Kernspaltung

Hermann-Friedrich Wagner

Die Illustration zeigt die Kettenraktion in Uran während der Kernspaltung.

Für die zivile Nutzung der Kernkraft muss man die enormen Energiemengen, die bei der Kernspaltung freigesetzt werden, zuverlässig kontrollieren. Welt der Physik erklärt die physikalischen Grundlagen und die technischen Anforderungen für den sicheren Betrieb von Kernreaktoren.

Die Atomkerne der chemischen Elemente setzen sich aus zwei verschiedenen Teilchen zusammen: Den elektrisch positiv geladenen Protonen und den elektrisch neutralen Neutronen. Beide werden auch Nukleonen genannt. Sie haben beinahe die gleiche Masse und werden durch die sogenannte Kernkraft zusammen gehalten, die von Physikern auch starke Kraft genannt wird. Sie ist die bei weitem stärkste der vier in der Natur vorkommenden Kräfte: Gravitation, elektromagnetische-, schwache- und starke Kraft. Im Gegensatz etwa zur elektromagnetischen Kraft wirkt die Kernkraft aber nur anziehend und damit vor allem nur auf die nächsten Nachbarn.

Graph: Eine Kurve zeigt die Abhängigkeit der Bindungsenergien pro Atomkern in Abhängigkeit von der Masse: Sie liegt bei Wasserstoff bei knapp über einem Megaelektronenvolt. Dann steigt die Kurve mit zunehmender Größe des Atomkerns steil an, bei Helium ist eine Spitze von 7 Megaelektronenvolt, Lithium liegt bei 5,5. Der Anstieg geht über Sauerstoff weiter, es hat 8 Megaelektronenvolt. Bei Eisen ist das Maximum mit knapp unter 9. Dort ist die Kurve dann ganz flach und fällt auch flach ab bis zum Uran, das 7,5 Megalektronenvolt Bindungsenergie aufweist.

Bindungsenergien der Atomkerne

Die positiv geladenen Protonen stoßen sich im Atomkern aufgrund ihrer gleichen elektrischen Ladung gegenseitig ab. Solange diese elektrische Abstoßung, die Coulombkraft genannt wird, durch die sehr viel stärkeren Kernkräfte kompensiert wird, bleibt der Kern stabil, wird also nicht radioaktiv. Hierbei helfen auch zusätzlich die Kernkräfte der elektrisch neutralen Neutronen mit.

Die Zahl der Protonen bestimmt, um welches Element es sich handelt. Je höher die Zahl der Protonen und damit je schwerer die Elemente werden, desto mehr Neutronen werden aber benötigt – bis hin zu einem deutliche Überschuss gegenüber den Protonen – um die abstoßenden Coulombkräfte zu kompensieren. Diese Kräfte können wegen der sehr kleinen Abstände zwischen den Protonen sehr groß werden, denn die Coulombkräfte verhalten sich umgekehrt proportional zum Quadrat der Abstände. Bei hohen Protonenzahlen wie beim Uran-92 ist man aber am Limit der Balance zwischen Coulombabstoßung und bindenden Kernkräften. Die Kerne beginnen instabil und damit radioaktiv zu werden.

Aber auch schon bei einer geringeren Anzahl von Protonen, also bei Elementen weiter vorne im Periodensystem, können Kerne instabil werden, denn generell entscheidend ist nur das Wechselspiel zwischen der Coulombabstoßung der Protonen und den anziehenden starken Kernkräften zwischen allen Teilchen insgesamt im Kern: Wegen der langen Reichweite der Coulombkraft können alle Protonen mit allen anderen Protonen wechselwirken, und die Abstoßungskraft wächst dadurch quadratisch mit der Anzahl der Protonen. Die Anziehungskraft der starken Wechselwirkung hingegen wirkt wegen ihrer kurzen Reichweite nur mit den nächsten Nachbarn und wächst deshalb nur linear mit der Anzahl der Nukleonen. Abhängig vom Verhältnis der Anzahl an Protonen und Nukleonen überwiegt die Abstoßung und der Kern wird instabil.

