Warum erfolgt Stromübertragung bei hohen Spannungen?

Hermann-Friedrich Wagner

Das Bild zeigt Hochspannungsleitungen.

Strom wird in den meisten Fällen nicht dort genutzt, wo er erzeugt wird. Bis der Strom aus unseren Steckdosen fließt, hat er oft einen langen Weg hinter sich. Die technologische Herausforderung liegt darin, den Energieverlust bei der Stromübertragung möglichst gering zu halten.

Elektrischer Strom besteht aus der Bewegung von Elektronen in elektrischen Leitern. Dabei können die Elektronen ihre Energie auf zwei unterschiedliche Arten übertragen. Im Fall des Gleichstroms fließen die Elektronen immer in eine Richtung: Sie bewegen sich durch eine Leitung zum Nutzer hin, geben dort einen Teil ihrer Energie ab und fließen dann über eine zweite Leitung wieder zum Stromerzeuger zurück. Im Fall des Wechselstroms ändern die Elektronen dagegen ihre Richtung – und das in Europa etwa fünfzig Mal pro Sekunde. Auch so können die Elektronen ihre Energie an den Nutzer abgeben.

Fließt ein Strom, wird aufgrund des sogenannten Ohm‘schen Widerstandes der Leitungen ein Teil der Energie der Elektronen in Wärme umgewandelt. Dieses Prinzip ist durchaus nützlich – beispielsweise für elektrische Heizungen. Für den Stromtransport bedeutet es allerdings, dass die elektrische Energie am Ende der Leitung geringer ist als am Anfang. Um die Wärmeverluste möglichst gering zu halten, reduziert man den Stromfluss – wodurch allerdings weniger elektrische Energie transportiert wird. Dieser Effekt lässt sich wiederum ausgleichen, indem man die Spannung des Stroms erhöht [Details siehe Kasten unter dem Text].

Um die benötigten hohen Spannungen überhaupt erreichen zu können, entwickelten Wissenschaftler gegen Ende des 19. Jahrhunderts den Transformator. Mit einem Transformator lässt sich einerseits Wechselstrom mit hoher Spannung erzeugen, der sich andererseits am Zielort wieder auf niedrigere Spannung heruntertransformieren lässt. Erst diese Technologie ermöglichte damals den Aufbau von Stromnetzen über immer größere Strecken vor allem in Amerika und Europa. Im Laufe der Zeit wurde die Transformatortechnik immer weiter entwickelt und noch heute beruht unser Stromnetz hauptsächlich auf Wechselstrom.

Doch der Energietransport mithilfe von Wechselstrom birgt einige Nachteile: Denn neben den Wärmeverlusten gibt es drei weitere Phänomene, durch die elektrische Energie verloren geht – verursacht durch den kapazitiven Widerstand, den induktiven Widerstand und den sogenannten Skin-Effekt. Das erste Phänomen hat seine Ursache im schnellen Wechsel der Stromrichtung, der ähnlich wie das Auf- und Entladen eines Kondensators wirkt. Dieser Effekt macht sich wie ein zusätzlicher Widerstand im Stromkreis bemerkbar – als kapazitiver Widerstand.

Zudem erzeugen elektrische Ströme stets ein Magnetfeld um sich herum. Dieses wird abhängig von der Frequenz des Wechselstroms ständig neu auf- und abgebaut, was sich wiederum als induktiver Widerstand bemerkbar macht. Diese beiden Effekte werden mit der Länge der elektrischen Leitungen größer, bis sie schließlich die Übertragung von Wechselstrom bei größeren Distanzen unwirtschaftlich machen. Hingegen wird der Skin-Effekt – das dritte Phänomen – dadurch hervorgerufen, dass sich die Elektronen durch den schnellen Richtungswechsel fast nur noch an der Oberfläche der Stromleitung bewegen. Dieses Verhalten erfordert immer dickere Kabel oder mehrere parallele Leitungen, was bei großen Transportlängen ebenfalls unwirtschaftlich ist.

Solche Verlustquellen treten nicht auf, wenn der Strom bei Gleichspannung übertragen wird. Deshalb forschen derzeit viele Wissenschaftler an der sogenannten Hochspannungs-Gleichstrom-Übertragung. Dafür muss zunächst der Wechselstrom an sogenannten Konverteranlagen in Gleichstrom umgewandelt werden, um am Zielort wieder in Wechselstrom konvertiert zu werden. Zurzeit lohnt sich der Stromtransport bei Gleichspannung allerdings erst ab großen Distanzen – beispielsweise um Strom von Offshore-Windparks ans Festland zu übertragen.


Stromwärmegesetz

Fließt ein elektrischer Strom durch einen elektrischen Leiter, erzeugt er eine Wärmeenergie

\(Q=I^2 R t\).

Sie ist proportional zum Quadrat der Stromstärke I, zum Ohm’schen Widerstand des Leiters R und zur Dauer des Stromflusses t.

Die elektrische Energie, die durch den Strom transportiert wird, ergibt sich aus der Stromstärke I, der Spannung U und der Dauer des Stromflusses t

\(E=I U t\).

Wenn also der Stromfluss verringert wird, wird auch der Verlust durch Wärmeenergie kleiner. Um trotzdem genügend elektrische Energie zu transportieren, wird die reduzierte Stromstärke durch eine erhöhte Spannung kompensiert. Deswegen wird Strom bei hohen Spannungen übertragen.

Anmerkung der Redaktion: Im Oktober 2020 haben wir den Text überarbeitet und aktualisiert.

Quelle: https://www.weltderphysik.de/thema/hinter-den-dingen/hochspannung/