Datenkabel als Erdbebensensor

Jan Oliver Löfken

Das Bild zeigt einen Querschnitt eines Glasfaserkabels. Im Hintergrund sieht man das Meer.

Christoph Burgstedt/iStock

Viele Tausend Seismometer zeichnen an Land jede kleinste Bodenerschütterung bei Erdbeben auf. Doch in den Meeren sind solche Messungen bislang aufwendig und nur mit teuren Sensoren möglich. Diese Datenlücke lässt sich jedoch mithilfe von Glasfaserkabeln, die am Meeresgrund eigentlich den digitalen Informationsfluss zwischen den Kontinenten sichern, zumindest teilweise beheben. Geophysiker wiesen nun exemplarisch mit einem Unterseekabel zwischen Nord- und Südamerika die Bodenbewegungen bei Erdbeben und sogar Anzeichen für Tsunamis zuverlässig nach. Wie sie in der Fachzeitschrift „Science“ berichten, sei der technische Aufwand für solche Bebensensoren sogar überraschend klein.

Vor zwei Jahren verlegte der Internetkonzern Google das rund 10 000 Kilometer lange Tiefseekabel „Curie“ zwischen Los Angeles in den USA und der chilenischen Hafenstadt Valparaiso. In durchschnittlich 4000 Metern Tiefe entstand so eine wichtige Glasfaserverbindung für den Datentransport zwischen Nord- und Südamerika. Zugleich zählt genau diese Region zu den gefährdetsten Erdbebengebieten der Welt. Auf der Suche nach Erdebensignalen analysierten Zhongwen Zhan vom California Institute of Technology in Pasadena und seine Kollegen nun die optischen Datensignale in den Glasfaserkabeln zwischen Dezember 2019 und September 2020. Insgesamt wiesen die Forscher so zwanzig Erdbeben ab einer mittleren Stärke nach.

Für die Analyse nutzten Zhan und seine Kollegen die Polarisation der Lichtwellen – also ihre Schwingungsebene. Denn in Glasfaserkabeln lassen sich gleichzeitig vertikal polarisierte Lichtwellen und horizontal polarisierte Lichtwellen transportieren. Aufgrund kleinerer Verunreinigungen in den Fasern werden die verschieden polarisierten Wellen allerdings unterschiedlich stark gebrochen. Die Stärke des Effekts hängt sowohl von Temperaturänderungen als auch von geringfügigen Bewegungen der Glasfasern ab.

Da die Temperaturen am Meeresgrund aber weitestgehend konstant sind, konnten die Forscher durch die Analyse der Polarisation auf kleinste Bewegungen der Glasfasern rückschließen. Dabei war es möglich sogar Veränderungen von etwa einem zehntel Millimeter zu beobachten. Unter anderem wiesen Zhan und seine Kollegen so die zwanzigminütigen Erschütterungen während des starken Erdbebens nahe Oaxaca in Mexiko am 23. Juni 2020 nach. Und auch sich aufbauende Tsunamis ließen sich in den Datensignalen der polarisierten Lichtwellen in 2000 Metern Tiefe erkennen.

Die Studie von Zhan und seinen Kollegen zeigt, dass sich mithilfe der Lichtwellen in Unterseekabeln kleinste Bodenbewegungen am Meeresgrund nachweisen lassen. „Dieser Ansatz benötigt auch keine neue Infrastruktur oder technische Ausstattung, sondern basiert auf den Kommunikationsdaten, die am Ende eines Kabels ankommen“, sagt der Ozeanograf William Wilcock von der University of Washington in Seattle, der nicht an dieser Studie beteiligt war. So könnte das globale Netzwerk an Unterseekabeln mit geringem technischem Aufwand zum Aufzeichnen von Erdbebendaten genutzt werden. Aufwendigere und teurere Messmethoden, etwa mit zusätzlichen Lasern in eigens am Meeresgrund verlegten Glasfasern, könnten dann vorrangig in Regionen abseits des globalen Datennetzes eingesetzt werden.

Quelle: https://www.weltderphysik.de/gebiet/erde/nachrichten/2021/datenkabel-als-erdbebensensor/