Mehr Abstand bei Kälte

Jan Oliver Löfken

Viruszellen in Tropfen

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Ein Mindestabstand von anderthalb Metern gilt als wichtige Maßnahme gegen eine Infektion mit dem Coronavirus SARS-CoV-2. Während der warmen Sommermonate reichte diese Distanz auch meist aus, um sich vor einer Infektion zu schützen. Doch wie Physiker nun in der Fachzeitschrift „Physics of Fluids“ berichten, werden im Herbst und Winter – bei kühleren Temperaturen und einer höheren relativen Luftfeuchte – noch größere Abstände notwendig sein. Dafür untersuchten die Forscher das Infektionsrisiko von virentragenden Speicheltröpfchen bei unterschiedlichen Wetterbedingungen.

Ohne einen Mantel aus flüssigem Speichel werden Coronaviren schnell zersetzt und dadurch unschädlich. Für das Infektionsrisiko ist es daher entscheidend, wie die Speicheltröpfchen verdunsten. „Wenn wir die Verdunstung in Abhängigkeit vom Wetter besser verstehen, können wir die Viruskonzentration und die Überlebenschancen der Viren genauer vorhersagen“, sagt Dimitris Drikakis von der Universität Nikosia in der Republik Zypern. Zusammen mit seinem Kollegen Talib Dbouk simulierte er die Thermodynamik von ausgeatmeten, virentragenden Tröpfchen mit Durchmessern zwischen 25 und 200 Mikrometern.

Grafik mit drei Bildern untereinander: Links jeweils ein Mensch, nach rechts hin mehrere gepunktete Flächen, die Aerosole wiedergeben; auf dem ersten Bild liegt die Luftfeuchtigkeit bei 10 Prozent, auf Bild zwei bei 50 Prozent, auf Bild drei bei 90 Prozen - auf Bild drei sind deutlich mehr und weiter verteilte Aerosolwolken zu sehen als auf Bild eins

Reichweite von virentragenden Speicheltröpfchen

Die Simulationen ergaben, dass die Speicheltröpfchen bei geringer Luftfeuchte und hohen Temperaturen am schnellsten verdunsten. Bei zehn Prozent Luftfeuchtigkeit und Temperaturen von 40 Grad Celsius sind die Tröpfchen nach zwei Sekunden weitestgehend verdunstet und ab zwei Metern Abstand kaum noch vorhanden. Steigt die relative Luftfeuchte bei gleicher Temperatur aber auf mehr als 90 Prozent an, verdoppelt sich die Reichweite der Tröpfchen mindestens. Dieser Effekt könnte nach Aussage der Forscher für den deutlichen Anstieg der Infektionszahlen in der indischen Hauptstadt Delhi ab Mitte Juli verantwortlich sein.

Doch der Effekt wird sich vermutlich auch in den kommenden Monaten auf die Infektionszahlen in Mitteleuropa auswirken. Denn ab Herbst herrschen dort geringe Temperaturen von etwa zehn Grad Celsius bei einer typischen relativen Luftfeuchte von knapp 90 Prozent. Unter diesen Bedingungen bleiben virentragende Tröpfchen oftmals länger als fünf Sekunden stabil. Selbst bei einem Abstand von sechs Metern müsste man demnach noch mit einer infektiösen Konzentration von Coronaviren in der Luft rechnen. Werden die Tröpfchen dazu noch mit Geschwindigkeiten von knapp zehn Kilometern pro Stunde ausgehustet oder von Windböen erfasst, könnten sie sogar noch weiter getragen werden. Daher wird spätestens im Herbst das Tragen von Masken auch draußen – beispielsweise in gut besuchten Fußgängerzonen oder Märkten – immer wichtiger werden.

Quelle: https://www.weltderphysik.de/gebiet/leben/nachrichten/2020/mehr-abstand-bei-kaelte/