Später Lavasee auf dem Mond

Rainer Kayser

Halbkreisförmiger Bildausschnitt: mondoberfläche und golden-metallisches Gestände, an denen die Kamera angebracht ist

Chinese National Space Agency’s (CNSA) Lunar Exploration and Space Engineering Center

Noch bis vor zwei Milliarden Jahren war der Oceanus Procellarum – der Ozean der Stürme – auf dem Mond ein riesiger Lavasee. Das zeigen Gesteinsproben, die von der Raumsonde Chang’e-5 im Dezember 2020 zur Erde gebracht wurden. Vulkanische Aktivität, so stellte ein Forscherteam bei Untersuchungen der Proben fest, gab es demnach auf dem Erdtrabanten eine Milliarde Jahre länger als bislang angenommen. Warum dieser Lavasee so lange erhalten blieb, sei allerdings noch unklar, so die Wissenschaftler im Fachblatt „Science“.

In ihrer Veröffentlichung diskutieren Xiaochao Che von der Chinesischen Akademie für Geowissenschaften in Peking und seine Kollegen verschiedene Erklärungen für die langlebige Lava auf dem Mond. „Auf radioaktive Elemente im Mantel des Mondes, die ausreichend Hitze hätten produzieren können, um die Lava zu erzeugen, gibt es keinerlei Hinweise“, so die Forscher. Einer weiteren möglichen Erklärung, dass der Einschlag eines größeren Asteroiden den Lavasee erzeugt hat, fehlt es an Belegen. Denn im Bereich des Oceanus Procellarum sind weder Auswurfmaterial noch Unregelmäßigkeiten der Schwerkraft – bei anderen Einschlagbecken typische Merkmale – zu finden, so die Forscher.

Aus Sicht von Che und seinen Kollegen sei hingegen eine Aufheizung durch Gezeitenreibung am wahrscheinlichsten, wenn sich also die Mondkruste durch die Schwerkraft der Erde bewegt und dadurch Reibungswärme entsteht. Denn der Mond war vor zwei Milliarden Jahren noch näher an der Erde als heute – etwa um ein Drittel oder ein Viertel, schätzt der beteiligte Forscher Alexander Nemchin von der Curtin University in Australien. Damit waren auch die wirkenden Gezeitenkräfte zwischen Erde und Mond deutlich stärker. Zwar würden sie überall auf dem Mond wirken, aber in manchen Regionen sei die chemische Zusammensetzung möglicherweise so gewesen, dass dort das Material schon bei niedrigeren Temperaturen flüssig wird – und so dort Lava entstehen konnte, während die Kruste andernorts fest blieb. Eine solche Region könnte der Ozean der Stürme sein.

Kleiner transparenter Behälter mit Deckel, in den ein graues Pulver eingefüllt ist

Probe des Mondgesteins

Um das Alter des Mondgesteins herauszufinden, untersuchten die Forscher die Häufigkeit von Atomen, die durch natürliche Radioaktivität entstehen: Je mehr es davon im Gestein gibt, desto älter ist es. Das Gesteinsmaterial hatte Chang’e-5 zur Erde gebracht. Die Raumsonde war am 20. November 2020 zum Mond gestartet und am 1. Dezember auf dem Erdtrabanten gelandet. Bereits zwei Tage später startete die Sonde mit 1731 Gramm Bodenproben zurück zur Erde – es handelte sich um die erste derartige Mission, seit 1976 die sowjetische Sonde Luna-24 170 Gramm Mondgestein zur Erde brachte. Mit einer Ausdehnung von 2500 Kilometern ist der Ozean der Stürme das größte der als „Meere“ bezeichneten dunklen Tiefebenen aus erstarrter Lava auf dem Mond. Doch bislang war unklar, wie alt dieses Gebiet ist – die Vermutungen schwankten zwischen 1,2 und 3,2 Milliarden Jahren.

Das genaue Alter des Oceanus Procellarum ist jedoch für die Mond- und Planetenforscher von großer Bedeutung – denn es ermöglicht ihnen, die Altersbestimmung durch Kraterzählungen zu kalibrieren. „Je mehr Krater eine Oberfläche aufweist, desto älter ist sie“, erklärt Brad Jolliff von der Washington University in den USA, ein weiterer Koautor der Studie. Um das absolute Alter zu bestimmen, sind jedoch Gesteinsproben nötig. Und hier klaffte bislang eine große Lücke: Die bisherigen vulkanischen Gesteinsproben waren alle älter als drei Milliarden Jahre. Und Gesteinsproben von Einschlagkratern waren jünger als eine Milliarde Jahre.

Diese Lücke konnten die Forscher nun schließen, indem sie das Alter des Oceanus Procellarum auf zwei Milliarden Jahre datierten. Damit lässt sich künftig das Alter der Landschaften nicht nur auf dem Mond, sondern beispielsweise auch auf den Planeten Merkur und Mars genauer als bisher bestimmen.

Quelle: https://www.weltderphysik.de/gebiet/universum/nachrichten/2021/spaeter-lavasee-auf-dem-mond/