Tempolimit im Vogelschwarm

Jan Oliver Löfken

Vogelschwarm am Himmel

AGD Beukhof/iStock

Schwärme mit tausenden Vögeln zeichnen eindrucksvolle Strukturen am Himmel. Doch obwohl das koordinierte Schwarmverhalten auf einfachen Prinzipien basiert, lässt es sich mathematisch nur schwer beschreiben. Ein Forschungsteam entwickelte daher ein neues Modell, um die Dynamik von kleinen und großen Schwärmen noch besser zu erfassen. Ihre Ergebnisse könnten in Zukunft sogar bei der Programmierung von künstlichen Roboterschwärmen genutzt werden, wie die Forscher in der Fachzeitschrift „Nature Communications“ berichten.

In einem Vogelschwarm reagiert jeder Vogel grundsätzlich auf das Flugverhalten seiner nächsten Nachbarn. An dieses passt er sich an und es entwickelt sich eine hervorragend koordinierte Schwarmdynamik. Auf diesem Prinzip basieren auch die Modelle, mit denen Wissenschaftler das Verhalten der Vögel simulieren. Antonio Culla von der Universität La Sapienza in Rom und seine Kollegen untersuchten nun eine weitere Eigenschaft der Vögel: Denn jeder Vogel in einem Schwarm variiert neben seiner Flugrichtung auch seine Geschwindigkeit. Benachbarte Vögel erkennen solche kleinen Änderungen leicht und reagieren entsprechend. „Große Tempoänderungen sind jedoch für einzelne Vögel sehr schwierig“, sagt Culla. Reagierten daher alle Vögel auch auf größere Tempoänderungen, würde ein Schwarm schnell seine koordinierte Dynamik verlieren.

Diese intuitive, auf Beobachtungen basierende Erkenntnis übertrugen die Forscher in ihr mathematisches Modell. Dafür nutzten sie ein Konzept, das sie als „marginales“ Tempolimit bezeichneten. Dabei werden Tempoänderungen nicht gleichwertig von den jeweiligen Nachbarn übernommen: Auf kleine Schwankungen der Geschwindigkeit reagieren die Vögel im Modell immer, größere Änderungen werden dagegen fast vollständig ignoriert.

Danach überprüften die Wissenschaftler, ob ihr mathematisches Modell natürliche Vogelschwärme tatsächlich korrekt beschreibt. Dazu filmten sie Schwärme mit hunderten Staren und analysierten danach die einzelnen Flugbahnen und Geschwindigkeiten der Vögel. Parallel berechneten sie die Schwarmdynamik mit ihren Modellen. Ohne Beachtung eines Tempolimits ergab sich nur wenig Übereinstimmung mit den Beobachtungen. Mit Tempolimit jedoch ließ sich die Dynamik mit großer Übereinstimmung modellieren.

Mit diesem Ansatz haben Culla und seine Kollegen ein Modell entwickelt, um das Schwarmverhalten von Vögeln und anderen schwarmbildenden Lebewesen wie Fischen mathematisch besser zu beschreiben. „Aber es könnte auch nützlich für die Kontrolle von Robotern und Schwärmen von Flugdrohnen sein“, sagt Culla. So könnten sich auch künstliche Schwärme dank eines eingebauten Tempolimits in Zukunft möglicherweise besser koordinieren.

Quelle: https://www.weltderphysik.de/gebiet/leben/nachrichten/2022/kollektives-verhalten-tempolimit-im-vogelschwarm/