„Nichts mehr dem Zufall überlassen“

Jana Harlos

Physiker haben in den vergangenen Jahren unterschiedliche Ansätze entwickelt, um einen Quantencomputer technisch umzusetzen. Als besonders vielversprechend erwiesen sich Atome in sogenannten Ionenfallen. Bereits 1978 gelang es am amerikanischen National Institute of Standards and Technology oder kurz NIST in Boulder, eingefangene Magnesiumionen mit einem Laser abzubremsen und so einen kontrollierbaren Quantenzustand zu erzeugen. Seither treiben Wissenschaftler die Manipulation von einzelnen Ionen mithilfe von Lasern voran. Ein Forscherteam hat sich diese Methoden nun zunutze gemacht, um auch geladene Moleküle in Ionenfallen zu kontrollieren. Welt der Physik sprach mit Dietrich Leibfried vom NIST über die neuen Ergebnisse.

Dietrich Leibfried vom NIST

Welt der Physik: Wie lassen sich Ionen, also elektrisch geladene Atome, einfangen?

Dietrich Leibfried: Dazu braucht man eine sogenannte Ionenfalle. Elektromagnetische Felder formen darin ein dreidimensionales Potenzial – ähnlich einem Eierkarton –, in dem sich elektrisch geladene Teilchen einfangen lassen. Die Atome oder Moleküle sind zunächst elektrisch neutral und durchfliegen die Ionenfalle. Durch einen Elektronenstoß oder Laserpulse wird dann ein Elektron aus den Partikeln entfernt. Dadurch werden sie elektrisch geladen beziehungsweise ionisiert und können nicht mehr aus dem elektromagnetischen Potenzial und damit der Falle entkommen.

Wie führen Sie an diesen eingesperrten Ionen dann Experimente durch?

Dafür müssen wir zunächst einen Anfangszustand präparieren, der reproduzierbar ist. Dafür bestrahlt man ein Ion mit Lasern: Die Photonen im Laserlicht übertragen einen Impuls auf das Teilchen und können es so abbremsen. Dadurch wird es gekühlt, denn je weniger sich das Teilchen bewegt, desto „kälter“ ist es. Am Ende befindet sich das Ion in seinem sogenannten Bewegungsgrundzustand und ist in der Mitte des Potenzials „festgefroren“. Um quantenmechanische Experimente durchzuführen, kann dieser Anfangszustand mit weiteren Laserpulsen verändert werden: Wir strahlen beispielsweise einen Laserpuls auf das Ion ein, der nach einer festen Dauer das Ion in einen angestrebten Endzustand überführt. Verändern wir die Dauer des Pulses, können wir andere Zustände erzeugen. Diese Zustände sind dann immer Überlagerungen aus dem Anfangs- und Endzustand, wobei die Anteile von beiden variieren können. Man spricht dann von einer quantenmechanischen Superposition aus zwei Zuständen.

Und wie messen Sie diese Zustände?

Wir bestrahlen das Ion dafür mit einem zusätzlichen Laser und beobachten die sogenannte Laserfluoreszenz. Das Atom kann ein Photon absorbieren, wenn es im Anfangszustand ist – es erhält dadurch zusätzliche Energie und ein Elektron wird angeregt. Nach ganz kurzer Zeit emittiert es dann spontan ein Photon, das von einer Kamera detektiert werden kann. Dies ist der „helle“ Zustand. Ist es im Endzustand kann es kein Photon absorbieren, es bleibt „dunkel“. Wiederholen wir dies mit vielen Photonen, können wir Rückschlüsse auf den Zustand des Atoms ziehen, denn wir können die „hellen“ und „dunklen“ Anteile sehen. Diese Methoden werden für geladene Atome schon fast als selbstverständlich hingenommen. Wir untersuchen nun allerdings geladene Moleküle, für die diese Methoden weitgehend ungeeignet sind. Man kann nur ganz wenige, speziell ausgesuchte Moleküle mit einem Laser effizient kühlen, oder ihren Zustand mithilfe der Laserfluoreszenz und einer Kamera beobachten.

Wie lösen Sie diese Probleme?

Experimenteller Aufbau der Ionenfalle

Experimenteller Aufbau der Ionenfalle

In unserem Experiment fangen wir zwei Ionen ein, ein atomares Kalziumion und ein molekulares Kalziumhydridion. Beide stoßen sich stark ab – die Bewegung der zwei Ionen ist deshalb nicht unabhängig: Sobald sich ein Ion bewegt, bewegt sich durch die Abstoßung auch das andere Ion. Wir nutzen das aus, indem wir das atomare Ion mit Lasern in seinen Bewegungsgrundzustand kühlen. Das Molekül hat dann keine andere Wahl als ebenfalls in den Grundzustand überzugehen. Am Ausgangspunkt unserer Experimente sind also beide Ionen an ihrem Platz in der Falle „festgefroren“. Allerdings sind die internen Bewegungen des Moleküls davon nicht betroffen. Die Elektronen des Moleküls könnten beispielsweise angeregt sein – und der Wasserstoff kann sich relativ zum Kalzium bewegen. Letzteres bezeichnet man als die Vibration des Moleküls. Bei Raumtemperatur befinden sich aber sowohl die Elektronen als auch die Vibration mit hoher Wahrscheinlichkeit im Grundzustand. Zusätzlich kann eine Rotation des Moleküls auftreten, es dreht sich im Raum. Diese Bewegung wird nicht mit dem Laser gekühlt und ist damit anfangs unkontrolliert.

