„Wertvolle Einblicke mit kalten Atomen“

Dirk Eidemüller

In Experimenten erzeugen Physiker präzise kontrollierte Wolken aus Tausenden von Atomen – und untersuchen damit modellhaft ganz unterschiedliche Quantensysteme. Für manche Analysen ist es erforderlich, diese sogenannten Quantengase expandieren zu lassen. Dabei gingen bislang allerdings wichtige Informationen über das System verloren. Wie mehrere Forscherteams nun in der Fachzeitschrift „Science“ berichten, ist es ihnen gelungen, die Eigenschaften der Quantengase auch nach einer starken Expansion zu erhalten. Im Interview mit Welt der Physik erklärt Markus Oberthaler von der Universität Heidelberg, was der neue Fortschritt bedeutet und welche Anwendungen er ermöglicht.

Wie lässt sich ein Quantengas erzeugen und untersuchen?

Ein Portrait von Markus Oberthaler.

Markus Oberthaler

Wir beginnen mit einer Wolke aus etlichen Tausend Rubidiumatomen, die wir sehr stark herunterkühlen – bis knapp über den absoluten Nullpunkt. Wenn man diese Atome dann auf engstem Raum zusammenhält, etwa mit Magnetfeldern oder in optischen Fallen aus Laserstrahlen, wechselwirken sie miteinander und können in präzise kontrollierten Experimenten besondere Quantenzustände einnehmen. Die Partikel befinden sich dann in speziellen kollektiven Zuständen, die wir aus der Welt der klassischen Physik und aus unserer Alltagswelt nicht kennen. Gerne würden wir solche quantenmechanischen Verschränkungen genauer analysieren. Das Problem ist allerdings, dass alle diese Atome auf engstem Raum herumwuseln und wir sie nicht genau untersuchen können.

Wie lässt sich das Problem lösen?

Um die Quanteneigenschaften zu untersuchen, müssen wir die Atomwolke vergrößern. Wir lassen die Atome dazu aus der Falle entweichen, sodass die Atomwolke expandieren kann. In der Vergangenheit hat sich das leider als tückisch erwiesen, denn viele Quanteneigenschaften gingen bei der Expansion verloren. In unseren Experimenten ist es nun aber gelungen, das Vergrößern der Atomwolke sehr kontrolliert durchzuführen. Damit konnten wir die Atomwolke vergrößern und zudem in viele Segmente unterteilen.

Was können Sie an solchen Atomwolken untersuchen?

Das Besondere an unserem Experiment ist einerseits, dass wir die Quanteneigenschaften auch bei der Expansion erhalten konnten. Anderseits haben wir das Ganze mit einer vergleichsweise großen Anzahl von Atomen geschafft. Wir sind damit jetzt in der Lage, die Entwicklung der Quanteneigenschaften in hoher Auflösung nachzuvollziehen. Mithilfe der Quanteneigenschaften – wie etwa der Verschränkung – lassen sich dann Dinge bewerkstelligen, die mit klassischen Mitteln nicht möglich sind.

Das Foto zeigt die Glaszelle, in der die Experimente durchgeführt wurden.

Ultrakalte Rubidiumatome im Experiment

Können Sie Beispiele nennen?

In klassischen Systemen kann man nicht beliebig genau messen. So sind Magnetfeldmessungen auf kleinen Längenskalen beispielsweise durch die Anzahl von Atomen – die wie winzige Kompassnadeln wirken – in dem entsprechenden kleinen Volumen limitiert. Das Phänomen der Verschränkung könnte diese Grenze unterbieten und extrem präzise Magnetfeldmessungen ermöglichen. Von unserer Forschung hin zu solchen Anwendungen ist es zwar noch ein ganzes Stück, aber wir können diese Verschränkung bereits bei unseren Quantengasen sehen. Man kann mit diesen kalten Atomwolken aber auch andere interessante physikalische Systeme untersuchen, wie etwa das sogenannte Quark-Gluon-Plasma. Sekundenbruchteile nach dem Urknall herrschte dieser Zustand im Universum und an Teilchenbeschleunigern wie dem LHC lässt er sich für winzige Augenblicke erzeugen – etwa wenn schwere Teilchen mit höchsten Energien aufeinanderprallen.

Und wie könnten diese kalten Quantengase in Zukunft helfen, extrem heiße und dichte Materiezustände wie bei einem Quark-Gluon-Plasma zu verstehen?

Beide physikalischen Systeme sind natürlich extrem unterschiedlich. Es gibt aber ein paar fundamentale Gemeinsamkeiten zwischen ihnen. Bislang versteht man beispielsweise nur schlecht, wie sich die Temperatur eines Quark-Gluon-Plasmas bei einer Expansion entwickelt. Denn das Ganze geschieht extrem schnell und auf winzigen räumlichen Skalen. Es lässt sich also nur schwer beobachten. Auch die Theorie hilft hier nur wenig weiter, da die entsprechenden Gleichungen sehr komplex sind und zu wenig exakten Aussagen führen. Anhand unserer Quantengase können wir nun bestimmte Entwicklungen während der Expansion der Quantenzustände beobachten und daraus Rückschlüsse auf andere Systeme wie eben das Quark-Gluon-Plasma ziehen.

Welche anderen physikalischen Systeme lassen sich mit Quantengasen untersuchen?

Auch in Festkörpern gibt es Vielteilchen-Phänomene – wie etwa die Supraleitung –, die sich mit mathematischen Gleichungen nur schwer beschreiben lassen. Mit anderen physikalischen Systemen ließen sie sich aber jeweils in bestimmten Aspekten modellieren. In letzter Zeit sind aber vor allem magnetische Materialien in den Fokus gerückt. Denn die heutige Computertechnologie ist weitgehend ausgereizt, weshalb Wissenschaftlern weltweit an neuartigen Materialien forschen. Quantensimulatoren, wie etwa unsere kalten Atome, können hier sehr wertvolle Einblicke liefern. So ließe sich mit den Quantengasen analysieren, warum sich die Elektronen in diesen neuartigen Materialien so speziell verhalten und wie man diese Materialien weiter verbessern könnte.

Quelle: https://www.weltderphysik.de/gebiet/teilchen/nachrichten/2018/wertvolle-einblicke-mit-kalten-atomen/