Blick ins Innere der Sonne

Rainer Kayser

Grün beleuchtete Kugel

Borexino

Im Inneren der Sonne verschmelzen Wasserstoffkerne in einem mehrstufigen Prozess zu Helium. Diese sogenannte Proton-Proton-Kette erzeugt nicht nur 99 Prozent der Sonnenenergie, bei den Fusionsreaktionen entstehen auch Neutrinos – elektrisch neutrale und nahezu masselose Elementarteilchen. Seit 2007 vermessen Wissenschaftler die solaren Neutrinos mit dem Experiment Borexino im größten Untergrundlabor der Welt. In der Zeitschrift „Nature“ stellen sie nun eine umfassende Analyse der Messdaten aus den vergangenen Jahren vor und liefern damit neue Einblicke in den Fusionsreaktor unseres Zentralgestirns.

Mit Teleskopen können Astronomen nur die Oberfläche der Sonne beobachten. Und dort kommt die im Sonnenkern erzeugte Energie erst nach hunderttausend Jahren an. Im Gegensatz dazu können Neutrinos die Sonnenmaterie nahezu ungehindert durchdringen, denn sie treten mit Materie nur extrem schwach in Wechselwirkung. Diese Eigenschaft der Neutrinos macht ihren Nachweis aber auch auf der Erde schwierig. Borexino befindet sich 1400 Meter unter dem italienischen Gebirgsmassiv Gran Sasso, abgeschirmt von äußeren Störeinflüssen. Der Detektor besteht aus einem kugelförmigen Nylonballon, gefüllt mit 300 Tonnen einer speziellen Flüssigkeit. In seltenen Fällen streuen Sonnenneutrinos an Elektronen in dieser Flüssigkeit, wodurch Lichtblitze entstehen – und diese lassen sich mithilfe von etwa 2000 hochempfindlichen Lichtdetektoren in der Wand der umschließenden Edelstahlkugel registrieren.

Mit diesem Experiment haben die mehr als hundert beteiligten Wissenschaftler in den vergangenen Jahren sowohl hoch- als auch niederenergetische Neutrinos nachgewiesen und so einen vollständigen Überblick über das energetische Spektrum der Teilchen erhalten. Die Ergebnisse bestätigen das Standardmodell der Sonne, demzufolge nahezu die gesamte Energie aus der Proton-Proton-Kette stammt. Außerdem deuten die Messdaten auf einen höheren Anteil an schweren Elementen im Sonneninneren hin. Bislang liefern unterschiedliche Methoden unterschiedliche Ergebnisse für den Anteil von Elementen in der Sonne, die schwerer als Helium sind.

So hatten spektroskopische Messungen kürzlich einen Anteil von schweren Elementen ergeben, der um 35 Prozent niedriger liegt als frühere Annahmen. Doch der geringere Wert führt zu Widersprüchen mit Modellen der Entwicklung und des inneren Aufbaus der Sonne – die wiederum durch Messungen von Schwingungen unseres Zentralgestirns gut bestätigt sind. Diese helioseismologischen Daten stimmen besser mit höheren Werten für den Anteil an schweren Elementen überein. Die Daten von Borexino legen nun ebenfalls einen höheren Anteil an schweren Elementen nahe. Das allerdings würde bedeuten, dass entweder die aktuellen spektroskopischen Methoden oder aber die Entwicklungsmodelle der Sonne fehlerhaft sind.

Noch reicht die Messgenauigkeit von Borexino nicht aus, um dieses Dilemma zu lösen. Doch der Detektor misst weiter – und die Forscher hoffen, bald auch Neutrinos aus einem anderen Fusionsprozess in der Sonne nachweisen zu können. Zwar liefert der sogenannte Kohlenstoff-Stickstoff-Zyklus nur etwa ein Prozent der Sonnenenergie, aber er hängt wesentlich stärker vom Anteil an schweren Elementen ab als die Proton-Proton-Kette.

Quelle: https://www.weltderphysik.de/gebiet/universum/nachrichten/2018/blick-ins-innere-der-sonne/