„Medikamente auf der Basis von mRNA entwickeln”

Dirk Eidemüller

eine helixartige Struktur ist hinter einem Medikamenten-Fläschchen gezeigt.

CROCOTHERY/istock

Um die Struktur von Biomolekülen wie DNA, RNA oder Proteinen zu ermitteln, nutzen Forscher modernste physikalische Verfahren. Die daraus gewonnenen Erkenntnisse tragen dann unter anderem dazu bei, neue Impf- und Arzneistoffe zu entwickeln. Eine dieser Methoden ist die sogenannte Kleinwinkelstreuung mit Röntgenstrahlen, wie Forscher sie an der Synchrotronquelle PETRA III am Forschungszentrum DESY einsetzen. Im Interview mit Welt der Physik erzählt Martin Schroer vom Europäischen Labor für Molekularbiologie in Hamburg, wie diese Methoden auch bei der Suche nach geeigneten Impfstoffen gegen das Coronavirus helfen.

Welche Strukturen untersuchen Sie mit der Kleinwinkelstreuung?

Porträt des Wissenschaftlers Martin Schroer

Martin Schroer

Martin Schroer: Unsere Technik liefert viele wichtige Erkenntnisse über den Aufbau von sehr großen Molekülen, sogenannten Makromolekülen, wie beispielsweise Proteinen. Aus der Analyse unserer Bilder lässt sich unter anderem erkennen, wie eng manche Makromoleküle miteinander verbunden sind. Wir können auch schnelle Veränderungen in der molekularen Struktur beobachten, etwa ob ein Protein auf einen bestimmten Wirkstoff anspricht. Das Besondere an der Röntgen-Kleinwinkelstreuung ist, dass wir Makromoleküle in Lösung untersuchen können. Damit erhalten wir Aufschluss darüber, wie sich das reale Verhalten dieser Stoffe im Körper abspielt.

Welche Proben untersuchen Sie hauptsächlich?

Das können sehr unterschiedliche Proben sein. Es sind auch materialwissenschaftliche Analysen dabei. Aber den Schwerpunkt unserer Arbeit bildet die biologische, medizinische und pharmakologische Forschung. So arbeiten wir schon seit vielen Jahren mit der Universität Mainz und der Firma BioNTech zusammen, die Medikamente auf der Basis von mRNA entwickelt, wie etwa den neuen Impfstoff gegen das Coronavirus. Mit den Untersuchungen an unserem Experiment gewinnen die Kollegen von BioNTech wichtige Erkenntnisse zu grundlegenden Struktureigenschaften der Nanopartikel, die wiederum bei der Entwicklung neuer Therapeutika einfließen.

Welche Funktion haben diese Nanopartikel?

Die jüngst zugelassenen Impfstoffe basieren auf der neuen mRNA-Technik. Die genutzte mRNA ist in diesem Fall der Bauplan für bestimmte Proteinfragmente, aus denen das Virus aufgebaut ist. Wenn man die mRNA in menschliche Zellen bringt, produzieren sie ungefährliche Virusfragmente und lösen damit eine Immunreaktion aus, die dann vor dem ganzen Virus schützt. Reine mRNA wird allerdings im Körper schnell abgebaut und würde deshalb diesen Effekt verfehlen. Deshalb packt man sie in kleine Nanopartikel, die im Körper beständig sind und von den passenden menschlichen Zellen aufgenommen werden. Die Kleinwinkelstreuung kann nun wichtige Erkenntnisse über die Nanopartikel unter realen Bedingungen liefern. Daraus kann man ableiten, wie die Nanopartikel aussehen sollen, wie dicht gepackt die mRNA in ihnen sein soll und wie sich die Struktur bei Aufnahme in die Zellen ändert. Wir haben unsere Nutzer von der Universität Mainz und BioNTech in der Analyse von verschiedenen solcher Nanopartikeln unterstützt.

Und wie lässt sich dafür die Kleinwinkelstreuung nutzen?

Maschine in einem weißen Laborraum

Messstation am EMBL

Wir arbeiten mit den vergleichsweise hochenergetischen Röntgenstrahlen der Synchrotronquelle PETRA III am Forschungszentrum DESY. Die Röntgenstrahlen werden in einem Strahlrohr auf unser Experiment an der EMBL-Messstation P12 gelenkt und treffen dort auf ein kleines Röhrchen, durch das eine Flüssigkeit mit den zu untersuchenden Stoffen fließt. Ein Teil des Röntgenstrahls wechselwirkt mit der Probe und wird durch sie in einem bestimmten, kleinen Winkel abgelenkt. Dieser Anteil liefert ein für die Struktur der Probe spezifisches Muster, ein sogenanntes Streubild, das wir dann mit einem speziellen Röntgendetektor messen. Aus diesen Messungen lassen sich dann Rückschlüsse auf die Struktur der Probe ableiten.

Welche Vor- und Nachteile hat die Kleinwinkelstreuung?

Neben der Möglichkeit, biologische Makromoleküle in ihrer natürlichen Umgebung zu betrachten, fällt bei uns auch die Notwendigkeit einer aufwendigen Probenpräparation weg. Wir erreichen zwar nicht dieselbe hohe atomare Auflösung wie einige andere Methoden, etwa die Röntgenkristallographie, die hier gleich in unserer Nachbarschaft betrieben wird. Deshalb können wir keinen exakten atomaren Bauplan der Moleküle liefern. Doch viele Makromoleküle lassen sich gar nicht erst kristallisieren, was die Grundvoraussetzung für kristallografische Methoden ist. Letztendlich tragen aber all diese verschiedenen Methoden gemeinsam dazu bei, komplexe biochemische Vorgänge besser zu verstehen – viele Bausteine liefern das Gesamtbild.

Quelle: https://www.weltderphysik.de/gebiet/leben/medikamente-auf-der-basis-von-mrna-entwickeln/