Wie funktioniert ein Atomkraftwerk?

Dirk Eidemüller und Hermann-Friedrich Wagner

Das Bild zeigt ein aktives Atomkraftwerk und eine grüne Wiese.

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In Kernkraftwerken macht man sich zunutze, dass bei der Spaltung von Atomkernen ein winziger Teil der Masse in Energie umgewandelt wird. Anders als andere dampfbetriebene Kraftwerke, in denen man fossile Energieträger – etwa Kohle, Gas oder Öl – verbrennt, finden in Kernkraftwerken also keine chemischen Reaktionen statt. Deshalb entsteht hier auch kein CO2. Gemeinsam ist den Kraftwerkstypen, dass sie die gewonnene Energie nutzen, um Wasser zu erhitzen. Mit dem heißen Wasserdampf lässt sich dann eine Turbine antreiben und so elektrischer Strom erzeugen.

Das Herzstück eines Kernkraftwerks ist der Reaktor: Hier befinden sich die Brennelemente, eingebettet in das zu erhitzende Wasser. Brennelemente sind zu quadratischen oder hexagonalen Einheiten zusammengefasste Brennstäbe, die wiederum aus einer extrem festen Hülle und dem eingeschlossenen Brennstoff bestehen. Als Brennstoff nutzt man vor allem das chemische Element Uran, das in der Natur in verschiedenen Varianten – sogenannten Isotopen – vorkommt. Das häufigste Uranisotop ist Uran-238 mit 92 Protonen und 146 Neutronen im Kern. In Kernkraftwerken nutzt man dagegen das Isotop Uran-235, das drei Neutronen weniger besitzt und besonders leicht spaltbar ist. In natürlichen Mineralien ist Uran-235 nur in Mengen von unter einem Prozent enthalten. In den Brennelementen wird der Anteil auf drei bis fünf Prozent angereichert.

Neben Uran-235 eignen sich aber auch einige andere schwere Elemente als Kernbrennstoff, wie etwa Plutonium-239. Um für den Einsatz im Kernkraftwerk infrage zu kommen, müssen chemische Elemente gleich mehrere Eigenschaften aufweisen: Erstens sollten sie zu bezahlbaren Preisen auf dem Weltmarkt erhältlich sein. Zweitens müssen sie leicht durch Neutronen spaltbar sein. Und drittens müssen sie bei einer Kernspaltung selbst mehrere Neutronen freisetzen. Denn nur so lässt sich eine Kettenreaktion aufrechterhalten, bei der im Mittel wenigstens eines der freigesetzten Neutronen einen weiteren Atomkern spaltet.

Die Infografik zeigt links den Sicherheitsbehälter mit kuppelförmigem Dach. Darin ist der Primärkreislauf untergebracht: die Brennelemente erwärmen das Kühlwasser, dieses erhitzt im Dampferzeuger das Speisewasser. Über Röhren gelangt das Speisewasser ins Maschinenhaus, treibt dort Turbinen an und wird im Kondensator gekühlt (Sekundärkreislauf und Kühlkreislauf). Dann fließt es wieder ins Reaktorgebäude. Das Kühlwasser für den Kondensator wird entweder aus einem Fluss entnommen oder in einem Kühlturm gekühlt.

Kernkraftwerk mit Druckwasserreaktor

Trifft ein Neutron auf einen Uran-235-Kern, kann dieser zerfallen – meist in zwei Fragmente und zwei bis drei einzelne Neutronen. Anschließend fliegen die Bruchstücke mit hohen Geschwindigkeiten auseinander. Tatsächlich sind die bei einer Kernspaltung freigesetzten Neutronen anfangs derart schnell unterwegs, dass sie nur schlecht mit weiteren Atomkernen reagieren. Aus diesem Grund sind die Brennstäbe meist von Wasser umgeben: Durch Stöße mit den Wasserstoffatomen verlieren die Neutronen einen Teil ihrer Energie und werden so abgebremst. Die langsamen Neutronen haben eine wesentlich höhere Wahrscheinlichkeit, eine Kernspaltung auszulösen. Das Ausbremsen hat aber noch einen weiteren Effekt: Denn die bei den Kollisionen verlorene Energie wird in Wärme umgewandelt – dadurch heizt sich das umgebende Kühlwasser auf.

