleck.

C. Dessert et al.

Rund achtzig Prozent der Materie im Kosmos besteht nach heutigem Wissen aus Dunkler Materie – einer unsichtbaren und bislang rätselhaften Materieform. Verschiedene hypothetische Elementarteilchen werden als mögliche Kandidaten für die Dunkle Materie gehandelt. Eines dieser Teilchen, steriles Neutrino genannt, scheint nun aber auszuscheiden. Denn obwohl ein Astronomenteam sehr genau nachschaute, konnte es die charakteristische Strahlung, die beim Zerfall dieser Elementarteilchen entstehen müsste, in unserer Galaxie nicht nachweisen. Die Dunkle Materie besteht also offenbar nicht aus sterilen Neutrinos, so das Team im Fachblatt „Science“.

In den vergangenen Jahren hatten mehrere Forschergruppen bei weit entfernten Galaxien ein Signal aufgespürt, das von sterilen Neutrinos stammen könnte. Denn die beobachtete Röntgenstrahlung weist eine Energie von 3,5 Kiloelektronenvolt auf und ist womöglich aus dem Zerfall von sterilen Neutrinos mit einer Energie von 7 Kiloelektronenvolt hervorgegangen. Damit liegen diese Elementarteilchen in einem Energiebereich, der sie als mögliche Kandidaten für die Dunkle Materie qualifiziert. Würde sich die bislang unbekannte Materieform tatsächlich aus sterilen Neutrinos zusammensetzen, müsste auch die Dunkle Materie im Milchstraßensystem die charakteristische Röntgenstrahlung erzeugen.

Christopher Dessert von der University of Michigan und seine Kollegen machten sich mit dem europäischen Röntgensatelliten XMM-Newton auf die Suche nach dieser Strahlung. Keine leichte Aufgabe, da das erwartete Signal schwach ist und viele andere kosmische Röntgenquellen die Beobachtungen stören. Die Forscher blickten daher in Regionen weit ab von allen bekannten Röntgenquellen – und das für einen extrem langen Zeitraum: Die aufsummierte Belichtungszeit betrug ein ganzes Jahr. Mit diesen Maßnahmen hätte sich die Strahlung der sterilen Neutrinos selbst dann nachweisen lassen müssen, wenn sie zehnmal schwächer wäre als angenommen. Doch die Astronomen empfingen nichts.

Für die bei anderen Galaxien gemessene Röntgenstrahlung müsse es also eine andere Erklärung geben als den Zerfall steriler Neutrinos, folgern die Wissenschaftler um Dessert. Die Existenz dieser Teilchen wird von manchen Theorien vorhergesagt, mit denen Physiker versuchen, die Gravitation mit den anderen Naturkräften in einem einheitlichen Modell zu vereinigen. Doch sterile Neutrinos sind schwer nachzuweisen, da sie kaum mit gewöhnlicher Materie in Wechselwirkung treten.

Quelle: https://www.weltderphysik.de/gebiet/universum/nachrichten/2020/aus-fuer-sterile-neutrinos/