Auf Neutrinosuche am Südpol

Maike Pollmann

Forscher mit Fellmütze vor einem Sensor von IceCube.

Mit IceCube konnten Wissenschaftler erstmals hochenergetische Neutrinos aus dem tiefen Weltall aufspüren und damit ein neues Kapitel der Astroteilchenphysik öffnen. Darüber hinaus kann der Detektor auch einen Beitrag zur Teilchenphysik leisten: Mit dem Observatorium am Südpol lassen sich nämlich die Eigenschaften dieser bisher noch rätselhaften Elementarteilchen näher untersuchen. Im Rahmen der Verbundforschung beteiligen sich auch deutsche Institute an IceCube.

Die Eigenschaften von Neutrinos sind selbst für Elementarteilchen extrem: Sie sind nahezu masselos – wiegen mindestens eine Million Mal weniger als ein Elektron – und treten kaum mit anderen Teilchen in Wechselwirkung. Tatsächlich können sie teils über Lichtjahre hinweg durch Materie fliegen, ohne dabei jemals mit einem Atom zusammenzustoßen. Aufgrund dieser Eigenschaft sind riesige Detektoren vonnöten, um Neutrinos nachzuweisen. Der bisher größte und leistungsfähigste Detektor für diese Elementarteilchen ist IceCube.

Gebäude mitten in einer verschneiten Landschaft.

IceCube-Labor

Das Observatorium am Südpol nutzt einen Teil des antarktischen Eisschildes als Detektormaterial. In einem Volumen von einem Kubikkilometer befinden sich über fünftausend lichtempfindliche Sensoren, die an Kabelsträngen bis zu zweieinhalb Kilometer tief in das ewige Eis eingeschmolzen sind. Findet nun eine der äußerst seltenen Neutrinowechselwirkungen statt, entstehen dabei geladene Teilchen wie beispielsweise Elektronen, Myonen, Tauonen und Hadronen, die sich dann mit nahezu Lichtgeschwindigkeit durchs Eis bewegen. Die Atome entlang der Flugbahn des Teilchens senden daraufhin sogenanntes Tscherenkowlicht aus. Diese bläulich schimmernde Strahlung zeichnen die Forscher mit den vielen Photosensoren auf und können anhand dieser Daten die Energie, die Flugrichtung und manchmal auch die Sorte des nachgewiesenen Neutrinos ermitteln.

Meilenstein in der Astroteilchenphysik

Nur zwei Jahre nach der Fertigstellung erreichten die Physiker mit IceCube einen Meilenstein in der Astroteilchenphysik: 2012 spürten sie erstmals hochenergetische Neutrinos aus dem Weltall auf. Die Energie dieser Teilchen liegt im Bereich von Petaelektronenvolt, während beispielsweise Neutrinos aus der Sonne typischerweise um bis zu neun Größenordnungen niedrigere Energien besitzen. Inzwischen folgten weitere Funde. „Jedes Jahr entdecken wir zwischen zehn und zwanzig solcher Neutrinoereignisse. Bisher sind diese aber noch gleichmäßig über den Himmel verteilt und es weist noch nichts auf eine Punktquelle hin", erläutert Rolf Nahnhauer vom Forschungszentrum DESY in Zeuthen, der zusammen mit seinen Kollegen ein Viertel der im Eis versenkten Lichtsensoren für IceCube gebaut und getestet hat.

Vor dunklem Hintergrund sind an verschiedenen Strängen mehrere kugelförmige Gebilde zu sehen.

Detektorspur eines hochenergetischen Neutrinos

Die hochenergetischen Teilchen könnten beispielsweise aus fernen Sternexplosionen stammen oder aus aktiven Galaxienkernen, Milliarden von Lichtjahren von uns entfernt. Die Entdeckung einer solchen astrophysikalischen Quelle wäre ein bedeutender Durchbruch in der Astroteilchenphysik. Allerdings lässt sich die Richtung der Teilchen – je nach Neutrinosorte – bisher nur auf ein beziehungsweise zehn Grad genau am Himmel angeben. Und das ist zu unpräzise, um den Ursprung der hochenergetischen Teilchen eindeutig zu bestimmen. Deshalb wollen die Forscher künftig zum einen die Richtungsauflösung von IceCube verbessern und zum anderen das Detektorvolumen vergrößern, damit mehr Teilchen nachgewiesen werden können.