Hat ein und dasselbe Element Atomkerne mit unterschiedlichen Zahlen an Neutronen, dann nennt man sie Isotope dieses Elements. Für die Nutzung der Kernenergie zur Energienutzung ist das Uran-Isotop 235 entscheidend. Es enthält 235 Nukleonen, davon 92 Protonen und 143 Neutronen. In der Natur kommt es nur mit einem Anteil von 0,7 Prozent vor. Den Hauptteil mit 99 Prozent stellt das Isotop U-238 mit 146 Neutronen. Mit dem sehr geringen Anteil von 0,005 Prozent existiert auch noch das Isotop U-234 mit 142 Neutronen.

Die besondere Bedeutung von U-235 besteht darin, dass es sich in zwei leichtere Atomkerne (Spaltprodukte) teilt, sobald ihm ein weiteres Neutron hinzugefügt wird. Genau genommen bildet sich zuerst ein Zwischenkern des Urans, nämlich das Isotop U-236, das sich in einem energetisch hoch angeregten Zustand befindet. Die Anregungsenergie entspricht der Bindungsenergie (die kinetische Energie des Neutrons kann dagegen vernachlässigt werden), die durch den Neutroneneinfang frei gesetzt wurde. Sie ist aufgrund der Größe der starken Wechselwirkung relativ hoch.

Grafik: Atommodelle zeigen den Ablauf einer Kernspaltung von Uran-235

Neutroneninduzierte Kernspaltung von Uran-235

U-236 ist instabil und gibt deshalb in etwa 10-14 Sekunden seine Anregungsenergie vorwiegend durch Spaltung an die zwei mittelschwere Kerne wieder ab. Diese Spaltprodukte sind positiv geladenen. Sie stoßen sich daher auf Grund der Coulombkraft gegenseitig ab und werden dabei wie mit einem Kavalierstart innerhalb von 10-20 Sekunden auf die volle Geschwindigkeit beschleunigt. Ihre Bewegungsenergie, die in Wärme umgesetzt wird, macht etwa achtzig bis neunzig Prozent der Energie aus, die bei der Kernspaltung freigesetzt wird. Die restlichen zehn bis zwanzig Prozent stecken in der Radioaktivität der neu entstandenen mittelschweren Kerne.

Die Kerne der Spaltprodukte sind nicht immer gleich, sondern haben statistisch unterschiedliche Ladungszahlen, gehören also zu verschiedenen chemischen Elementen. Stellt man die Menge der bei der Spaltung entstehenden Elemente gegenüber ihrer Ladungszahl grafisch dar, ergibt sich eine sattelförmige Kurve mit zwei Maxima. Im ersten Maximum findet man Elemente wie Strontium, Krypton oder Yttrium, im zweiten Maximum zum Beispiel Xenon, Cäsium oder Barium. Die meisten dieser Spaltprodukte sind wegen eines Überschusses an Neutronen radioaktiv und gehen erst über mehr oder minder lange Zerfallsreihen in stabile Endprodukte über. Insgesamt sind etwa 200 verschiedene Spaltprodukte bekannt.

Außer den beiden Spaltkernen entstehen auch noch 2 bis 3 Neutronen, die dazu genutzt werden können, andere U-235 Kerne zu spalten und damit weitere Energie und Neutronen frei zu setzten. Man spricht dann von einer Kettenreaktion. Sie ist entscheidend für die Aufrechterhaltung des Spaltungsprozesses und damit für die Nutzung der Kernenergie.

Die Wahrscheinlichkeit dafür, dass sich ein Neutron an U-235 anlagert, hängt von seiner Geschwindigkeit ab. Sie wächst, je kleiner sie wird. Da die Neutronen, die bei der Spaltung frei gesetzt werden, für eine Anlagerung zu schnell sind, müssen sie durch Stoßprozesse mit den Atomkernen eines Moderators auf so genannte thermische Geschwindigkeit herunter gebremst werden. Um die Bremsung durch Stöße effektiv zu machen, sollten die Atomkerne des Moderators möglichst die gleiche Masse haben wie das Neutron oder ihr möglichst nahe kommen. Deshalb bietet sich Wasser als Moderator an, weil die Kerne der beiden Wasserstoffatome des H2O-Moleküls aus Protonen bestehen und damit praktisch die gleiche Masse haben wie die abzubremsenden Neutronen.

