„Erstes Leben könnte in Natronseen entstanden sein“
Gabriele Schönherr

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Welt der Physik: Was sind Natronseen und welche Rolle könnten sie für den Ursprung von Leben auf der Erde spielen?
Craig Walton: Natronseen sind besondere Seen in Trockengebieten der Erde, die oft in vulkanisch aktiven Regionen entstehen. Sie besitzen keine Abflüsse, aber hohe Verdunstungsraten. Während ihr Wasser also teilweise oder ganz verdunstet, können sich Salze und andere Elemente, die über die Zuflüsse oder aus dem umliegenden Gestein in den See gelangen, in enorm hohen Konzentrationen anreichern – darunter auch Phosphor. So können Natronseen millionenfach höhere Phosphorkonzentrationen erreichen als gewöhnliche Seen und Ozeane. Und neben Stickstoff und Kohlenstoff benötigt Leben eben auch genügend Phosphor.
Warum ist Phosphor lebenswichtig?
Phosphor ist die Grundlage des biologischen Stoffwechsels. Nur mithilfe von Phosphor können Organismen chemische Energie nutzen, um Moleküle aufzubauen oder zu zerstören. Phosphor ist auch wichtig für die Festigkeit der Zellen. Das ist ein weiterer wichtiger Aspekt des Lebens: Ein Organismus muss in der Lage sein, Zellen aufzubauen und zu verhindern, dass seine DNA in die Umwelt zerstreut wird. Phosphor an der Zellwand verhindert, dass Wasser die Zelle zerstört. Und schließlich gibt Phosphor der DNA selbst Struktur: das Zucker-Phosphat-Grundgerüst der DNA. Ohne Phosphor wäre es unmöglich, diesen Informationsstrang aufzubauen. Wir benötigen Phosphor also auch, um genetische Information über Generationen hinweg zu bewahren. Wir brauchen es, um uns zu ernähren, uns zu bewegen und um unsere Gene weiterzugeben. Ohne diesen Stoff könnten wir nicht existieren.
Gibt es denn besonders viel Phosphor auf der Erde im Vergleich zu anderen Planeten?
Möglicherweise enthält die Erdkruste sogar besonders viel Phosphor im Vergleich zu den Vorkommen auf anderen Planeten. Das könnte ein Teil der Erklärung dafür sein, warum Leben ausgerechnet hier entstanden ist. Im Vergleich zu anderen Schlüsselelementen wie Kohlenstoff und Stickstoff, die relativ reichlich vorhanden sind, bleibt Phosphor auf der Erde jedoch knapp. Das Leben hat Strategien entwickelt, um mit diesem Mangel umzugehen, Phosphor effizient zu nutzen und immer wieder zu recyceln. Zu dem Zeitpunkt, als das Leben begann, funktionierten diese Strategien jedoch noch nicht. Es gab zum Beispiel noch keine Enzyme, die dabei halfen, Phosphor optimal zu verwerten. Deshalb brauchte es damals große Mengen Phosphor, um das Leben in Gang zu bringen.
Und Natronseen boten die besten Voraussetzungen dafür?
Das ist unsere These. In Laborexperimenten benötigen wir sehr hohe Phosphorkonzentrationen, um Grundmoleküle des Lebens zu erzeugen. Der Phosphorgehalt in einem Natronsee ist zwar etwa zehnmal niedriger, doch das könnte ausreichen, da die Natur im Vergleich zu unseren Experimenten sehr viel mehr Zeit hatte. Entscheidend ist der ständige Nachschub an Phosphor: Ein geeigneter Natronsee muss groß genug sein, damit der Phosphorgehalt hoch bleibt, selbst wenn dort viele Biomoleküle entstehen. In unserer Fallstudie betrachten wir den Mono Lake, einen rund 60 Quadratkilometer großen, fast eine Million Jahre alten Natronsee in Kalifornien. Er ist millionenfach reicher an Biologie als ein durchschnittlicher See: Milliarden Garnelen ernähren Millionen Vögel. Es wimmelt nur so vor Leben.
Ist es denn überhaupt sicher, dass es Natronseen auf der Erde gab, als das erste Leben entstand?
Wenn es trockenes Land gab, ist das sehr wahrscheinlich. Viele Natronseen dürften sich in Kratern gebildet haben. Wir sehen am Mond und an anderen Planeten, dass die Erde vor Milliarden Jahren wohl ebenfalls von Kratern übersät war. Nur falls die Erde damals vollständig von Wasser bedeckt oder vereist war, konnten sich keine Natronseen bilden.
Sind Natronseen als Ursprungsort für Leben eine neue Idee?
Vor etwa sechs Jahren wurde erstmals über Phosphorkonzentrationen in Natronseen berichtet, die für den Ursprung von Leben ausreichen könnten. Diese hohen Konzentrationen traten jedoch nur auf, weil dort kein Leben existierte, das Phosphor verbrauchte. Wir haben diese Idee weiterentwickelt und schlagen nun größere Natronseen vor, die einen kontinuierlichen Nachschub an Phosphor bieten. So können sich Organismen dort nicht nur bilden, sondern sich auch weiterentwickeln und vermehren.
Gibt es noch andere mögliche Phosphorquellen für das Entstehen von Leben?
Ein anderes Szenario sieht Meteoriten als Phosphorquelle, doch hier fehlt der Nachschub. Eine weitere verbreitete Hypothese sind hydrothermale Quellen: heiße, phosphorreiche Ströme zwischen Erdkruste und Ozean. Hier gibt es zwar genügend Nachschub, aber ich halte es für problematisch, dass alle organischen Verbindungen, die dort möglicherweise entstehen, mit sehr hohem Druck in den Ozean hinausgeschleudert würden, wo sie sich stark verdünnen und schließlich zerfallen. Möglicherweise könnte man aber zwei Szenarien kombinieren: Vielleicht finden wir geeignete hydrothermale Quellen in einem See.
Wie lässt sich mehr darüber herausfinden?
In den letzten zehn Jahren gab es viele Fortschritte. Wir können biologische Moleküle im Labor herstellen und größere Experimente durchführen. Früher versuchte man buchstäblich, den Ursprung des Lebens mit einer Pipette und in einem kleinen Fläschchen zu ergründen. Heute können wir große Reaktoren bauen, die fast wie die Erde im Miniaturformat aussehen. Einen Natronsee, wie wir ihn vorschlagen, hat noch niemand unter präbiotischen Versuchsbedingungen und in großem Maßstab im Labor nachempfunden. Dabei sind hier die großen physikalischen Prozesse entscheidend. Ich bin überzeugt, dass jemand mit den heutigen Möglichkeiten in den nächsten zehn Jahren die Frage nach dem Ursprung des Lebens beantworten wird.
Quelle: https://www.weltderphysik.de/gebiet/leben/ursprung-des-lebens-erstes-leben-koennte-in-natronseen-entstanden-sein/