Wie können Sie nachvollziehen, in welchem Zustand sich das Molekül befindet?

Man kann sich ein Ion in der Falle wie eine Murmel in einer Schale vorstellen. Eine Murmel kommt am tiefsten Punkt zum Liegen. Sind aber zwei Murmeln in der Schale, verdrängen sie sich gegenseitig vom tiefsten Punkt und kommen jeweils etwas versetzt dazu zur Ruhe. So muss auch das atomare Ion etwas von seiner Position in der Falle abrücken, wenn ein zusätzliches Molekül gefangen wird. Diese Verschiebung kann mithilfe der Laserfluoreszenz beobachtet werden. Der entscheidende Punkt unseres Experiments ist nun, dass wir die Information über das Molekül nicht direkt aus Lichtsignalen erhalten. Stattdessen fragen wir den Zustand des Moleküls mithilfe des atomaren Ions, das gut kontrollierbar ist, ab.

Wie kann man sich das vorstellen?

Wie schon erwähnt, kann das zusätzlich gefangene atomare Ion die Bewegung des Moleküls innerhalb der Falle abbremsen, aber es kann noch mehr: Nachdem die Bewegung der Ionen in der Falle eingefroren ist, kann der Laser die bisher unkontrollierte Rotation des Moleküls beeinflussen. Dazu bedienen wir uns mehrerer Tricks, die alle einzeln bekannt waren, aber bisher noch nie zusammen verwendet wurden. Indem wir den Laser aufspalten und das Molekül aus zwei Richtungen bestrahlen, können wir die dem Molekül gerade so viel Energie hinzufügen, dass es kontrolliert rotiert. Die Rotation kann so manipuliert werden, dass auch die Bewegung beider Ionen beeinflusst wird. Die Änderung der Bewegung betrifft dann auch das atomare Ion in der Falle. Indem wir nun die „hellen“ und „dunklen“ Anteile des Atoms messen, können wir indirekt die Zustandsänderung des Moleküls beobachten. Wir können mit den Experimenten nachweisen, dass sich das Molekül wie ein quantenmechanisches Objekt verhält, dessen Zustand wir mit dem Laserlicht präzise kontrollieren und mit dem Atom präzise auslesen können.

Was ist das Besondere im Vergleich zu vorangegangenen Experimenten?

Es ist bisher recht selten gelungen, ein Molekül in einem eindeutigen Quantenzustand zu präparieren – selbst wenn das Molekül sorgfältig für diesen Zweck ausgesucht wurde. Bisher wurde der Nachweis zumeist so geführt, dass der Zustand und oftmals auch das Molekül dabei zerstört wurden. Dieses Problem umgehen wir mithilfe des zusätzlichen atomaren Ions. Nach der Messung können weitere quantenmechanische Manipulationen am Molekül vorgenommen werden.

Atom und Molekül in einer Ionenfalle

Atom und Molekül in einer Ionenfalle

Wir hoffen, damit einen großen Fortschritt bei der Kontrolle von Molekülen gemacht zu haben. Das Besondere an unserem Experiment ist zudem die Universalität der Methode: Wir haben diese Experimente bisher nur mit Kalziumhydridionen durchgeführt, aber alle Schritte die wir verwenden, sind nicht speziell für dieses Molekül zugeschnitten. Das Verfahren sollte ebenfalls mit vielen anderen Molekülen funktionieren, da nur die Einstellungen der Laser etwas verändert werden müssten.

Was sind die nächsten Schritte Ihrer Forschung?

Um nachzuweisen, dass unsere Methoden wirklich universell sind, wollen wir möglichst viele andere Molekülionen mit derselben Apparatur vermessen und kontrollieren. Außerdem wollen wir den Zustand des Moleküls nicht nur feststellen und dann in kleinen Schritten verändern, sondern ihn aktiv dahin steuern, wo wir ihn haben wollen – und nichts mehr dem Zufall überlassen.

Welche Anwendungen können Sie sich damit vorstellen?

Zunächst einmal die extrem genaue Vermessung vieler verschiedener, bisher oft völlig unbeobachteter Molekülionen. Mit unserer Methode ist es möglich, viel genauere Daten als mit typischer Molekülspektroskopie aufzunehmen. Auf diese Weise könnten etwa Modelle der Molekültheorie verbessert werden. Dies sollte sich positiv auf Vorhersagen über chemische Reaktionen auswirken, die zum Beispiel wichtig für das Verständnis von Prozessen wie der Photosynthese sind. Darüber hinaus könnte die quantenmechanische Kontrolle von Molekülen ähnliche Umwälzungen in der Molekülphysik hervorbringen, wie die Kontrolle einzelner Atome in der Atomphysik und Quantenoptik. Mithilfe von Molekülen ließen sich beispielsweise auch Abweichungen vom Standardmodell der Elementarteilchenphysik und Effekte der Dunklen Materie und Dunklen Energie sensitiver nachweisen als mit anderen Methoden. Der ultimative Traum ist es, quantenmechanisch perfekt kontrollierte Moleküle aneinander „anzudocken“ wie Legobausteine. Bis zu dieser vollständig kontrollierten Quantenchemie ist es noch ein weiter Weg, aber wie immer beginnt er mit einem ersten Schritt.

Quelle: https://www.weltderphysik.de/gebiet/technik/nachrichten/2017/nichts-mehr-dem-zufall-ueberlassen/