Physik im Rotweinglas

Jan Oliver Löfken

Aus einer Flasche wird Rotwein in ein Glas eingeschenkt

Garik_Klimov/iStock

Schwenkt man einen Rotwein im Glas, lassen sich am inneren Glasrand oftmals ein Schlierenring und wie Tränen herabrinnende Tropfen erkennen. Diesen Effekt beschrieben Wissenschaftler bereits erstmals Mitte des 19. Jahrhunderts. Bisher wurde dafür ein Wechselspiel aus Verdunstung, Oberflächenspannung und Schwerkraft verantwortlich gemacht. Doch diese klassische Erklärung greift nach Aussage von Mathematikern zu kurz. In der Fachzeitschrift „Physical Review Fluids“ präsentieren sie nun eine umfassendere Analyse und ergänzen die bisherige Erklärung.

Grundlage für den Träneneffekt bildet der Wein als Mischung aus Wasser und Alkohol. Wird die Innenwand des Glases mit Wein benetzt, verdunstet der Alkohol in dieser dünnen Schicht schneller als das Wasser. Dadurch steigt im oberen Weinfilm die Oberflächenspannung im Vergleich zum restlichen Wein im Glas an. Die Folge: Kleine Weinmengen wandern an der Glaswand nach oben, um den Unterschied der Oberflächenspannung auszugleichen. Dieser Effekt wird nach dem italienischen Physiker Matteo Marangoni als Marangoni-Konvektion bezeichnet. Doch der Marangoni-Effekt allein erklärt nicht, wie der gegen die Schwerkraft nach oben rinnende Wein wieder als Tropfen nach unten läuft.

Dieses Problem lösten nun Andrea Bertozzi von der University of California in Los Angeles und ihre Kollegen. Die Forscher entwickelten ein detailliertes hydrodynamisches Modell, in dem sie neben dem Marangoni-Effekt auch die Schwerkraft berücksichtigten. Die Berechnungen zeigten, dass der Wein in Wellen an der Glaswand nach oben fließt. Dadurch bildet sich am oberen Ende des Weinfilms eine Art Wellenberg, wodurch der Flüssigkeitsfilm am oberen Rand etwas dicker wird. Da diese Art von Wellen instabil ist, bilden sich Tropfen, die von der Schwerkraft angetrieben nach unten fließen.

Ihre theoretischen Vorhersagen konnte die Arbeitsgruppe um Bertozzi zudem in mehreren Experimenten belegen. „Wir konnten auch reproduzieren, dass die durch instabile Wellen verursachte Tränenbildung bei steileren Glaswänden und höheren Konzentrationen von Alkohol im Wein zunahm“, erläutern Bertozzi und ihre Kollegen. So zeigt diese Studie, dass schon längst verstanden geglaubte Alltagseffekte immer noch mit verblüffenden Details überraschen können.

Quelle: https://www.weltderphysik.de/gebiet/leben/nachrichten/2020/physik-im-rotweinglas/