Gravitationswellen von verschmelzenden Neutronensternen empfangen

Rainer Kayser

Zusammenstoß zweier Himmelskörper

University of Warwick/Mark Garlick

In der 130 Millionen Lichtjahre entfernten Galaxie NGC 4993 sind zwei Neutronensterne zusammengestoßen und miteinander verschmolzen. Astronomen in aller Welt konnten das Ereignis erstmals nicht nur in Form eines Gammastrahlenausbruchs und als optisches Aufleuchten am Himmel beobachten, sondern zeitgleich auch Gravitationswellen aus dieser Region empfangen. Damit beginne ein neues Zeitalter der Gravitationswellenastronomie, so die beteiligten Wissenschaftler. Ihre Arbeiten veröffentlichten sie nun in mehreren Fachzeitschriften.

Mithilfe eines speziellen Detektors an Bord des Satelliten Fermi suchen die Astronomen permanent den Himmel nach kurzzeitigen Ausbrüchen von Gammastrahlung ab. Am 17. August registrierte der Detektor wieder einmal ein solches Ereignis. „Die Entdeckung dieses Gammaausbruchs war zunächst nichts Außergewöhnliches für uns“, sagt Andreas von Kienlin vom Max-Planck-Institut für extraterrestrische Physik in Garching bei München. „Wir registrieren routinemäßig vier bis fünf Gammaausbrüche pro Woche.“ Die Entdeckung wurde wie immer über ein Alarmsystem weltweit weitergemeldet, um Beobachtungen des Ereignisses in anderen Wellenlängenbereichen zu ermöglichen. Auch der Satellit Integral registrierte den Ausbruch und lieferte eine noch genauere Position der Quelle.

Die Meldung über den Gammastrahlenausbruch erreichte auch die Forscherteams an den Gravitationswellendetektoren LIGO in den USA und VIRGO in Italien. Eine Inspektion der aktuellen Daten zeigte, dass die Detektoren zeitgleich mit dem Gammaausbruch ebenfalls ein Signal registriert hatten. „Als wir davon hörten, wussten wir, dass es sich um ein historisches Ereignis handelt“, so von Kienlin – der erstmalige parallele Nachweis eines kosmischen Ereignisses durch elektromagnetische Strahlung und durch Gravitationswellen.

Jahrzehntelang hatten Forscher mit unterschiedlichen Detektoren versucht, die von Albert Einstein im Rahmen seiner Allgemeinen Relativitätstheorie vorhergesagten Schwingungen der Raumzeit nachzuweisen. Im September 2015 registrierten die beiden LIGO-Detektoren dann erstmals ein Gravitationswellensignal, ausgelöst durch die Verschmelzung zweier Schwarzer Löcher in einer fernen Galaxie. Vier weitere ähnliche Ereignisse konnten die Forscher seither nachweisen – das letzte am 14. August dieses Jahres nicht nur mit LIGO, sondern auch mit dem VIRGO-Gravitationswellendetektor. Damit war es erstmals möglich, aus den kleinen zeitlichen Differenzen zwischen der Ankunft des Signals in den drei Detektoren die Herkunft der Gravitationswellen am Himmel zu triangulieren.

Die Grafik zeigt die bisher erfassten Gravitationswellensignale.

Bisher erfasste Gravitationswellensignale

Auch das Signal vom 17. August wurde sowohl von den beiden LIGO-, als auch vom VIRGO-Detektor registriert. Und nicht nur die Zeit, auch die berechnete Position der Quelle stimmte grob mit der des Gammastrahlenausbruchs überein. Damit konnten sich die Astronomen sicher sein, dass sie hier unabhängig voneinander ein und dasselbe Ereignis beobachtet hatten. Anhand der genauen Form des Gravitationswellensignals waren die Forscher in der Lage, auf die Ursache der Raumzeitschwingungen zu schließen. Hier wartete die nächste Überraschung auf die Wissenschaftler: Erstmals handelte es sich offenbar nicht um zwei verschmelzende Schwarze Löcher, sondern um die Kollision zweier Neutronensterne. Diese Interpretation deckt sich mit der favorisierten Erklärung für den Ausbruch hochenergetischer Gammastrahlung.

Bei Neutronensternen handelt es sich um die extrem dichten Überreste massereicher Sterne. Wenn diese Sterne ihren nuklearen Brennstoffvorrat verbraucht haben, kollabieren sie zu einem Objekt, in dem die Materie so dicht gepackt ist wie in den Kernen von Atomen. Der gewaltige Druck presst die Elektronen in die Protonen und verwandelt diese in Neutronen. In Doppelsternsystemen können zwei Neutronensterne entstehen, die sich langsam einander annähern und schließlich miteinander kollidieren – bei der gewaltigen Explosion werden neben Gammastrahlung auch Gravitationswellen freigesetzt.

Ein genauer Abgleich der Signale lieferte noch eine weitere Überraschung: Gravitationswellen und Gammastrahlung waren mit einem Abstand von zwei Sekunden in den Detektoren eingetroffen. Angesichts einer Reisezeit von 130 Millionen Jahren ist ein solcher Unterschied zwar minimal, für die Astrophysiker aber doch von großer Bedeutung. „Die zeitliche Verzögerung liefert uns Hinweise darauf, was exakt bei dem Zusammenstoß der Neutronensterne passiert“, so von Kienlin. Weitere Erkenntnisse erhoffen sich die Forscher außerdem von den Beobachtungen in anderen Wellenlängenbereichen. Bereits elf Stunden nach dem Gammaausbruch meldeten mehrere Teams das Aufleuchten einer optischen Strahlungsquelle in der Galaxie NGC 4993.

Weitere Beobachtungen im Röntgen- und Radiobereich rundeten das Bild schließlich ab und zeigten, dass das Aufleuchten durch den radioaktiven Zerfall schwerer Elemente ausgelöst worden war, die bei der Kollision der Neutronensterne entstanden waren. „Die gemeinsame Beobachtung dieser astronomischen Quelle sowohl über elektromagnetische Strahlung als auch über Gravitationswellen liefert uns ein detailliertes Bild des Ereignisses von drei Minuten vor der Verschmelzung bis zu mehreren Wochen danach“, fast Jochen Greiner vom Max-Planck-Institut für extraterrestrische Physik zusammen. „Damit markiert dieses Ereignis den Beginn einer neuen Ära für die Astronomie.“

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Quelle: https://www.weltderphysik.de/gebiet/universum/nachrichten/2017/gravitationswellen-von-verschmelzenden-neutronensternen-empfangen/