T-Shirt als Mikrofon

Jan Oliver Löfken

Großaufnahmen eines blauen Gewebes, in dem eine Naht aus grauem Faden eingewoben wurde

Fink Lab MIT/Elizabeth Meiklejohn RISD/Greg Hren

Elektrisch aktive Fasern verwandeln Textilien bereits in kleine Kraftwerke, Kühlelemente oder Stromspeicher – zumindest im Labor. Nun funktioniert ein Stoff aus solchen Fasern wie ein Mikrofon. Der Prototyp besteht aus piezoelektrischen Fasern, die sich in Stoffe einweben lassen und dort ähnlich wie ein Mikrofon auf Schallwellen reagieren. Wie die Wissenschaftler in der Zeitschrift „Nature“ berichten, könnten solche akustischen Stoffe zukünftig Hörhilfen unterstützen oder auch für die Echtzeitanalyse des Herzschlags genutzt werden.

Links eine rote Stoffbahn durchgezogen von grauen wellenförmigen Nähten; rechts eine blaue Stoffbahn durchzogen von grauen Nähten

Stoff mit Akustikfasern

Yoel Fink vom Massachusetts Institute of Technology in Cambridge und sein Team nutzten piezoelektrische Kunststofffasern, mit denen sich mechanische Bewegungen in elektrische Spannungspulse umwandeln lassen. Doch die kleinen Druckunterschiede, die durch Schallwellen in der Luft entstehen, reichten bislang nicht aus, um in den Fasern einen ausreichenden piezoelektrischen Effekt auszulösen. Deswegen verwendeten die Forscher nicht nur den Piezokunststoff, sondern auch piezoelektrische Nanokristalle aus Bariumtitanat. Zudem fügten sie den flexiblen Fasern in einem speziellen Verfahren filigrane Kupferdrähte als Elektroden hinzu. So entstand ein 70 Meter langer und knapp einen Millimeter dünner Faden, den Fink und seine Kollegen direkt in ein Textilstoff einwebten.

Eine einzige Faser genügte bereits, um ein ein Quadratmeter großes Stoffstück in ein Mikrofon zu verwandeln: Trafen Schallwellen in einem Frequenzbereich zwischen 200 und 1000 Hertz auf den Stoff, entstanden – abhängig von der Lautstärke – kleine Spannungspulse. Beispielsweise erzeugte ein Händeklatschen eine Spannung von knapp einem Volt. Mithilfe eines Verstärkers ließen sich die von den Fasern erzeugten Spannungspulse dann wieder in hörbare Schallwellen umwandeln. Auch wenn der akustische Stoff nicht die hohe Empfindlichkeit eines Mikrofons erreichte, ließ sich mit dem Prototyp trotzdem eine Schallquelle orten. „Der Stoff konnte die Richtung des Schalls in drei Meter Abstand bis auf einen Grad genau erkennen“, sagt die an den Experimenten beteiligte Forscherin Grace Noel.

So könnte ein T-Shirt mit Akustikfasern beispielsweise Menschen mit eingeschränktem Hörvermögen helfen, sich optimal zu einer Schallquelle hin auszurichten. Zusätzlich ließ sich mit dem Akustikstoff – getragen im Brustbereich einer Testperson – der Herzschlag wahrnehmen und ebenfalls in elektrische Signale überführen. In weiteren Versuchen könnte nun die Empfindlichkeit der piezoelektrischen Fasern weiter erhöht werden. Da die Faser tausendfachen Verbiegungen und selbst mehreren Wäschen mühelos standhielt, wäre sie auch für einen Dauereinsatz geeignet. Und ergänzt mit weiteren speziellen Fasern – etwa um Strom zu erzeugen und zu speichern – ließen sich zukünftig womöglich funktionelle Kleidungsstücke für Hörgeschädigte oder zur Kontrolle der Herzfunktion entwickeln.

Quelle: https://www.weltderphysik.de/gebiet/technik/nachrichten/2022/t-shirt-als-mikrofon/