Neben Nahnhauer und seinen Kollegen aus Zeuthen engagieren sich auch Wissenschaftler aus Mainz, Wuppertal, Aachen, Erlangen, München, Berlin und Bochum in der internationalen IceCube-Kollaboration. Zusammengeschlossen in einem Verbundprojekt entwickeln sie unter anderem neue Lichtsensoren, suchen nach effektiveren Bohrtechniken und überlegen sich innovative Auswertemethoden, um die Messgenauigkeit des Detektors weiter zu verbessern. Eine Idee, die das Team dabei verfolgt, umfasst beispielsweise die Zusammenarbeit mit anderen Teleskopsystemen wie etwa Gammastrahlenobservatorien. Denn durch einen Abgleich der Daten ließen sich mögliche Quellen am Himmel leichter identifizieren.

Unerwartete Teilchenphysik

Neben dieser „Neutrinoastronomie“, für die man den Detektor einst entwickelte, lässt sich auch Teilchenphysik mit IceCube betreiben. „Das war ursprünglich gar nicht vorgesehen, ist aber ein großer Erfolg“, kommentiert Nahnhauer. Die Forscher haben den mittleren Teil von IceCube dazu mit zusätzlichen Photosensoren ausgestattet, wodurch die Nachweisschwelle von einem Teraelektronenvolt auf etwa zehn Gigaelektronenvolt absank. Mit diesem sogenannten DeepCore-Detektor fahnden die Wissenschaftler allerdings nicht nach Neutrinos aus den Tiefen des Weltalls. Stattdessen haben sie es auf Exemplare abgesehen, die erst durch Reaktionen in der Erdatmosphäre entstehen – ausgelöst durch Teilchen der kosmischen Strahlung, die unablässig auf den Planeten einprasseln.

Mehrere optische Module liegen auf einem Tisch. Darin sind Platinen zu erkennen.

Optische Sensoren von IceCube

IceCube registriert jedes Jahr mehr als hunderttausend solcher atmosphärischen Neutrinos, was, verglichen mit anderen Neutrinoexperimenten, eine stattliche Anzahl ist. Mit den gesammelten Daten können die Physiker von IceCube eine Eigenschaft der drei bekannten Neutrinosorten – Elektron-, Myon- und Tau-Neutrino – näher untersuchen: Die Teilchen können sich nämlich ineinander umwandeln, also zwischen den drei Sorten hin- und herwechseln. Dieses Phänomen bezeichnet man als Neutrinooszillation. Die Wahrscheinlichkeit, mit der solche Übergänge stattfinden, hängt von zwei Parametern ab: dem sogenannten Mischungswinkel und der Massendifferenz zwischen den verschiedenen Sorten.

Weltweit versuchen Physiker in verschiedenen Experimenten, diese beiden Parameter zu bestimmen. „Wir waren im doppelten Sinne erfolgreich: Zum einen haben wir Oszillationen in einem Energiebereich gemessen, den andere Experimente nicht erreichen, und zum anderen haben wir innerhalb relativ kurzer Zeit – mit Daten von nur drei Jahren – eine Messgenauigkeit für bestimmte Oszillationsparameter erreicht, für die andere 15 Jahre gebraucht haben“, berichtet Nahnhauer. In einem Energiebereich von zehn bis rund fünfzig Gigaelektronenvolt hatten die Forscher zwischen Mai 2011 und April 2014 auf der Nordhalbkugel erzeugte Myon-Neutrinos mit IceCube registriert. Nach der Passage durch die Erde ließen sich nur 5200 Teilchen nachweisen und damit deutlich weniger als die rund 7000, die man ohne Neutrinooszillationen erwartet hätte.

Angespornt durch diese Ergebnisse hoffen die Wissenschaftler, mit einer wesentlich höheren Dichte an optischen Sensoren die Energieschwelle des Detektors noch weiter senken und damit weitere Fragestellungen der Neutrinophysik angehen zu können. „In erster Linie wollen wir die sogenannte Massenhierarchie messen, das heißt, ob es zwei relativ schwere und ein leichtes Neutrino gibt, oder ob es genau umgekehrt ist“, erklärt Nahnhauer das primäre Ziel der geplanten Erweiterung. Für das künftige Subsystem namens Precision IceCube Next Generation Upgrade oder kurz PINGU führen die Wissenschaftler aus Deutschland derzeit bereits Simulations- und Hardwarestudien durch. Am Südpol wird die Installation der zusätzlichen Sensoren frühestens ab 2020 beginnen – bis dahin sind die Forscher nicht nur mit den Vorarbeiten für den künftigen Detektor gut ausgelastet, sie nehmen auch weiterhin Daten mit IceCube auf und verbessern so laufend ihre Analysen.

Quelle: https://www.weltderphysik.de/thema/bmbf/astro-und-astroteilchenphysik/neutrinosuche-am-suedpol/