Um die Kettenreaktion gezielt beeinflussen und gegebenenfalls abbrechen zu können, lassen sich zwischen die Brennstäbe eines Kernreaktors sogenannte Regel- und Notfallstäbe schieben. In diesen Stäben befinden sich stark neutronenabsorbierende Materialien wie Cadmium oder Bor. Je tiefer die Regelstäbe in den Reaktorkern eingefahren werden, desto mehr Neutronen werden abgefangen und können keine weiteren Spaltungen auslösen. Dadurch sinkt die Reaktionsrate.

Reaktortypen

Bei den in Deutschland aktiven Kernkraftwerken handelt es sich um sogenannte Druckwasser- und Siedewasserreaktoren. Der Unterschied zwischen den beiden Reaktortypen liegt vor allem darin, wo der heiße Wasserdampf erzeugt wird, der schließlich die Turbine antreibt.

Schematischer Aufbau des Reaktors mit Sicherheitsbehälter und Brennelementen, dem Druckbehälter mit Turbine sowie dem Kühlturm.

Siedewasserreaktor

In Siedewasserreaktoren befinden sich die Brennelemente in einem Druckbehälter – in der Regel einem zylindrischen Behälter aus dickem Spezialstahl –, der zu etwa zwei Dritteln mit Wasser gefüllt ist. Die Kettenreaktion erhitzt das Wasser auf mehr als 280 Grad Celsius, wobei ein Druck von rund siebzig Bar vorliegt. Das entspricht dem siebzigfachen Atmosphärendruck. Aufgrund der hohen Temperatur verdampft ein Teil des Wassers im Reaktordruckbehälter, daher die Bezeichnung Siedewasserreaktor.

Der heiße Dampf wird zu einer Turbine geleitet, die einen Generator antreibt. Hinter der Turbine muss der Wasserdampf in einem großen Kondensator abgekühlt und verflüssigt werden, bevor Hochdruckpumpen dieses Wasser wieder zurück in den Reaktordruckbehälter befördern. Auf diese Weise bleibt der Wasserkreislauf geschlossen und eventuell austretende radioaktive Partikel können nicht in die Umwelt gelangen oder Teile des Kraftwerkgeländes kontaminieren.

Im Gegensatz zu Siedewasserreaktoren besitzen Druckwasserreaktoren einen zweiten Wasserkreislauf, der vom Reaktor entkoppelt ist und die Turbine antreibt. Zudem steigt der Druck im Reaktordruckbehälter mit rund 150 Bar deutlich höher als beim Siedewasserreaktor. Das führt dazu, dass das Wasser im Innern trotz der höheren Temperatur von 325 Grad Celsius nicht siedet und flüssig bleibt. Die Dampferzeugung findet erst im Sekundärkreislauf statt, der über einen Wärmetauscher an den Primärkreislauf gekoppelt ist. Damit verbleiben sämtliche radioaktiven Substanzen im zentralen Primärkreislauf, sodass die Turbine und alle mit ihr zusammenhängenden Teile nicht zum radioaktiven Kontrollbereich gehören.

Neben Druckwasser- und Siedewasserreaktoren gibt es noch weitere Kraftwerkstypen. Für die Wissenschaft und Medizin relevant sind sogenannte Forschungsreaktoren: Statt heißem Wasserdampf werden hier Neutronen erzeugt, mit denen sich beispielsweise verschiedene Materialien durchleuchten oder Radionuklide für medizinische oder wissenschaftliche Anwendungen herstellen lassen. In Deutschland gibt es derzeit drei solche Forschungsreaktoren, darunter die Neutronenquelle FRM II in Garching bei München.

Anmerkung der Redaktion: Die erste Version dieses Artikels, die 2011 auf Welt der Physik erschien, verfasste Hermann-Friedrich Wagner. Im März 2021 wurde der Text von Dirk Eidemüller überarbeitet und aktualisiert.

Quelle: https://www.weltderphysik.de/thema/hinter-den-dingen/atomkraftwerk/