„Einzigartige Fundgrube für Astronomen”

Dirk Eidemüller

Die Aufnahme zeigt ein elliptisches Gebilde, das aus vielen Punkten besteht, die sich in der Mitte häufen.

Jeremy Sanders, Hermann Brunner and the eSASS team (MPE)/Eugene Churazov, Marat Gilfanov (on behalf of IKI)

Im Juli 2019 startete das Weltraumteleskop eRosita ins All, um den gesamten Himmel im Röntgenlicht zu beobachten. In diesem Wellenlängenbereich lassen sich nicht nur einzelne Schwarze Löcher, Neutronensterne oder die Zentren ferner Galaxien aufspüren, sondern auch riesige Galaxienhaufen. Nach gut einem Jahr im Orbit hat das Teleskop seine erste vollständige Himmelsdurchmusterung abgeschlossen – und dabei viele neue Röntgenquellen entdeckt. Über die Hintergründe der Mission und die ersten Meilensteine berichtet Peter Predehl vom Max-Planck-Institut für extraterrestrische Physik in Garching, der das Teleskop als leitender Wissenschaftler betreut, im Interview mit Welt der Physik. 

Porträt des Wissenschaftlers Peter Predehl

Peter Predehl

Welt der Physik: Welche Objekte am Himmel machen die Aufnahmen von eROSITA sichtbar?

Peter Predehl: Mit einem Röntgenteleskop wie eROSITA sieht man beispielsweise die Aurora von Planeten und auch gewöhnliche Sterne. Röntgenstrahlung stammt aus hochenergetischen Prozessen und sehr heißen Quellen, in denen die Materie auf Millionen von Grad aufgeheizt ist. Dazu gehören unter anderem Sterne mit einer magnetisch stark aktiven Korona oder Doppelsysteme, die Neutronensterne, Schwarze Löcher oder Weiße Zwerge enthalten und im Röntgenbereich hell leuchten. Aber auch die Überreste von Sternexplosionen lassen sich mit eROSITA beobachten.

Wie sieht es mit weiter entfernten Quellen aus – jenseits unserer galaktischen Nachbarschaft?

Bei weit entfernten Galaxien können wir keine Einzelquellen mehr nachweisen, dafür sehen wir Galaxienhaufen als Ganzes. Besonders wichtig für das Verständnis des Kosmos ist das heiße Gas, das sich im Umfeld von Galaxienhaufen befindet. Dieses sogenannte Plasma umgibt die Galaxienhaufen und leuchtet als ausgedehnter Röntgenhalo. Dadurch können wir Galaxienhaufen auch in großer Entfernung identifizieren.

Kann man das nicht auch mit optischen Teleskopen oder Radioteleskopen?

Das geht auch und wird auch gemacht. Aber solche Galaxienhaufen – die größten zusammenhängenden Strukturen im All – bestehen zum Teil aus Tausenden von Galaxien. Es ist sehr aufwendig, bei der Analyse von optischen Aufnahmen auseinanderzuhalten, welche Galaxien zu so einem Haufen gehören und welche nicht. Auf Röntgenbildern ist das sehr viel einfacher: Da die Galaxien in diesen Haufen in heißes Plasma eingehüllt sind, lassen sie sich mit einem so leistungsstarken Instrument wie eROSITA leicht nachweisen.

Runde, wabernde, grün-orange Masse im Weltall; rechts oben davon eine kleinere hellblaue

Überrest der Vela-Supernova

Welche Erkenntnisse erhoffen sich Astronomen von diesen Messungen?

In der modernen Astronomie muss man oft verschiedene Arten von Beobachtungen kombinieren. Unsere Röntgenbilder helfen etwa dabei, Galaxienhaufen zu identifizieren und ihre Masse zu bestimmen. Die Kollegen, die sich auf den optischen Spektralbereich und Radiobereich konzentrieren, steuern weitere Informationen wie beispielsweise die Entfernung bei. Erst aus dem Gesamtbild können wir die Entwicklung von Galaxienhaufen bestimmen – von der Frühzeit des Kosmos bis heute. Wichtige Fragen sind unter anderem, wie schnell Materie in diese Haufen einströmt und wie sich das Wachstum der Galaxienhaufen entwickelt. Dabei kommt dem Wechselspiel zwischen Dunkler Materie und Dunkler Energie eine entscheidende Rolle zu.

Wie beeinflussen sich diese bislang unbekannte Materie- und Energieform denn gegenseitig?

Einfach gesagt wirkt die Dunkle Materie durch ihre Schwerkraft als anziehende Kraft, während die Dunkle Energie die Materie auseinandertreibt. An Galaxienhaufen lässt sich dieses Wechselspiel – bei dem die Dichte der Materie der entscheidende Faktor ist – besonders gut nachvollziehen. Die Materiedichte im heutigen Universum kennen wir gut. Auch die Materiedichte im frühen Universum, vor rund 13 Milliarden Jahren, lässt sich ganz gut bestimmen. Aber über die Zwischenzeit ist wenig bekannt. Hier hoffen wir mit unseren einzigartigen Bildern, die auch einen hohen ästhetischen Reiz besitzen, das Verständnis der kosmischen Entwicklung voranzubringen. Dann lässt sich vielleicht auch die Frage entscheiden, ob die Dunkle Energie eine konstante oder sogar eine dynamische Kraft ist.

Erst kürzlich haben Sie und Ihre Kollegen die ersten Bilder von eROSITA veröffentlicht, die den gesamten Himmel im Röntgenlicht zeigen.

Ja, in dieser ersten großen Himmelskartierung, die ungefähr ein halbes Jahr gedauert hat, haben wir rund eine Million Röntgenquellen identifizieren können – doppelt so viele, wie bisher bekannt waren. Zum Vergleich: Die Vorgängermission ROSAT, ein deutsches Projekt aus den 1990er Jahren, hatte insgesamt rund 100 000 Röntgenquellen entdeckt. Am Ende der mehrjährigen Dienstzeit von eROSITA rechnen wir mit vier bis fünf Millionen Quellen – eine einzigartige Fundgrube für Astronomen.

Quelle: https://www.weltderphysik.de/gebiet/universum/teleskope-und-satelliten/einzigartige-fundgrube-fuer-astronomen/