„Das erleichtert die Suche nach passenden Wirkstoffen“

Dirk Eidemüller

Modell des Virus, dargestellt als eine graue Kugel mit roten Stäbchen darin

CDC/Wikimedia commons

Solange weder ein Impfstoff noch ein Medikament gegen das neue Coronavirus SARS-CoV-2 vorhanden ist, lässt sich nur mit Quarantäne-Maßnahmen gegen die Ausbreitung dieser hochansteckenden Krankheit vorgehen. Ein wichtiger Schritt bei der Suche nach einem geeigneten Wirkstoff besteht darin, die exakte molekulare Struktur des Virus zu entschlüsseln. An der Röntgenlichtquelle BESSY II am Helmholtz Zentrum Berlin haben Forscher nun ein Protein untersucht, das für die Vermehrung des Virus unverzichtbar ist. Im Interview mit Welt der Physik erklärt Manfred Weiss, Leiter der Gruppe für makromolekulare Kristallografie am Forschungszentrum, wie eine solche Analyse funktioniert und welche Ergebnisse sie lieferte.

Welt der Physik: Warum ist es wichtig, die dreidimensionale Struktur von bestimmten Proteinen im Virus zu kennen?

Manfred Weiss: Die Gensequenz des Virus ist schon seit Januar bekannt. Bereits kurz nach dem Ausbruch der Krankheit ist es Wissenschaftlern in China gelungen, diese mit genetischen Verfahren zu ermitteln. Aus der reinen Abfolge der Aminosäuren lassen sich aber weder die Funktion noch die Schwachstellen der Proteine – egal ob bei Viren oder menschlichen Proteinen – verstehen. Erst wenn sich die Aminosäuren in einem komplexen Faltungsprozess zum fertigen Protein mit einer komplexen dreidimensionalen Struktur „zusammengebastelt“ haben, können sie biologisch aktiv werden.

Wie entschlüsseln Sie den Aufbau dieser komplexen Makromoleküle aus Hunderten von Aminosäuren?

Wir analysieren die Struktur mithilfe der Proteinkristallografie. Dabei durchleuchtet man die Proteine mit einem sehr intensiven Röntgenlaser. Da man bei einem einzelnen Protein nichts sehen würde, benötigt man viele Proteine, die man zunächst zu möglichst gleichmäßig angeordneten Kristallen heranwachsen lässt. Das ist gerade bei komplexen Proteinen sehr schwierig. Wenn man die Proteinkristalle dann mit dem hochbrillanten Röntgenlicht an unserer Anlage BESSY II durchleuchtet, lässt sich aus den gewonnenen Bildern die exakte Struktur der Proteine am Computer berechnen. Diese Arbeit machen allerdings nicht wir, sondern die Arbeitsgruppen der verschiedenen Institute, denen wir hier unsere Infrastruktur am Beschleuniger zur Verfügung stellen.

Grafik eines transparenten Knäuels, in dessen Inneren verschiedene Bänder verschlungen sind.

Coronavirus-Protease

Was lässt sich aus solchen dreidimensionalen Bildern lernen?

Bei einer erfolgreichen Proteinanalyse weiß man anschließend mit mehr oder weniger atomarer Genauigkeit, welches Atom an welcher Stelle sitzt. Daraus kann man dann zum Beispiel das sogenannte aktive Zentrum bestimmen. Das ist die entscheidende Stelle eines Proteins, an der es bestimmte biochemische Reaktionen eingeleitet werden. Von den über 3000 Proteinstrukturen, die in den vergangenen Jahren bei uns aufgedeckt werden konnten, handelt es sich etwa bei der Hälfte um Bakterien und Viren. Das wird für die Medikamentenentwicklung immer wichtiger und erleichtert die Suche nach passenden Wirkstoffen ungemein.

Was haben die Forscher, die das neue Coronavirus untersucht haben, nun herausgefunden?

Es ist den Wissenschaftlern gelungen, die Struktur eines zentralen Bestandteils des Virus, der sogenannten viralen Hauptprotease, zu entschlüsseln. Diese Protease ist eine Art molekulare Schere. Wenn das Virus sich in das Erbgut einer Zelle einschleust, bringt das Virus diese dazu, Virenproteine herzustellen. Diese hängen anfangs aber noch an einem Stück zusammen und sind nicht funktionsfähig. Die Protease schneidet sie nun an den passenden Stellen auseinander, sodass sich die verschiedenen Virenproteine in der Zelle zu neuen Viren zusammensetzen können. Nun, da wir die Struktur dieser Protease kennen, können Wissenschaftler weltweit gezielt nach Wirkstoffen suchen, die diese Protease blockieren. Solche Proteasehemmer haben sich bei vielen Virenerkrankungen – insbesondere bei HIV – als hervorragende Medikamente erwiesen.

Wann kann man mit einem passenden Wirkstoff rechnen?

Man wird zunächst versuchen, mit bereits bekannten Medikamenten oder mit einer Kombination bekannter Medikamente das neue Coronavirus zu bekämpfen. Die Entwicklung eines ganz neuen Wirkstoffes kann leicht über zehn Jahre dauern. Es dürfte aber deutlich schneller gehen, wenn bei Corona nun weltweit intensiv zusammengearbeitet wird und vielleicht auch die regulatorischen Hürden etwas gelockert werden. Wir werden sehen, was wir angesichts der aktuellen Entwicklungen dazu beitragen können. Unser Beschleunigerzentrum wird nun erst einmal geschlossen. Aber wenn Forschergruppen Experimente zum Coronavirus anstellen wollen, können wir den Beschleuniger innerhalb eines Tages wieder anfahren.

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Quelle: https://www.weltderphysik.de/gebiet/leben/nachrichten/2020/wirkstoffe-gegen-corona/