Aufbau eines Kernreaktors

In einem Kernreaktor werden Uran und Moderator so angeordnet, dass mit Hilfe von Regeleinrichtungen ein kontinuierlicher Spaltprozess aufrechterhalten und dadurch kontrolliert Kernenergie als Wärme freigesetzt wird. Dabei ist das Verhältnis der beiden Uranisotope 235 und 238 eine kritische Größe. Bei den heute vorwiegend weltweit betriebenen Leichtwasserreaktoren reichen die 0,7 Prozent Uran-235 im Natururan nicht aus, um einen kontinuierlichen Spaltungsprozess aufrecht zu halten. Deshalb wird Uran-235 vor dem Einsatz in den Reaktoren auf etwa drei Prozent angereichert, wofür spezielle Urananreicherungsanlagen erforderlich sind.

Die freigesetzten Neutronen spalten nicht nur das Uran-235 sondern sie können auch vom dominierenden Uran-238 eingefangen werden. Dadurch entstehen die sogenannten Transuran-Elemente wie zum Beispiel durch anschließenden radioaktiven Zerfall das neue Isotop Plutonium-239, das wiederum ein Spaltstoff ist und damit ebenfalls Energie freisetzen kann. Es trägt sogar, je nach Reaktortyp, circa 30 Prozent zum energieerzeugenden Spaltvorgang bei. Zu den Transuranen zählen auch chemische Elemente wie Neptunium, Americium oder Curium. Die Transurane enthalten Isotope, deren Radioaktivität zum Teil sehr langlebig sind. Dadurch wird die gesamte Radioaktivität in den abgebrannten Brennelementen erst nach einigen Hunderttausend Jahren weitestgehend abgeklungen sein. Insgesamt enthalten die abgebrannten Brennelemente der Leichtwasserreaktoren nach etwa drei Jahren Einsatzzeit (Typ Druckwasserreaktor) nur noch knapp ein Prozent Uran-235, knapp ein halbes Prozent Uran-236, etwa 95 Prozent Uran-238 und knapp ein Prozent Plutonium-Isotope. Der Rest setzt sich aus Spaltprodukten (drei Prozent) und sonstigen Transuranen (unter 0,05 Prozent), den sogenannten Aktiniden, zusammen. Der Anteil von U-235 entspricht damit fast wieder dem Prozentsatz des Natururans.

Das Konzept des geschlossenen Brennstoffkreislaufs, wie es etwa in Frankreich verfolgt wird, hat zum Ziel, durch Wiederaufarbeitung der abgebrannten Brennelemente das Uran und das Plutonium chemisch abzutrennen, um sie für die Energieerzeugung zurück zu gewinnen sowie den radioaktiven Rest für sehr lange Zeit sicher zu lagern. Damit lassen sich rund 97 Prozent des abgebrannten Brennstoffs wiederverwenden. Weiterführende Konzepte im Zustand von Forschung und Entwicklung beinhalten die zusätzliche Abtrennung der langlebigen radioaktiven Stoffe, um sie zum Beispiel durch Wechselwirkung mit schnellen Neutronen in wesentlich kürzerlebige chemische Elemente für die Endlagerung um zu wandeln, auch Transmutation genannt.

