Unter Druck wird Graphen zum Supraleiter

Jan Oliver Löfken

Illustration einer wellenförmigen, aus Waben bestehenden Oberfläche, auf der sich in einer Linie gelbe Kugelpaare formieren und am Rand einzelne Kugeln sichtbar sind.

Ella Maru Studio/Columbia University

Vor einem Jahr entdeckten Physiker erstmals, dass eine Doppelschicht aus Graphen elektrischen Strom verlustfrei leiten kann. Dazu mussten die beiden hauchdünnen Kohlenstoffschichten bei Temperaturen nahe dem absoluten Nullpunkt gegeneinander verdreht werden – um einen magischen Winkel von exakt 1,1 Grad. In der Zeitschrift „Science“ stellen Wissenschaftler um Matthew Yankowitz von der Columbia University in New York nun eine Methode vor, mit der sich das supraleitende Verhalten auch abseits des magischen Drehwinkels zeigt: In ihren Experimenten pressten sie zwei leicht gegeneinander verdrehte Graphenschichten unter hohem Druck zusammen. Mit diesem Ansatz ließen sich künftig auch die elektronischen Eigenschaften von weiteren zweidimensionalen Materialien überprüfen.

„Wir fragten uns, ob wir den Abstand zwischen den Schichten nicht einfacher kontrollieren können als den Winkel“, erläutert Yankowitz. Um das herauszufinden, platzierte der Physiker gemeinsam mit seinen Kollegen zwei um kleine Winkel zueinander verdrehte Graphenschichten zwischen zwei Druckstempel. Über daran angeschlossene Elektroden ließ sich die elektrische Leitfähigkeit der Probe genau bestimmen. Die Messungen bestätigten, dass zueinander um den magischen Winkel von 1,1 Grad verdrehte Schichten – abgekühlt auf Temperaturen knapp über dem absoluten Nullpunkt – tatsächlich supraleitend wurden. Zusätzlich analysierte das Team eine Probe, bei der die Graphenschichten um einen Winkel von 1,27 Grad gegeneinander verdreht waren. Ohne äußeren Druck leitete diese Doppelschicht den elektrischen Strom wie ein gewöhnlicher Leiter. Wirkte allerdings ein Druck von ein bis zwei Gigapascal auf die beiden Schichten, verwandelte sich auch dieses Material in einen Supraleiter. Die Sprungtemperatur lag dabei sogar über minus 270 Grad Celsius.

Das Experiment von Yankowitz und seinem Team belegt, dass sich die elektronischen Eigenschaften von Graphendoppelschichten nicht nur über den Winkel, sondern auch durch Druck gezielt verändern lassen. Verantwortlich dafür seien die unter Druck schrumpfenden Abstände zwischen den einzelnen Schichten. Damit steht eine experimentell einfachere Methode zur Verfügung, um die variablen elektronischen Eigenschaften von hauchdünnen Doppelschichten zu analysieren. In weiteren Versuchen planen die Wissenschaftler um Yankowitz, auch andere atomar dünne Materialien zu untersuchen – und so vielleicht Supraleiter mit deutlich höheren Sprungtemperaturen zu entdecken. Den Wandel zwischen Leiter, Isolator und Supraleiter mit theoretischen Modellen im Detail zu verstehen, bleibt dagegen weiterhin eine Herausforderung.

Quelle: https://www.weltderphysik.de/gebiet/materie/nachrichten/2019/unter-druck-wird-graphen-zum-supraleiter/