Was zerrt an der Kleinen Magellanschen Wolke?
Anne-Dorette Ziems

ESA
200 000 Lichtjahre von uns entfernt befindet sich eine Zwerggalaxie unweit der Milchstraße: die Kleine Magellansche Wolke. Das ist nah genug, um mit Teleskopen einzelne Sterne in ihr beobachten zu können. Genau das haben Forschende jetzt getan und etwas Erstaunliches entdeckt. Im Fachmagazin „The Astrophysical Journal Letters” berichten sie, dass die Galaxie auseinandergezerrt wird.
Erst vor einem Monat hatte ein Forschungsteam anhand von Daten des Weltraumteleskops Gaia herausgefunden, dass die Kleine Magellansche Wolke nicht wie bisher angenommen rotiert. Stattdessen bewegen sich die massereichen Sterne in der Galaxie auf einer Nordwest-Südost-Achse auseinander. Nun nahmen sich die gleichen Forschenden, Satoya Nakano und Kengo Tachihara von der Nagoya Universität in Japan, die Daten noch einmal vor. Diesmal untersuchten sie rund 4200 pulsierende Sterne in der Kleinen Magellanschen Wolke, deren Helligkeit regelmäßig schwankt – sogenannte klassische Cepheiden.
Diese Sterne wählten Nakano und Tachihara für die zweite Analyse bewusst, um die Bewegungen in der Kleinen Magellanschen Wolke präzise zu untersuchen. Denn klassische Cepheiden haben eine Besonderheit: Die Zeit, die zwischen zwei Momenten vergeht, in denen sie maximal leuchten, hängt direkt mit ihrer Leuchtkraft zusammen. Gemeinsam mit der scheinbaren Helligkeit, die die jeweiligen Cepheiden von der Erde aus haben, lässt sich dann die genaue Entfernung bestimmen – eine Methode, die für die Kleine Magellansche Wolke erstmalig zum Einsatz kam. Bisher hatte man vereinfacht angenommen, alle Sterne in der Galaxie wären gleich weit entfernt – eine Vereinfachung, die in der Vergangenheit zu Messungenauigkeiten geführt hatte.
Neue Erkenntnisse – und neue Fragen
Wie sich zeigte, bewegen sich die Sterne in unserem kosmischen Nachbar entlang noch einer zweiten Achse, senkrecht zur bereits bekannten. Die Kleine Magellansche Wolke wird also auf zwei Achsen auseinandergezogen. Was sie auseinanderzerrt, ist allerdings noch unklar. Auf der einen Seite zieht die direkte Nachbarin, die Große Magellansche Wolke, durch ihre Gravitation. Möglicherweise zieht auch die Milchstraße die Kleine Magellansche Wolke auseinander. Vielleicht sind sich auch die Große und die Kleine Magellansche Wolke in der Vergangenheit sehr nah gekommen und die Nachwirkungen davon noch immer spürbar.
Zuletzt konnten die Forschenden anhand der berechneten Sternbewegungen ihre kürzliche Erkenntnis bestätigen, dass die Kleine Magellansche Wolke nicht rotiert. Das bedeute laut Nakano, dass überdacht werden müsse, wie die Kleine Magellansche Wolke, die Große Magellansche Wolke und die Milchstraße miteinander interagieren. Denn für bisherige Modelle war man immer davon ausgegangen, dass die Kleine Magellansche Wolke sich dreht.
Quelle: https://www.weltderphysik.de/gebiet/universum/nachrichten/2025/zwerggalaxien-was-zerrt-an-der-kleinen-magellanschen-wolke/