In Deutschland wurde beschlossen das Konzept des offenen Brennstoffkreislaufs zu realisieren, d.h. die abgebrannten Brennelemente und andere hochradioaktive Abfälle aus Kernkraftwerken direkt endzulagern. Dabei handelt es sich nach Angaben des Forschungszentrums Jülich zunächst um 7790 Tonnen abgebrannter Brennelemente, die bis Ende 2011 aus deutschen Kernkraftwerken entstanden sind. Nach Beendigung des Betriebs aller Kernkraftwerke im Jahr 2022 werden nach Prognosen des Bundesamtes für Strahlenschutz noch mal 2760 Tonnen hinzukommen. Zusammen mit Lagerbehältern sowie dem hochradioaktiven Abfall aus der früheren Wiederaufarbeitung in Frankreich und Großbritannien werden die abgebrannten Brennelemente insgesamt ein Volumen von 28.100 Kubikmetern oder von 10 olympischen Schwimmbecken umfassen. Die Langzeitradioaktivität wird dabei durch Stoffe erzeugt, die weniger als ein Prozent der Brennelemente ausmachen. Es ist vorgesehen alle abgebrannten Brennelemente und den Abfall aus der Wiederaufarbeitung in ein unterirdisches Endlager zu verbringen.

Neben Uran hat für die Gewinnung von Kernenergie auch das chemische Element Thorium eine Bedeutung.

Energie aus Kernspaltung

Energie wird deshalb gewonnen, weil bei der Kernspaltung Masse in Energie umgewandelt wird. Es findet also keine chemische Reaktion statt, wie bei der Verbrennung fossiler Energieträger, und es wird deshalb auch kein CO2 in die Atmosphäre freigesetzt.

Der Prozess der Kernspaltung ist sehr effizient. So geht beispielsweise bei der Spaltung von einem Kilogramm U-235 nur etwa ein Gramm Masse (ein Promille) verloren, die in Wärmeenergie verwandelt wird. Unter Anwendung der Einsteinschen Beziehung E=mc2 ergibt das einen Wert von etwa 25 Millionen Kilowattstunden. Das entspricht einer Verbrennungsenergie von rund 2.500.000 Kilogramm Steinkohle mit einem Energiegehalt von 7000 Kilokalorien pro Kilogramm. Die Energieausbeute je kg Brennstoff ist damit etwa 2,5 Millionen Mal höher als bei der Verbrennung von Steinkohle.

Die Ursache für diese enormen Unterschiede liegt letztlich darin, dass zwei Naturkräfte mit unterschiedlich großen Wechselwirkungen genutzt werden. Bei der Verbrennung spielen sich die zugrunde liegenden chemischen Prozesse in der Hülle der beteiligten Atome ab. Hier regiert die elektromagnetische Wechselwirkung. Bei der Kernenergie, bei der die Kerne der Atome die entscheidende Rolle spielen, ist die sehr viel größere starke Wechselwirkung entscheidend, die die Nukleonen zusammenbindet.

Ausschlaggebend ist hierbei die Größe der Bindungsenergie je Nukleon im Kern. Sie ist für die Elemente nicht konstant, sondern wächst vom leichtesten Element, dem Wasserstoff, zunächst sehr steil und dann langsamer an bis zu den mittel schweren Elementen, etwa dem Krypton. Danach fällt sie bis zu den schweren Elementen leicht ab. Bei der Spaltung schwerer Kerne in zwei mittel schwere wird die Differenz der Bindungsenergien in Form von Wärme durch die Bewegung der Spaltprodukte freigesetztfreigesetzt.

Die Unterschiede in der Stärke der Wechselwirkungen drückt sich auch in einer anderen Zahl aus: Die Zerlegung eines schweren Atomkerns in zwei mittelschwere Kerne ergibt eine Energiemenge, die etwa 400 000-mal größer ist als bei chemischen Reaktionen zwischen ganzen Atomen. Diese gewaltigen Unterschiede mögen erklären, weshalb die Kernenergie auf der einen Seite energiewirtschaftlich eine hohe Attraktivität bietet, auf der anderen Seite aber wegen der enormen Energiedichte, die dabei beherrscht werden muss, ein besonders hohes Maß an Verantwortung und Sorgfalt hinsichtlich der Sicherheit der Kernkraftwerke erfordert.

Quelle: https://www.weltderphysik.de/thema/archiv/2011/radioaktivitaet/kernspaltung/